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Fakten zur Aufführung 

1913
(Florian Illies)
13. November 2013
(Premiere am 20. September 2013)

Theater Oberhausen


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Weltgeschichte mit doppeltem Lutz

Was da so alles passiert – in diesem Jahr 1913, eigentlich unglaublich. Wer sich da vor der Zauberkraft dieser mystischen Zahl „13“ alle fürchtet – und dann stirbt Arnold Schönberg auch noch am Freitag, einem 13. In einer geschickten Collage hat Florian Illies spannende Personen und Episoden aus diesem prallen Jahr 1913 aufgespürt und zu einem Bestseller zusammen gefügt, den er nun für das Theater Oberhausen dramatisiert hat – gelungen. Diese Fassung hat Vlad Massaci in seiner schlanken, sparsamen, aber spannenden Inszenierung bearbeitet und mit einem großartigen Team auf die Bühne gebracht.

Die Handlung schreibt die Geschichte, genauer die politische und kulturelle Geschichte Europas kurz nach 1900. Es ist erstaunlich, wie viel da los ist und wie verzweigt, vernetzt da vieles ist. Illies schaut sich historisch um und findet Episoden und Personen aus Literatur, Musik, Bildender Kunst, Wissenschaft und Politik, die er zusammenfügt und so das Kaleidoskop eine Jahres entstehen lässt, das für eine Epoche stehen kann. Da tauchen Bertolt Brecht und Picasso auf, die Zuschauer begegnen dem selbst verliebten Thomas Mann und dem immer entrückter werdenden Franz Kafka; Frank Wedekind gerät wegen seiner Lulu mit der Zensur aneinander, Marcel Duchamp verstört mit seinem Kunstwerk eines Fahrrad-Vorderrades auf einem Hocker die Kunstszene, Stalin und Hitler begegnen sich im Wiener Schlosspark Schönbrunn, Sigmund Freund und C.G. Jung, Gottfried Benn, in Österreich erfindet ein Herr Lutz einen komplizierten Drehsprung für Eiskunstläufer,… selbst die erste Aldi-Filiale in Essen fehlt nicht. Doch keiner kann sich vorstellen, dass ein Jahr später Kanonenrauch Europa verdüstert und der Waffendonner künstlerische Dialoge übertönt: Europa vom Kubismus bis zum Heldentod. Europa straft Norman Angells These „Nie wieder Krieg!“ Lügen. Und Mona Lisa? Geraubt und verschwunden, … immer noch.

Durchaus der Zeit um 1910 angemessen, sichert Henry Meyer als seriöser, weiß befrackter Conférencier den Fortgang des Abends, stellt Personen namentlich vor und gibt der Aufführung einen Hauch von Varieté.

Passend zum Sujet und der Inszenierung agieren die Darsteller als Team, aus dem kaum einzelne Figuren herausragen. Es sind Zeitgenossen. Manche witzige Formulierung fliegt schnell vorbei, mal überrascht der egozentrische Thomas Mann, mal der immer mehr abwesende Franz Kafka, Adolf Hitler in der Persiflage des Charlie Chaplin, dann Kaiser Franz-Josef, ein buntes Kaleidoskop. Die Namen wie die Figuren huschen vorbei, bleibende Eindrücke in den angedeuteten Episoden sind rar. Gleichwohl ist der Abend recht unterhaltsam, die häufig mitschwingende ironische Note durchaus passend. Wer will diese Figuren, die zwischen Realität und Traum schweben, schon ernst nehmen. Allerdings, wer die vielen über die Bühne fliegenden Namen zum ersten Mal hört, wird erhebliche Verständnisschwierigkeiten haben – mit seinem Bildungsanspruch nähert sich die Inszenierung durchaus dem 1913-er Milieu.

Hierzu hat Vasile Sirli eine Musik zusammengestellt und komponiert, die in Teilen selbst dieser Zeit entstammt. Von Alban Berg bis Gustav Mahler reicht das Spektrum, ergänzt durch Klavierstücke von Sirli und einem Ragtime des Pianisten Weinsheimer, eine wahrhaft bunte Mischung für das Piano. Robert Weinsheimer untermalt und akzentuiert mal mit zarten, linearen Läufen Monologe und Dialoge, heftige, gehackte Akkordattacken dramatisieren die Sprechtexte. Im Stile modernen Tanzes hat Florin Fieroui eine Choreografie geschaffen, die in ihren freien Formen die Zerrissenheit und Überdrehtheit dieser Zeit betont. Manuela Freigang stellt einen riesigen weißen Kubus auf die Bühne, den sie mit vielen aufgetürmten Stühlen füllt und bespielen lässt.

Das Publikum fühlt sich bestens unterhalten, hat Freude an der einen oder anderen verrückten Figur und der Spiellust des Ensembles. Die Klavierbegleitung deutet manche bekannten Themen an, Erinnerungsstücke zum Wohlfühlen. Lang anhaltender Beifall.

Horst Dichanz

Fotos: Thomas Aurin