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Fakten zur Aufführung 

GOTT IST EIN DJ
(Falk Richter)
9. Januar 2014
(Premiere)

Rheinisches Landestheater Neuss


Points of Honor                      

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Schein-Dialog in Versatzstücken

Als Falk Richter kurz vor der Jahrtausendwende sein Stück Gott ist ein DJ verfasste, war die schrecklichste aller Vorstellungen die radikale Selbstentblößung im Fernsehen. Menschen wie du und ich unter permanenter Kamerabeobachtung. Facebook kam später. Und es wurde viel schlimmer als Big Brother. Das Grauen über die Selbstentblößung ist längst dem Grauen über das Selbstverständnis der Selbstentblößung gewichen. In seinem Kammerspiel, das jetzt im Studio des Rheinischen Landestheaters Neuss Premiere hat, gibt Richter keine Antworten. Stattdessen zeigt er die Kunstwelt eines Paares, das das eigentliche Leben gegen eine mediale Performance eingetauscht hat. Und es passiert, was passieren muss: Die Grenze zwischen wahrem Leben und Phantasie verwischt, denn die Kamera kennt weder die Grenze noch deren Notwendigkeit. Was sich nicht abgrenzen kann, verliert seine Identität. Das stellt uns vor eine völlig neue Frage. Brauchen wir eigentlich eine eigene Identität?

Inzwischen sind Jahre ins Land gegangen, in denen uns die Technik möglicherweise verändert hat. Frank de Buhr trägt dem in seiner Inszenierung Rechnung. Inzwischen hat die Kamera die Faszination verloren, ist nur noch Mittel zum Zweck, ein Instrument, um Geschichten für das Internet aufzubereiten. Folgerichtig hat sich die Kamera auf seiner Bühne auf eine Handycam reduziert. Dass er damit längst weit hinter dem Stand der Technik zurückliegt, mag dem Text geschuldet sein, der noch nach dem Kabel verlangt, dass die Kunstwelt mit dem Medium verbindet. Auch das Dröhnen der Techno-Musik, das dem Stück bei seiner Aufführung während des Radikal-Jung-Festivals 2011 in Berlin noch gehörig Aufmerksamkeit bescherte, gehört der Vergangenheit an. Wen interessiert noch das Gewummere einer sinnentleerten Musik, wenn doch mittlerweile nahezu jede Form von Musik auf Mausklick abrufbar ist, ja, schon das Wort Mausklick antiquarisch klingt? Das Szenario allerdings hat de Buhr beibehalten. Eine für kurze Zeit berühmte Fernsehmoderatorin und ein Discjockey sind in ihrer Kunstwelt zu sehen. Eine Wohnung, die auf einem Plateau von wenigen Quadratmetern untergebracht ist. Ein Bett, ein Schallplattenspieler, eine Badewanne, eine Bank, die so etwas wie ein Esszimmer symbolisieren könnte, selbst das Urinal fehlt nicht. Auf dem Boden verstreut Vinyl-Schallplatten, ein paar leere Flaschen, nichts von Bedeutung. Nach hinten ist die Bühne von einer Kassettenwand abgeschlossen. Die einzelnen Kassetten bieten die Flächen für die Videoprojektionen der Filmproduktion Siegersbusch, die nicht weiter von Belang, aber ein nettes Accessoire sind. Rechts und links der Bühne sind Spiegel aufgebaut, die vordergründig als Garderobe dienen, im späteren Verlauf dem Publikum aber auch Ausschnitte des Publikums zeigen. Die Protagonisten werden von Svenja Göttler in graue, vielleicht silberfarbene Trainingsanzüge gekleidet, die ein wenig futuristisch anmuten, aber mit den drei weißen Streifen auf den Hosen auf den Markenwahn der Gesellschaft verweisen.

In solchem Umfeld entfaltet sich ein Dialog der Versatzstücke, der verdeutlicht, was gerade in den so genannten Sozialen Medien stattfindet. Nur scheinbar werden Geschichten erzählt, Philosophien und Gefühle ausgetauscht, Entscheidungen getroffen. Zurück bleiben keine Menschen, sondern Kunstfiguren, die sich selbst inszenieren, so gut es eben geht. Meist bleibt das im Ansatz stecken. De Buhr gelingt dabei das Kunststück, das Publikum nicht mit den Bildern von Facebook-Monitoren oder einer Anhäufung von Kameraleuten zu langweilen. Vielmehr entwickelt sich gerade deren Abwesenheit zur Bedrohung. Diese beiden Figuren „produzieren“ ihr Leben für die Virtualität, für etwas eigentlich nicht Vorhandenes. Die Jungschauspieler Sigrid Dispert und Jonathan Schlimmer spielen das mit einem Höchstmaß an Professionalität. Insbesondere Dispert glänzt in ihren überzeugenden Ausbrüchen.

Die Musik kommt hier vom Band und untermalt immer wieder gekonnt das Geschehen. Ob der Song Too Many Friends von Placebo, hier englisch dargeboten, nicht ein wenig plakativ ist, muss jeder für sich selbst entscheiden: „Ich habe viel zu viele Freunde. Viel zu viele Leute, die ich niemals treffen und für die ich niemals da sein werde. Weil ich einfach niemals wirklich da bin.“ Na ja.

Grenzwertig an dieser ansonsten brillanten Aufführung ist allenfalls das Publikum, das sich an diesem Abend geradezu medial konditioniert aufführt. Nicht alles, was auf einer Bühne stattfindet, ist Komödie, auch wenn bei einem privaten Fernsehsender meist Mario Barth auf einer Bühne zu sehen ist. Und die Schilderung einer Kindesmisshandlung ist ebenso wenig ein Schenkelklopfer wie der Versuch, jemanden zu töten. Manchmal allerdings ist es noch wie im richtigen Leben: Da haben die Dinge keinen rechten Anfang und kein rechtes Ende. Wenigstens das verunsichert das Publikum. Und so fällt der Applaus völlig zu Unrecht zögerlich aus. Für viele hoffentlich ein Grund, sich das Stück noch ein paar Mal anzusehen. Verdient hat es das auf jeden Fall.

Michael S. Zerban

Fotos: Björn Hickmann/Stage Picture