Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

EINSTEIN ON THE BEACH
(Phillip Glass)
27. September 2012
(Premiere)

Brooklyn Academy of Music, New York


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Mythos ohne Handlung

Einstein on the Beach, Phillip Glass´ berühmtestes Musiktheaterwerk, ist eine von wenigen Opern, die genauso viel diskutiert wie wenig erfahren wird. Seit der legendären Inszenierung von Robert Wilson, die 1976 ihre Premiere in Avignon feierte, hat diese Opernkomposition nur ein einziger anderer Regisseur — Achim Freyer — auf die Bühne gebracht, weithin als ein Misserfolg bewertet. Nun wurde Wilsons Vision zum ersten Mal seit 20 Jahren in New York wiederhergestellt, als Teil einer jahrelangen Tournee, die in Montpellier begann und in Hong Kong im kommenden März beendet wird. Der Schwerpunkt liegt mittlerweile nicht mehr auf Glass, der dieses Jahr seinen 75. Geburtstag feiert und seine Neunte Symphonie zuletzt vollendete, sondern auf dem Schaffen des Regisseurs. Die Zusammenarbeit mit Glass, ganz im Sinne der Kooperation seiner Zeitgenossen John Cage und Merce Cunningham, fungiert als Gegensatz zum Gesamtkunstwerk, indem musikalische und visuelle Elemente gleichzeitig aber unabhängig entwickelt werden. Zu Glass´ mesmerisierender, minimalistischer Musik konzipierte Wilson seine Szenen als Porträts oder Stillleben, während die Choreographie von Lucinda Childs, auch vom Anfang an dabei, laut Wilson „die Landschaft… der tiefste Raum“ sein sollte.

Das handlungslose, Collage-artige Libretto entstand aus Texten des Dichters Christopher Knowles, des Schauspielers Samuel M. Johnson sowie von Childs selbst. Die Zuschauer können während der ungefähr vierstündigen Oper, deren vier Akte von knee plays, kurzen Übergangszenen, unterbrochen werden, kommen und gehen, wann sie wollen. Zwischen Hinweisen auf das Leben und Schaffen von Einstein wie Bam! Switzerland, 1905 werden sowohl Bezüge zur Popkultur der 1970-er Jahre hergestellt als auch zum Prozess der Erbin Patricia Hearst über einen Bankraub – jedoch in einem durchaus abstrahierten Kontext. Im ersten Bild drehen die Hauptdarstellerinnen Kate Moran und Helga Davis unsichtbare Knöpfe, Teil eines Räderwerks — „It could be Franky it could be very fresh and clean,“ so das Libretto — während der Chor Zahlen über einem absteigenden Orgel-Motiv rezitiert. Trotz des neo-expressionistischen, quasi absurden Stoffs ist die soziale Kritik von Glass und Wilson mehr als eindeutig: „In this court all men are equal. But what about all women?“ so der Richter. Neben immersiver musikalischer Stille entfalten sich minimalistische Arpeggios wie schnell bewegende Atom-Partikel, psychedelisch aber futuristisch in einem Streben nach dem Transzendentalen. Wilsons Bilder schweben genauso ungefesselt in der Zeit, mit charakteristischen Lichtstrahlen und kargen Strukturen, wie der Zug und das Raumschiff — zwei Haupthemen des Librettos — auf einem Bett vom jenseitigen Rauch gefangen.

Ebenso integriert sind Childs Tanzeinlagen mit eleganten, linearen Bewegungen, die geschickt auf den Akzenten und dem Fluss von Glass´ Partitur aufgebaut sind. Schade für die Zuschauer, die nach der Prozess-Szene das Theater der Brooklyn Academy of Music vorzeitig verlassen, um eine Pause zu machen. Zunehmend kann man sich in dem Zusammenspiel von Klang, Bild und physikalischer Darstellung verlieren. Moran, eine ausgebildete Tänzerin, die Childs ursprüngliche Rolle übernimmt, beeindruckt mit präzisen, robotorartigen Bewegungen sowie einer klaren Aussprache, die an die 1970-er Jahre erinnert, während die Chorsängerin Hai-Ting Chinn expressionistische Ausdrücke und stille Posen mit großer Kontrolle einnimmt. Das gestärkte Ensemble des Phillip Glass Ensembles singt mit Freude und Hingabe vom Graben des Theaters unter der Leitung von Michael Riesman, auch an den Keyboards. Die Ähnlichkeit des Solo-Geigers Antoine Silverman mit Albert Einstein, die durch die Maske unterstrichen wird, wirkt gewaltig; technisch hat man ein bisschen mehr erwartet, wobei die Rolle ursprünglich von Broadway-Musikern gespielt wurde. In der Operngeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde kaum ein anderes Werk noch zu Lebzeiten seiner Schöpfer zu solch unnachahmlichem Mythos.

Das Publikum im ausverkauften Theater ist sich der Einzigartigkeit bewusst und belohnt die Akteure mit großem Beifall.

Rebecca Schmid

Fotos: Stephanie Berger