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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
28. Januar 2012
(Premiere)

Staatstheater Nürnberg


Points of Honor                      

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Gesang

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Am Ende der Tod

Eine Traviata der „epischen“ Art: Keine sentimentale love story, sondern die emphatische Analyse eines bewusst kämpfenden Wehrens gegen den Tod. Peter Konwitschnys „epische“ Deutung ist fokussiert auf die Strategien der Violetta gegen ihren Untergang – und schafft unerwartete Situationen: Da taucht die kleine Schwester des Alfredo auf, das macht sowohl Violettas Verzicht verständlich als auch Vater Germonts Insistieren. Und die Regie rekurriert szenisch konsequent auf die Dialektik von tragisch leidender und aggressiv-hilfloser Gesellschaft.

Johannes Leiacker entwickelt eine verstörend-schmucklose Bühne mit schwarz verschleierten, roten Vorhängen, die sich von Szene zu Szene öffnen – bis ins unendlich leere Schwarz.

Hrachuhi Bassenz verkörpert einen hoffnungsvoll-hoffnungslosen Kampf ums Überleben, streitet mit sich selbst, versucht nahezu panisch, Hilfe zu finden. Der so charismatischen armenischen Sängerin gelingt die Dialektik von emotionaler Leidenschaft und demonstrativer Deutung. Ihre variantenreiche Stimme vermag die so differenzierten Stimmungen der Violetta ergreifend auszudrücken, vermittelt Gefühle mit der Substanz ihres Timbres in beeindruckender Gestaltungskunst.

Fulvio Oberto als Alfredo ist ein unangepasster „Intellektueller“, Violettas irrende Hoffnung, aus dem Dilemma herauszukommen. Ein Sänger mit jugendlich-attraktiver Ausstrahlung, stimmlich kraftvoll durchsetzungsfähig mit bravourösen Passagen.

Mikolaj Zalasinski gibt einen nachdenklich-schützenden Germont, beeindruckt mit sonorem Bass-Bariton, geradezu rhetorisch in den deklamatorischen Phasen, enorm gehaltvoll im fulminanten Ausdruck.

Mit einer prononcierenden Judita Nagyova als Flora, einer intensiven Eleonora Vacchi als Annina, mit Philip Carmichael, Kurt Schober, Taehyun Jun und Vladislav Solodyagin als Gastone, Douphol, d’Obigny und Doktor komplettieren die Szene unbegriffen-egoistische Begleiter des Untergangs – darstellerisch und stimmlich auf den Punkt präsent.

Der Chor unter Leitung von Tarmo Vaask agiert als kollektive „Meute“, hat leichte Probleme im kollektiv-abgestimmten Singen.

Marcus R. Bosch und die Staatsphilharmoniker tun sich zu Anfang mit den gefürchteten „Humpta“-Passagen schwer, brauchen einige Zeit, um über den tradierten Traviata-Klang zu der von der Inszenierungs-Konzeption geforderten orchestralen Differenzierung zu finden.

Das Nürnberger Publikum wird atmosphärisch von den permanent spürbaren Emotionen der „neuen“ Klientel bestimmt. Riesen-Applaus für Solisten und Regie-Team. Für die eher skeptischen Alt-Abonnenten, die sich im Auditorium nicht artikulieren, gibt es anschließend im Foyer an vorbereiteten aneinandergereihten Tischkolonnen die gewohnt-geschätzte fränkische Gemütlichkeit,  die offenbar landesübliche  Form einer „Premierenfeier“.

Peter Konwitschny jedenfalls sind ersichtlich Felsen von den Schultern gefallen. Nicht nur, dass die weiterentwickelte Grazer Konzeption der Traviata enthusiastisch gefeiert wird, sondern auch, dass während der Arbeit in Nürnberg seine kreativen Selbstzweifel schwinden – und die als so unbefriedigend abgeschlossene Leipzig-Episode überwunden ist.

Konwitschny is back. Und damit seine  Art, aggressiv-aufklärendes Musiktheater zu entwickeln.

Franz R. Stuke

 

Fotos: Ludwig Olah