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Fakten zur Aufführung 

IPHIGENIE EN TAURIDE
(Christoph Willibald Gluck)
27. Februar 2011
(Live-Übertragung im CinemaxX Essen)

The Metropolitan Opera New York


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Düster und doller

Die Schweizer Kollegen von Codex flores berichten von einem Interview, in dem Placido Domingo dem Independent mitteilt, dass er nach seinem 70. Geburtstag im Januar dieses Jahres nicht mehr auftreten werde. Er irrt – und beglückt damit die Menschen. Denn wie er in Glucks Iphigénie en Tauride den Oreste und mit 70 sein Debüt in einer Barockoper gibt, ist ein Erlebnis. Ein Erlebnis auch trotz größerer Tonstörungen für die Besucherinnen und Besucher des Cinemaxx Essen, die dieses Mal aus dem luxuriösen Saal in einen anderen umziehen mussten.

Glucks Iphigénie wird nicht vom Vater gekreuzigt, sondern kann auf die Insel Tauris fliehen, an deren Gestade 15 Jahre später ihr Bruder Oreste und sein treuer Gefährte Pylade stranden. Als Priesterin soll sie die beiden den Göttern opfern, was aber bekanntermaßen im Guten endet. Das Stück lebt mehr von der Emotion als von der Handlung. Darauf müssen sich die Zuschauer einstellen. Als Zuhörer erleben sie eine besondere Form der Barockoper, befreit Gluck die Musik doch von der Ornamentik der Barockoper und findet, wie er sagt, zu einer „schönen Einfachheit“: Klare Stimmführung und eine orchestrale Musik, die sich auf das Drama und die Ernsthaftigkeit der Situation konzentriert. Patrick Summers, musikalischer Leiter der Houston Grand Opera, dirigiert in der Met einen Gluck, der mehr an Verdi und Puccini als an Barockmusik erinnert.

Mezzosopranistin Susan Graham scheint die Rolle der Iphigénie zunächst auf den Leib geschneidert. Nuanciert durchlebt und -leidet sie die verschiedenen Stationen, schmeichelt mit Zartheit in der Stimme, leidet mit überzeugender Trauer und geht in den Arien auf. Allein am Außerweltlichen mangelt es ein wenig, was aber durchaus auch eher an Kameraführung und Licht liegen mag. Daneben ein Domingo, der die ganze Reife seines Lebens in seinen Tenor legt, ohne auch nur einen Hauch an Großartigkeit im Stimmklang zu verlieren. Daneben möchte mancher blass aussehen, und so kann man fast schon von Mut sprechen, wenn Paul Groves an seiner Seite den Pylade gibt. Er macht es brillant. Nur wenige Stellen, an denen Domingo seine Überlegenheit glänzen lässt, im Vordergrund steht der würdige Partner. Das Duett der beiden veranlasst gar das Publikum der Met zum Szenenapplaus. Dass Co-Darsteller wie Gordon Hawkins als Thoas, Julie Boulianne als Diane oder der Agamemnon Rob Besserer ihre Partien einwandfrei singen, versteht sich sozusagen von selbst und wird unter dem Glanz von Graham, Domingo und Groves eher hingenommen.

Apropos Glanz: Warum Stephen Wadsworth als Regisseur und Thomas Lynch und Neil Peter Jampolis bei Bühnenbild und Licht nur Düsternis und Verschwommenheit gelten lassen, ist nicht so einfach zu erfassen, schon gar nicht für den Kinobesucher, der streckenweise Mühe hat, die Figuren und deren Mimik zu erkennen. Selbst die meist wunderbare Choreographie eines Daniel Pelzig bleibt in Details unentdeckt im Dunkel des Tempels. Hier hätte man sich mehr gewünscht als Ausdruck emotionalen Tiefgangs. Selbst Jugendliche haben doch inzwischen begriffen, dass es mehr gibt, das Herz einer Freundin zu erobern, als die Helligkeit eines Raums auf Kerzenlicht zu reduzieren. So verschwindet die Emotionalität halbwegs im Dunkel. Bei den Kostümen von Martin Pakledinaz ist das nicht weiter schlimm. Er folgt der alten Met-Maxime: Lass die Künstler durch Gesang und Darstellung glänzen, dann können die Kostüme in Langeweile und Fantasielosigkeit erstarren.

In der Übertragungstechnik ist ein Standard auf angemessenem Niveau bislang immer noch nicht erkennbar. Glaubte man schlecht ausgerichtete Mikrofone nach den letzten Aufführungen schon der Vergangenheit angehörig, wurden die Zuhörer bei dieser Übertragung eines Besseren belehrt. Schwankende Tonqualitäten bis zum „Abriss der Stimme“ gehören plötzlich wieder dazu. Die Kameraführung wirkt eher sprunghaft als geplant wirkungsvoll und schließt das Publikum genauso konsequent aus wie das Orchester. In den Zooms beweist sie gar eine unglückliche Hand, wenn das Beben der Nasenflügel Grahams nach einer besonders anstrengenden Passage bis zur Beruhigung gezeigt wird. Gnädig bleibt da nichts, am Wesentlichen vorbei vieles. Da wünscht der Zuschauer sich, dass die Verantwortlichen in der Metropolitan Opera das Ganze vielleicht doch ein wenig ernster nehmen.

Während die Besucherinnen und Besucher der Met Graham, Domingo und Groves frenetisch feiern, den übrigen Darstellern den gehörigen Respekt zollen, tappen die Zuschauerinnen und Zuschauer durch einen dunkel bleibenden Kinosaal ins Freie und sind überzeugt, eine glänzende Aufführung gesehen zu haben, obwohl die Technik weit hinter den Erwartungen zurückbleibt.

Insgesamt ist allen Beteiligten zu wünschen, dass die Übertragungen auch in technischer Hinsicht das Niveau der Met-Aufführungen erreichen, damit noch mehr Zuschauer dem Reiz einer Transkontinentalübertragung erliegen. Verdient hat sie das ganz sicher.

Michael S. Zerban