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Fakten zur Aufführung 

DAS SPIEL IST AUS
(Jean-Paul Sartre)
22. März 2014
(Premiere)

Rheinisches Landestheater Neuss


Points of Honor                      

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Die zweite Chance

Eine Premiere hat keine zweite Chance. An diesem Abend im Rheinischen Landestheater Neuss bekommen immerhin die Protagonisten die Gelegenheit zum Neustart, bevor das Spiel aus ist. So der Titel des Stücks von Jean-Paul Sartre, das von der Freiheit des Menschen und seiner Unfähigkeit, damit umzugehen, erzählt.

In einem imaginären totalitären Staat wird Eve, Ehefrau eines Milizenchefs, von diesem vergiftet, und der Revolutionsführer Pierre wird am Vorabend der geplanten Revolution von einem kleinen Jungen erschossen. Aber bei Sartre gibt es weder Himmel noch Hölle, und so existieren die Toten in einer Dimension weiter, aus der sie die Lebenden beobachten, ohne Einfluss auf deren Geschicke nehmen zu können. Für die Toten scheinbar eine Idealsituation, sind sie doch jeder Konsequenz, die aus ihrem Handeln resultieren könnte, enthoben. Eben jener Fatalismus als Spiegel unserer gegenwärtigen Gesellschaft wird zum Fluch, als Eve zuschauen muss, wie ihre Schwester Lucette ins Verderben läuft, und Pierre erfährt, dass die Revolution verraten ist. Eve und Pierre bekommen Gelegenheit, in das Leben zurückzukehren, um sich als Liebespaar zu beweisen. Statt sich um ihre Liebe zu kümmern, damit sie weiterleben und -wirken können, versuchen beide, das zu früh beendete Leben fortzusetzen und die Konsequenzen ihres – unverschuldeten – Scheiterns abzuwenden. Vergebens. Wenn das Spiel aus ist, bleibt der Tanz. Das Leben der anderen geht weiter.

Zu diesem Schluss kommt Caro Thum, und das ist grundsätzlich nicht verkehrt. Wie es der Regisseurin gelingt, die beiden Welten der Toten und Lebenden für den Zuschauer klar auseinander zu halten, obwohl eine ständige Durchmischung erfolgt, ist schlicht brillant. Stella Kasparek schafft dazu eine Bühne, die im Prinzip aus zwei doppelstöckigen Arbeitsbühnen besteht. Die werden nach Bedarf verschoben, stellen zwei Welten dar, Wohnhäuser oder auch Tribünen. So einfach geht das, wenn man weiß, wie es geht. Die Kostüme sind für Könige, Gaukler, Soldaten, Ganoven und Gentlemen im Fantasiereich der Toten geschaffen; für die Lebenden entsprechen sie der Alltagskleidung aus der Entstehungszeit des Stücks. Das ist ebenso stimmig wie der Umstand, dass eine Madame Barbezat eine Sonderrolle als Mittlerin zwischen den Welten oder Verwalterin des Totenreichs einnehmen muss. Warum die Männerrolle aber nun im roten Rock mit weißer Bluse und weißen Kniestrümpfen, angedicktem Hinterteil und zwischenzeitlich blonder Perücke tuntig daherkommen muss, erschließt sich nicht und führt zur großen Schwäche der Inszenierung. „Wir zeigen mal, wie lustig Sartre sein kann“ mag zwar dem Mainstream entsprechen, nach dem grell, schrill und laut alles ist – Hauptsache, es ist Comedy – aber die Botschaft des Werks ist eine andere. Das wird in den ganz wenigen ruhigen Momenten der Aufführung allzu deutlich. Und da wird die Inszenierung richtig stark.

Untermalt wird das Stimmungsbild mit französischen Chansons. Eine dreiköpfige Live-Band treibt sich auf der Bühne herum, Madame Barbezat sorgt für den Gesang und wird dabei von den Schauspielern unterstützt. Unglaublich gut gelungen ist das Soundkonzept. Aber: Der Zuschauer kann sich allenfalls berieseln lassen. Nirgendwo gibt es eine Erläuterung zu den dargebotenen Chansons. Übertitel? Fehlanzeige. Das trägt dem Unterhaltungsgedanken Rechnung, in der Wirkung ist es schlicht verschenkt. Ähnlich nachlässig geht die Regisseurin mit dem Licht um.

Dabei hätten es die Schauspieler durchaus verdient, im rechten Licht dazustehen – und nicht den Verfolgern hinterherzulaufen. Claudia Felix begeistert als Eve Charlier nicht nur in der Darstellung, sondern auch in den Singstücken. Als Pierre Dumaine überzeugt André Felgenhauer in seiner Ernsthaftigkeit. Rainer Scharenberg meistert einerseits die Tuntenrolle der Madame Barbezat, ungeachtet ihrer Notwendigkeit, und fasziniert andererseits mit einem Gesang zwischen Jacques Brel und Marseillaise. Die zahlreichen anderen Rollen sind adäquat besetzt.

Henning Beckmann ist nicht nur für die musikalische Leitung, sondern vor allem für die mehr als gelungenen Arrangements verantwortlich. Auf der Bühne ist er selbst an der Posaune zu erleben. Ihm zur Seite stehen Daniel Brandl am Cello und Wolfgang Poppe am Akkordeon.

Dem Rheinischen Landestheater ist zu gratulieren, dass es ein solches Stück auf die Bühne gebracht hat. Davon müssten die Bühnen der Republik, nein, der Welt überquellen. Damit endlich wieder die drängenden Fragen gestellt werden. Und wir wieder zu richtigen Antworten kommen. Vielleicht muss Intendantin Bettina Jahnke das Stück einfach in die nächste Spielzeit verlegen. Dann lautet das Motto nämlich nicht mehr „spielen!“, sondern „Weisheit“.

Das Publikum dieses Abends braucht keine zweite Chance. Vereinzelte Begeisterungspfiffe gellen durch den Raum, langanhaltender, mäßiger Beifall bedenkt auch das Regie-Team.

Dass die Zuschauer gleich in Bussen angekarrt werden, ist wohl das Schönste, was einem Theater passieren kann. Dass die Busse allerdings mit ihren Abgasen den Eingangsbereich des Theaters verpesten, damit es die Senioren im Businnern zur Abfahrt schön warm haben, hat dann wieder mit dem verantwortlichen Handeln des Einzelnen zu tun. Und in den Bus wäre Sartre garantiert nicht eingestiegen.

Michael S. Zerban

Fotos: Björn Hickmann/Stage Picture