Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)
12. April 2014
(Premiere am 5. April 2014)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Menschlich-Allzumenschliches in der Götterwelt

Das Menschliche in den Figuren, in den Göttergestalten suchen möchte die mit lautem Jubel vom Publikum gefeierte Inszenierung des ersten Teils von Richard Wagners Ring-Tetralogie Die Walküre am Staatstheater Nürnberg. Das verträgt sich gut mit den Ideen, die Richard Wagner damit verfolgt hatte, und auch wieder nicht. Denn das Ganze ist eine Parabel überdimensionierten Ausmaßes; wenn sie aber angewandt wird auf Menschlich-Allzumenschliches und dabei auf sehr Zeitbezogenes, dann bekommt sie ab und zu auch ziemlich banale Züge. Richard Wagner konnte in seinem Ring den Widerspruch zwischen dem Protest gegen Bestehendes, also zivilisatorische Zwänge und politische Systeme, und dem Streben, der Sehnsucht nach Rückkehr zu einer Ur-Harmonie, zu einer von Freiheit und Liebe geprägten Daseinsform, die nicht den Besitz sucht, nie richtig auflösen. Deshalb scheitert auch Wotan, wie es Die Walküre deutlich vorführt. Einerseits ist er die Ordnungsmacht, die sich an Verträge gebunden fühlt, andererseits greift er ein in die Freiheit der von ihm erzeugten Geschöpfe, die er um der Freiheit willen geschaffen hat und sie deshalb liebt. Er vergeht sich also gegen das höhere Gesetz, gegen das der Freiheit und Liebe, letztlich gegen sich selbst. Und er ist einer, der Macht hat, deren sich aber nicht sicher ist, denn seine Position ist bedroht; er führt schon lange Krieg gegen Alberich.

Georg Schmiedleitner abstrahiert bei seiner insgesamt sehr spannungsgeladenen Inszenierung nicht; er stellt immer wieder konkrete Bezüge her zum Heute, zu uns verständlichen Sehweisen. Gerade dadurch aber irritiert er manchmal auch. Seine Charaktere sind teilweise heute im Alltag anzutreffen. Wotan ist hier eine Art Clan-Chef, distinguiert, im korrekten Kamelhaarmantel, seine Frau Fricka eine reiche, frustrierte Ehefrau, die sich hauptsächlich mit Shopping beschäftigt und damit, ihr Äußeres stylish und schick herzurichten; die Beziehung zu ihrem Mann scheint abgekühlt. Hunding tritt auf als muskelbepackter, tätowierter Macho und Grobian, Sieglinde wird von ihm unterdrückt, bedient ihn und scheint wenig Selbstbewusstsein zu haben. Siegmund, der desorientierte junge Mann, der wenig von seiner Herkunft weiß, strandet auf seinen Irrwegen bei ihr. Lediglich Brünnhilde passt da nicht ganz ins Bild. Sie ist anfangs ein zu groß geratenes Kind, das noch mit dem Steckenpferd spielt, pummelig, kämpferisch veranlagt, wenig weiblich. Erst als sie am Beispiel von Siegmund und Sieglinde das Beispiel unbedingter Liebe kennen lernt, emanzipiert sie sich, befolgt nicht mehr den Befehl ihres Vaters. Gegen sie wirken ihre Kampfgenossinnen und Schwestern, die Walküren, wie aus utopischen Actionfilmen entnommene Amazonen, leicht bekleidet, sexy, aggressiv. Dass sie am Beginn des dritten Aufzugs, beim Walkürenritt, als Ergebnis ihrer kämpferischen Einsätze Kindersoldaten vorweisen, wirkt doch etwas deplatziert. Das sollen wohl die Heldenleichen sein. Sie verschwinden aber schnell im Untergrund. Alles spielt in den ersten beiden Akten vor einer düsteren Abraumhalde mit Bergen von Autoreifen und einem schiefen Telegrafenmast. Die Umwelt ist zerstört, es dampft und raucht bisweilen. Davor setzt Stefan Brandtmayr im ersten Akt die schäbige Abriss-Hütte des Hunding; per Video ist hier schon Wotan präsent, dann, im zweiten Akt, ist hier Wotans ungemütliches Heim platziert, eine Art Bunker; Kriegsbilder laufen ab, der „Chef“ thront etwas erhöht, später da auch seine Frau, wenn Wichtiges verkündet wird. Bisweilen gerät diese Position aber auch in Schieflage, und manchmal lässt sich Wotan auf die untere Ebene herab, wo ein Sofa steht. In dieser „bürgerlichen“ Umgebung kann nun Fricka fordern, dass Ehebruch und Inzest, welche Siegmund und Sieglinde, das Zwillingspaar, in höchster Leidenschaft vollzogen haben, nicht geduldet werden. Daraus folgt der Befehl an Brünnhilde, Siegmund zu töten. Als sie aber die Flüchtenden trifft und ihre untrennbare Liebe sieht, widersetzt sie sich dem Auftrag des Vaters, unterstützt Siegmund im Kampf gegen Hunding. Empört über diese Auflehnung greift Wotan ein, verwundet Siegmund tödlich mit dem Speer, erschlägt Hunding mit der Axt. Mit dem Blut des sterbenden Sohnes befleckt er sich, wütend verfolgt er Brünnhilde, die mit der nahezu antriebslosen Sieglinde zunächst fliehen kann. Sie sucht Zuflucht bei den Walküren, die von Alfred Mayerhofer im Gegensatz zu den übrigen Personen in ihren eher dezenten Alltagskleidern recht aufreizend aufgemacht sind, wenn sie schulterfrei, in Korsagen und in Pants auftreten, eben wie im Film. Der wird zitiert mit einem nostalgischen Plakat und der Aufschrift wir rufen dich. Und das soll wohl durch Bergsteiger-Kitsch an den Felsen denken lassen, auf dem sie sich versammeln. Auch wenn die Optik des letzten Aufzugs nicht immer ganz einsichtig scheint, der Schluss gelingt dafür umso eindringlicher, als der resignierte Wotan eine Feuerfront vor die schlafende Brünnhilde, sein kühnes, herrliches Kind, gelegt hat, als er nachsinnt und hofft; da nimmt ihn zu den letzten, leise verklingenden Takten der Musik ein Kind an die Hand und führt ihn weg – den künftigen Retter der Welt?

Das spannende Bühnengeschehen wird stimmungsmäßig bestens getragen von der Staatsphilharmonie Nürnberg. Denn Marcus Bosch entlockt dem Orchester auch feinste Nuancen, entfaltet großartige, nie grelle Gipfel, farbige Opulenz gerade in den Beschreibungen der Natur, Rauschhaftes, aber auch in ihrer Deutlichkeit plakativ erzählende Stellen. Nichts gerät dabei ausgewalzt oder langweilig, vieles ist sehr rhythmisch akzentuiert. Eines ist noch hervorzuheben: Die Sänger werden nie zugedeckt vom Orchesterklang. Und sie sorgen nicht nur stimmlich, sondern auch darstellerisch für eine fulminante Walküre. An erster Stelle ist da Antonio Yang als Wotan zu nennen. Er verkörpert in jeder Hinsicht überzeugend einen an seiner Macht leidenden, diese aber auch verteidigenden und sie genießenden Mann. Er ist ein leiser, fast philosophischer Herrscher, reagiert aber furchtbar, wenn er gereizt wird. Der Bariton aus Südkorea kann mit seiner wohl timbrierten, ausdrucksstarken, im Forte wie im Piano präsenten Stimme alle Nuancen des Innenlebens dieses menschlichen oder allzu menschlichen Gott-Vaters gestalten. Seine Frau Fricka, die angepasste High-Society-Frau, ist bei der attraktiven, mit einer hellen, manchmal etwas scharfen, aber nie harten Stimme ausgestatteten Roswitha Christina Müller bestens aufgehoben. Als Hunding begeistert Randall Jakobsh sowohl mit seinem durchtrainierten Oberkörper wie auch mit seinem kräftigen, dunkel-trockenen Bass. Ein vollendeter Genuss ist das Paar Siegmund-Sieglinde: Vincent Wolfsteiner gibt den jungen, verzweifelten Helden mit vollem, lyrisch bestimmten Tenor und spielt sehr glaubhaft den schicksalhaft in die zwangsverheiratete Sieglinde Verliebten. Irmgard Vilsmaier zeigt sie menschlich anrührend und singt die Partie mit ihrem voll tönenden, weichen, in den Höhen strahlenden Sopran einfach hinreißend. Rachael Tovey als Brünnhilde ist dagegen ein ganz anderer Charakter. Sie erweist sich immer wieder kämpferisch, zielgerichtet, von kontrollierten Gefühlen gesteuert und füllt diese starke Rolle bewundernswert aus; dazu kommt, dass sie mit ihrem großen, dramatischen Sopran dem adäquat Ausdruck verleiht, nie Schwächen zeigt, mit Stärke und Elan triumphiert. Ihre Kampfgenossinnen und Schwestern, die Walküren, sind nicht nur äußerlich eine verschworene Gemeinschaft, sondern sie bilden auch vom Klang her ein wunderbar harmonisches Ganzes.

Das Publikum der zweiten Vorstellung gerät vor Begeisterung fast aus dem Häuschen: Schon nach den jeweiligen Akt-Schlüssen feiert es die Sänger enthusiastisch, und am Ende möchte es die Protagonisten und den Dirigenten gar nicht mehr gehen lassen. Leider gibt es die Fortsetzung des Rings mit Siegfried erst im kommenden Jahr.

Renate Freyeisen

Fotos: Ludwig Olah