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Fakten zur Aufführung 

WOZZECK
(Alban Berg)
6. Juni 2012
(Premiere am 10. November 2008)

Bayerische Staatsoper, München

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Ach, wir arme Leut'

Dreieinhalb Jahre ist diese Aufführung schon alt, doch die Wiederaufnahme hat nicht etwa Staub angesetzt. Sie wirkt nach wie vor modern und – ja, irgendwie kühl. Als der damals noch neue Intendant Bachler den aus Magdeburg stammenden Regisseur Andreas Kriegenburg mit der Inszenierung beauftragte, wusste noch niemand, dass wir am Vorabend einer weltweiten Finanzkrise stehen. Die Inszenierung Kriegenburgs wirkt wie eine Vorwegnahme dieser globalen Katastrophe. Sein Regieansatz ist eine kühle, distanzierte Betrachtung der Unüberwindbarkeit der Klassenschranken. Wozzeck und Marie sind Opfer der sozialen Verhältnisse. Auf beklemmende Weise unterstützt das Bühnenbild diesen Zugang zu Büchners Fragment: Ein karger Guckkasten, einer Gefängniszelle gleichend, den der Bühnenbildner Harald B. Thor etwas über dem Bühnenboden in der Luft aufgehängt hat. Dort spielen die Szenen in Maries Wohnung, die Anfangsszene mit dem Hauptmann – alle anderen Bilder finden vor dieser Box statt. Der optische Eindruck dieses Bühnenbildes ist beklemmend und schön zugleich, von  ästhetischer Klarheit, doch sicherlich kein Wohlbefinden suggerierend. Gleich zu Beginn füllt sich der Bühnenboden leicht mit Wasser, das die Darsteller die gesamte Stückdauer hinweg durchwaten müssen. Gummistiefel verhindern nasse Füsse. Die Wasserwelt, die als Schattenspiel einer sich kräuselnden Seeoberfläche über die gesamte Bühne projiziert wird, deutet das Ende an - hier am Ufer des Sees wird Wozzeck Marie töten. Die Kostüme, farblich abgestimmt auf den schmutzig-ockerfarbenen Guckkasten, sind teilweise äußerst skurril. Der Hauptmann grotesk verfettet, der Doktor im Sado-Maso-Outfit treiben das Geschehen der Verhöhnung ihres Opfers Wozzeck ins Skurrile. Die Kostümbildnerin hat diese beiden Darsteller, Wolfgang Schmidt als Hauptmann und Clive Bayley als Doktor, doch ein wenig geplagt, so hat es den Anschein.

In der Zweitbesetzung glänzen Georg Nigl als Wozzeck und Waltraud Meier als Marie. Die stimmlichen Leistungen dieser durchwegs extrem schweren Partien sind brillant. Ebenso das exzellente Staatsorchester unter der Leitung von Kent Nagano meistert diese schwere Partitur scheinbar mühelos. Das Wort scheinbar bezieht sich hier auf die Einstudierung der legendär gewordenen Erstinszenierung. Sage und schreibe 137 Proben waren nötig, bis das Werk 1925 in Berlin zur Uraufführung gelangte. Die scheinbar formlose Atonalität der Musik folgt einem strengen Formwillen, den der Komponist der Vertonung des Librettos zugrunde legt. Büchners ursprünglich 25 Szenen sind auf 3 Akte mit je 5 Bildern verkürzt. Bei Kriegenburg wird die Figur von Andres, dem Sohn von Marie und Wozzeck, gespielt von Kevin Conners, mehr in den Mittelpunkt gerückt, als dies sonst bei Inszenierungen dieser Oper üblich ist.

Die Personenregie wirkt leicht vernachlässigt. Das könnte dem holzschnittartigen Arbeitertheaterduktus geschuldet sein, den der Regisseur vermutlich angestrebt hat. Er lässt Statisten in schwarzen Anzügen mit Schildern, auf denen "Arbeit" steht, gewissermaßen "demonstrieren", wie schlecht es den verelendeten Massen geht. Er lässt sie auf Knien rutschen und wie Lastesel in dieser Haltung den triumphierenden Tambourmajor, dargestellt und gesungen von Roman Sadnik, über die Bühne tragen. All das hat etwas Zeigefingerartiges, eine gewisse Agit-Prop-Attitüde, die sich zwar mit der Handlung von Büchners Drama gut verträgt – wer arm ist, wird es bleiben und die besser Situierten schinden ihn und nutzen ihn schamlos aus – aber irgendwie braucht Büchner diese Verstärkung nicht, sein Text und die Handlung allein sind stark genug, um die Botschaft zu transportieren.

Die Volksszenen des Chors, einstudiert von Sören Eckhoff und choreografiert von Zenta Haerter konterkarieren die düstere Grundstimmung durch Feste, Saufgelage und "niedere Triebe". 

Am Schluss jubelt das Publikum, nahezu ausser sich vor Begeisterung. Das erstaunt und erfreut angesichts dieser wirklich "schweren Kost".

Christina Haberlik



Fotos: Wilfried Hösl