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Fakten zur Aufführung 

ORPHEUS IN DER UNTERWELT
(Jacques Offenbach)
9. April 2012
(Premiere am 1. Oktober 2011)

Landestheater Neustrelitz


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Revolte der Götter
- und die Öffentliche Meinung mittendrin

Wenn man über Inszenierungen von Jaques Offenbachs Operette Orpheus in der Unterwelt spricht, da fallen einem spontan eine Menge größerer Häuser ein, die mit diesem raffinierten Werk so ihre Schwierigkeiten haben. Hat Offenbach doch die alte griechische Mythologie benutzt, um seinerzeit gesellschaftskritische Töne anzuschlagen. Und wer dieses Werk heute auf die Bühne bringt, muss genau dieses tun, um angestaubtes Operettenklischee zu vermeiden. Das Landestheater Neustrelitz hat den Mut bewiesen, diesen Weg zu gehen, der Erfolg dieser Inszenierung gibt dem Haus recht.

Regisseur Manfred Straube hat mit sicherem Instinkt für das Machbare, mit großer Theater-Erfahrung und handwerklichem Geschick sowie dem nötigen  Fingerspitzengefühl ein modernes Bühnenerlebnis produziert. Da ist zunächst die gelangweilte Musikergattin Eurydike, die lieber ein Schäferstündchen mit dem Nachbarn pflegt als auf ihren spießigen Musikergatten Orpheus zu warten, der seinerseits nur seine jungen Musikschülerinnen im Kopf hat. Der Nachbar und  vermeintliche Schäfer Aristeus ist natürlich Pluto, Chef der Unterwelt und parodistisch dargestellt als Anshu Jain, künftiger Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bank, als Markenzeichen der hässliche Rucksack. Und Orpheus, Erfinder des Bass-Schlüssels, hat eine frappierende Ähnlichkeit mit einem Stehgeiger namens André Rieu. Eine einvernehmliche Scheidung wäre das einfachste, wenn es da nicht die Öffentliche Meinung gäbe, die vor allem darauf drängt, den Schein zu wahren. Eine optische Ähnlichkeit mit Maybritt Illner ist gewollt.

Nun nimmt das Drama seinen Lauf. Da die Öffentliche Meinung eine Scheidung nicht zulässt, fällt Eurydike kurzerhand einem giftigen Schlangenbiss zum Opfer und wird von Pluto in die Unterwelt entführt, wo sie sich allerdings nach kurzer Zeit wieder langweilt.

Zur selben Zeit herrscht Aufruhr im Olymp, der herrlich persiflierend als Bundestag mit Bundesadler und Rednerpult dargestellt wird. Peter Sommerer schafft hierfür das passende Bühnenbild. Die Götter im Olymp sind bekannte Politiker aus dem Bundestag. Allen voran der Göttervater Jupiter, der den jungen Franz-Josef Strauß imitiert und dabei versucht, die politischen Geschicke im Olymp, pardon, im Bundestag, zu lenken. Eines der Lieblingszitate Strauß' soll gewesen sein „Quod licet Iovi, non licet bovi“, übersetzt „Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt“, hat damit in dieser Inszenierung doppelte Bedeutung. Franz-Josef Strauß jedenfalls hätte das Spiel da unten auf seiner bajuwarischen Wolke sicher gefallen. Ihm zur Seite seine Frau Juno, vorzüglich dargestellt von Martina Block als Angela Merkel, die Gestus und Habitus der Kanzlerin mittlerweile vollständig verinnerlicht hat. Und auch die anderen Götter werden als prominente Politiker dargestellt. So erscheint Cupido als Ursula von der Leyen, Diana als Kristina Schröder, Venus ist Ilse Aigner, Merkur mimt Guido Westerwelle und Mars gibt Karl-Theodor zu Guttenberg. Sie alle beteiligen sich an der Revolte. Peter Sommerer, der neben dem Bühnenbild auch für die Ausstattung verantwortlich ist, Ela Bambul und ihr Team, die am Landestheater Neustrelitz für die Maske und die Perücken zuständig sind, haben hier ein Meisterwerk präsentiert. Regisseur Manfred Straube ist ein Meister der subtilen Komik. Sein Witz driftet nicht ins banale Operettenklischee ab, sondern ist hintergründig und spitzfindig. Mit Ironie und Augenzwinkern charakterisiert er die aktuelle deutsche und europäische Politikerzunft. Ihm ist es zu verdanken, dass diese Inszenierung nicht zu einer musikalisch-szenischen Posse verkommt.

Was die Neubrandenburger Philharmonie unter der Stabführung von Romely Pfund abliefert, hört sich gut an. Das Vorspiel ist spritzig und temporeich, die Spannung ist da, nur manchmal wünscht man sich eine bessere Differenzierung der einzelnen Orchestergruppen, besonders im Teufelsgalopp. Dafür ist das Violinsolo inspirierend, über die gesamte Vorstellung gesehen eine höchst ordentliche Interpretation.

Auch sängerisch ist diese Aufführung von höchstem Niveau. Allen voran die Sopranistin Christine Bath als Eurydike. Mit sicherer Intonation, strahlend hellen Höhen und perlend warmen Koloraturen meistert sie souverän alle Klippen dieser Partie. Besonders anmutig und mit farbenreichen Nuancierungen erklingt ihr Lied an den Tod. Sie überzeugt durch leidenschaftliche Spielfreude und verführt als Höhepunkt Jupiter im Fliegenduett mit sinnlichem Temperament. Alexander Geller als smarter Pluto überzeugt nicht nur durch seine spielerische Präsenz, sondern auch mit Belcanto-Gesang und tenoraler Strahlkraft. Robert Mehrwald besticht als Jupiter mit sonorem Bariton und zeigt vor allem im Fliegenduett seine gesanglichen und schauspielerischen Fähigkeiten.    

Andrés Felipe Orozco gibt den Orpheus mit tenoralem Schmelz und witziger André-Rieu-Persiflage. Sigurd Karnetzki verkörpert den Hans Styx nicht als vertrottelten Dummkopf, sondern anrührend als einen Jemand, der sich an sein Leben als Prinz von Arkadien vor seinem Tod zurücksehnt. Sein Couplet singt er einfühlsam und melancholisch. Svenja Kruse überzeugt mit glockenhellem Sopran als Diana, und Viola Zimmermann als Öffentliche Meinung mit tiefem Mezzosopran und dominantem Spiel.

Der Opernchor und Extrachor des Landestheaters ist durch Gotthard Franke nicht nur musikalisch bestens einstudiert, sondern animiert durch den Regisseur, der jedem Einzelnen eine eigene Identität als Politiker gegeben hat, auch spielerisch auf höchstem Niveau.

Die Deutsche Tanzkompanie Neustrelitz, hervorragend choreografiert von Winfried Schneider, hat ihren großen Auftritt mit dem vom Publikum sehnsüchtig erwarteten Can-Can, der, furios getanzt, wiederholt wahre Begeisterungsstürme hervorruft.

Am Schluss reagiert das Publikum mit großer Begeisterung und nicht enden wollendem Applaus für Sänger, Chor, Tanzkompanie, Orchester und Dirigentin. Es bleibt im Sinne des Genre Operette, aber auch für das Haus Neustrelitz und sein engagiertes Ensemble zu hoffen, dass sich der Vorhang nicht zum letzten Mal über diese Inszenierung geschlossen hat. 

Andreas H. Hölscher







Fotos: Joerg Metzner