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Fakten zur Aufführung 

ROMEO UND JULIA
(Goyo Montero)
27. Februar 2014
(Premiere am 21. Februar 2009)

Staatstheater Nürnberg


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Von der Aussichtslosigkeit des Glücks

Es ist die wohl berühmteste Liebesgeschichte der Welt – die von Romeo und Julia. Die Tragödie der Liebenden, die schuldlos dem Hass, dem Verderben ausgeliefert sind, rührt auch den an, der Shakespeares Text nicht kennt. Nicht verwunderlich ist, dass sich ihrer große Komponisten wie Prokofjew angenommen haben und dass die Handlung, vor allem wenn sie ohne Worte, im Tanz dargestellt wird, noch einmal andere Gefühlsbereiche im Betrachter anspricht angesichts der Ausweglosigkeit des Schicksals. Das Ballett zu Prokofjews Musik hatte es anfangs schwer in Russland; allerdings konnte dann 1940 die Erstaufführung im Kirow-Theater in Leningrad einen beachtlichen Erfolg verzeichnen. Aber erst durch John Cranko in Stuttgart fasste das Werk auch im Westen Fuß, weil er Erzählung und Ausstattung straffend vereinfachte und die tänzerische Interpretation auf die Charakterisierung der Rollen konzentrierte. Mittlerweile ist Romeo und Julia das am meisten aufgeführte moderne Handlungsballett. Im Staatstheater Nürnberg feierte 2009 die Choreografie des spanischen Ballettdirektors Goyo Montero Triumphe; sie wurde vielfach ausgezeichnet und auch nach Madrid eingeladen. Auf vielfachen Wunsch des Publikums wird nun nach fünf Jahren mit der umjubelten Wiederaufnahme diese Erfolgsgeschichte fortgeschrieben.

Montero begeistert mit seinen innovativen Choreografien Fachwelt und Publikum. Für Romeo und Julia hat er sich als zentrale Figur, die alles bestimmt und lenkt, die „Queen Mab“, die Verkörperung des Schicksals einfallen lassen. Sie ist ständig präsent, Dreh- und Angelpunkt der düsteren Handlung, eine Art schwarze Hexe. Bei Shakespeare spricht Mercutio von ihr als von einem bösen, unsichtbaren nächtlichen Geist, der in das Hirn Verliebter einfahre, sie bedrückt, ihr Liebesglück verhindert, das fürchterliche Ende beschleunigt. Diese Mab mischt sich ständig auf der Bühne unter die Personen, beobachtet sie, führt die Figuren durch eine Art Suggestion zu Handlungen, die ihnen kaum bewusst sind, bringt etwa die beiden Liebenden zusammen und ist somit verantwortlich für deren Tod. Denn ihre beiden Familien sind hoffnungslos verfeindet. Noch durch ein zweites Element schafft Montero dramatische Verdichtung: Er hat einige Nebenfiguren gestrichen, vieles vereinfacht und auch in Absprache mit dem Dirigenten einige Nummern Prokofjews weggelassen, den zu langen Zweikampf von Romeo und Tybalt verkürzt. Vor allem auch die Einfachheit der äußeren Optik unterstützt diesen Effekt der dramatischen Verschärfung. Nichts lenkt hier ab. Durch das Bühnenbild und die Kostüme von Verena Hemmerlein werden die Konflikte stärker betont, überzeitlich deutlich, auf das Innere der Personen konzentriert. Hier gibt es keine Renaissance-Reminiszenzen. Links und rechts sind die Häuser der Capulet und Montague durch Gerüste markiert. Beim Ball entrollen sich davor rasch helle Stoffbahnen. Ansonsten weisen zwei große dunkle Blöcke auf die Unversöhnlichkeit der beiden Lager hin; diese Bühnenelemente können sich verschieben oder teilen. So entsteht daraus mit einfachen Mitteln der berühmte Balkon, von dem aus Julia ihren Romeo empfängt, und am Schluss, als die Totengeister schon präsent sind, verstellen diese Kuben den Weg ins Freie. Auch die heutige Kleidung der Ballett-Compagnie, der Bürger von Verona, ist schwarz, und so erzeugen die hellen Arme und Beine bei den eindrucksvollen, geschickt über den ganzen Bühnenraum verteilten, wechselnden Formationen quasi grafische Muster. Ihre synchronen Bewegungen verweisen auf die gleichgeschaltete Gesellschaft. Lediglich Romeo und seine Freunde sowie Julia und ihre Amme tragen andersfarbige Kleider – letztere als Zeichen der Unschuld weißlich hell, Romeo eher abgestuft nicht ganz so dunkel gewandet wie die Übrigen. Ansonsten dominieren Schwarz und Rot. Schwarz kommen alle schicksalsträchtigen Personen daher, so auch die Mutter und Tybalt. Rot ist als Hinweis auf Leiden und Gewalt zu erkennen auf Mercutios Hemd und, nach der Balkonszene, an Julias Kleid. Auch der Vorhang – sonst immer schwarz – ist vor der eigentlichen Katastrophe rot angeleuchtet und signalisiert so, als die schwarze Mab, die Schicksalsfigur, ihn berührt, Wellen von Blut, Blutströme. Unterstützt werden diese Hinweise auf das kommende tragische Geschehen noch durch Lichtspots und Lichtakzente von Olaf Lundt, bemerkenswert passend zur Musik Prokofjews.

Die Staatsphilharmonie Nürnberg setzt unter der Leitung von Guido Johannes Rumstadt die stets wechselnden Stimmungen, das gewalttätig Laute, auch die eher lyrischen Momente gut um, gefällt bei der Premiere bei den rhythmischen Ballungen und mit schönen instrumentalen Klangfarben. So können sich die 28 Tänzerinnen und Tänzer ausdrucksvoll entfalten. Und Montero verlangt ihnen einiges ab an gymnastischer Beweglichkeit, an akrobatischem Können. Die Ensembles, oft auch schmerzliche Laute äußernd, überzeugen durch ihre Variabilität, durch ihre Genauigkeit und überraschen immer wieder durch ungewöhnliche Figuren. Bei den Pas de deux und Pas de trois fällt vor allem auf, wie scheinbar locker, natürlich und geschmeidig Drehungen und Hebungen gelingen. Ein großes Plus dieser Ballettaufführung ist die Schicksalslenkerin Mab. Mit ihren langen schwarzen Haaren, ihrer flexiblen Gestik, ihrer starken Ausdruckskraft gestaltet Natsu Sasaki eine geheimnisvoll bedrohliche Figur zwischen Hexe, Geist und Todesbotin; selbst wenn sie singend Shakespeare-Worte spricht, kann sie diese alles bestimmende Macht bestens verkörpern. Natürlich richtet sich das Augenmerk vor allem auf Romeo und Julia. Romeo tritt als junger, unbekümmerter Mann auf, zuerst begleitet von seinen Freunden Benvolio und Mercutio. Christian Teutscher ist in diesem Trio der etwas Unscheinbarere, während Saúl Vega als Mercutio mit Hut und rotem Shirt sein überschäumendes Temperament auch in seinen Sprüngen ausleben darf. Dagegen scheint Romeo ein netter Junge, der sich gern mitreißen lässt von anderen. Carlos Lázaro stolpert so in die Liebe zu Julia hinein; wunderbar, wie er sich von ihr faszinieren lässt auf dem Ball, eher ferngesteuert, wenn er an dem schicken Tybalt, dem beeindruckenden Max Zachrisson, Vergeltung für Mercutios Tod übt, bedauernswert aber doch, wie er am Ende völlig verzweifelt ist über Julias scheinbaren Tod. Diese Julia, Marina Miguélez, zeigt schon von Anfang an, als sie noch irgendwie kindlich wirkt, dass sie eine eigenständige Persönlichkeit ist, voll innerer Kraft in ihren Bewegungen, dass sie überwältigt wird von der Liebe, sich ihr bewusst ganz hingibt, wenn sie etwa kopfüber am Balkon hängt. Sie ist die Aktive, sie nähert sich auf dem Ball Romeo und wehrt, auch wenn ihre Eltern, vor allem die herrische, elegante Mutter, Ana Baigorri, sie noch so sehr zur Heirat drängt, den schönen, aber etwas blassen Paris, Miguel Toro, entschieden ab. Am Ende, als sie den toten Romeo sieht, den ihr durch den Priester, José Hartado, angetrauten Ehemann, bricht sie über ihm zusammen, weint hemmungslos und vergiftet sich. Ungerührt von all diesen schrecklichen Ereignissen aber steht die Schicksalslenkerin Mab da. Sie hat weiter das Heft in der Hand.

Nach einer kleinen Pause der Erschütterung bricht im ausverkauften Opernhaus einhelliger, langer Jubel über diese packende Ballett-Premiere los. Eines kann man schon vorhersagen: Auch für die weiteren Vorstellungen wird es nicht leicht sein, an Karten zu kommen.

Renate Freyeisen

 

Fotos: Jesús Vallinas