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Fakten zur Aufführung 

TIEFLAND
(Eugen d'Albert)
26. März 2011 (Premiere)

Staatstheater Mainz


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Hinausgeworfen in die böse Welt

Wir schreiben die Zeit um das Jahr 1900. In einer Gesellschaft, die sich selbst Genüge zu sein schien, hatten doch gerade die Physiker erklärt, die wesentlichen Rätsel seien gelöst (ja, dann kam Einstein!), wurden zunehmend Sigmund Freuds Begründungen seelischer Störungen zur Kenntnis genommen. Frühkindliche Traumata, vor Freud kein Thema. Und plötzlich ein Opernthema, als Eugen d’Albert 1902/03 seine Oper Tiefland komponierte.

Am Staatstheater Mainz hat Katharina Wagner eine Neuinszenierung vorgelegt, die bei aller überfrachteten Grellheit der Bühne die Wunden jener Marta bloß legt, die Opfer des herrischen Machtmenschen Sebastiano wird, der hier in Mainz dekorativ in einem Bischofsgewand auftritt. Das mag allzu gierig nach dem Skandalthema „Missbrauch“ riechen, doch eine Aktualisierung dieses Opernstoffs vom naturalistischen Gegensatzpaar „unschuldige Bergwelt“ kontra „böse Verstrickungen in der Stadt“ ist natürlich dringlich geboten.

Bühnenbildnerin Monika Gora hat der Regisseurin eine Szene bereit gestellt, in der Katharina Wagner ihre teilweise deftigen, symbolschwangeren Ideen umsetzen kann. Der unschuldig-naive Berghirte Pedro – Tenor Alexander Spemann singt ihn im Lauf des Abends immer stärker und intensiver in der emotionalen Brüchigkeit dieser Figur – sitzt zuerst friedvoll in seinem pyramidal geformten Zelt, während dahinter abstrahierte Linien Gebirge assoziieren. Doch die Idylle einschließlich Stofflämmern und Kuschel-Sennehund trügt, die Gegenwelt greift mit Händen nach Zelt und Hirt. Hinausgeworfen in die schnöde Welt, eben jenes „Tiefland“, um dort auf Befehl des Bösewichts die schöne Marta zu ehelichen (Bischöfe brauchen den schönen Schein, so der plakative Bezug!), gerät der arme Kerl in ein regelrechtes Sodom. Vor greller, ziemlich überfrachteter Jahrmarktskulisse wird kopuliert, was die Stoffpuppen hergeben (Kostüme: Thomas Kaiser), und Pedro gerät ob der surrealen Umstände in extreme Verwirrung.

Denn Marta, von Sonja Mühleck in dramatischer Zuspitzung als vom Leben und der Kindheit gequälte Existenz gesungen und gespielt, traut ihrem Bräutigam nicht. Sie hält alle Menschen für ebenso verderbt wie ihren Peiniger: Heikki Kilpeläinen gibt ihm mit schönem Charakterbariton abgründige Züge. Wenn sich am Ende der Knoten löst, Pedro den Sebastiano erwürgt und Marta ihn mit dem Prügel ins Gemächt verstößt, gelingt Katharina Wagner ein eindrucksvoller Schluss: Die Liebenden entfleuchen nicht beglückt in die Bergwelt zurück, wie im Libretto vorgesehen, sondern Marta umarmt trauernd, ja schicksalhaft wie in der griechischen Tragödie den bösen Herrn, der sie zerstörte. Damit wird Verletztheit auf dem neuesten Stand der Erkenntnis vorgeführt, dass nämlich oft ein seltsames Band Täter und Opfer umschlingt.

Catherine Rückwardt lässt das Philharmonische Staatsorchester Mainz groß aufspielen, denn sie reizt die mit Leitmotiven befrachtete Musik von Eugen d’Albert exzessiv aus. Die mittleren Partien sind gut besetzt, denn Susanne Geb, Patricia Roach, Katherine Marriott als wilde Weiber, die hemmungslos die Männer bereiten, werden schrill aufgestellt; der sonore Bass von Hans-Otto Weiß taucht als Dorfältester Tommaso clownesk aus der Mülltonne, und Tatjana Charalgina gelingt als behinderter Nuri eine packende Darstellung. Patrick Probeschin (Moruccio), Alexander Kröner (Nando) und die kleine Svenjy Köll (Marta als Kind) komplettieren das Ensemble. Chor und Statisterie werden als Gehilfen und Büttel der Macht gezeigt.

Das Publikum honorierte das Drama einer großen Verstörung mit viel Beifall und wenigen, schüchternen Buhs.

Eckhard Britsch

 







Fotos: © Martina Pipprich