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Fakten zur Aufführung 

TURANDOT
(Giacomo Puccini)
7. Dezember 2011
(Premiere am 3. Dezember 2012)

Bayerische Staatsoper München

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Gesang

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Rausch der Bilder

Giacomo Puccini saß mit einigen Freunden in einem Restaurant, man aß, man trank und man spann kreative Ideen. Einer am Tisch - ob es der Librettist Giuseppe Adami war oder der Kritiker und Dramaturg Renato Simoni, ist nicht verbürgt - erzählte von Carlo Gozzis Stück von der eiskalten Prinzessin Turandot, die keinen Mann erhören will. Wenn der Freier nicht in der Lage ist, drei Rätsel zu lösen, ist er des Todes. Puccini, immer neugierig auf ungewöhnliche Geschichten, fand den Text faszinierend und machte sich ans Komponieren - so könnte es gewesen sein.

Neu erzählt wird dieser Stoff um Macht, Grausamkeit und die Kraft der Liebe nun in der Bayerischen Staatsoper zu München. Regie führt Carlos Padrissa, Gründungsmitglied der katalanischen Theatertruppe La Fura dels Baus, die einst mit Kettensägen auf der Bühne wütend ihr Publikum erschreckten. Nun - vom Establishment aufgesogen - hat der Haifisch die Zähne gezogen bekommen und erregt schlimmstenfalls noch mit provokanten Bildern Anstoß und überrascht hoffentlich mit guten Ideen. Es funktioniert nach dem Prinzip: wir laden uns jemanden ein, der die spektakulären Einfälle für die zeitgemäße Umsetzung hat - und stülpen es der unantastbaren Vorlage von Musik und Gesang über. Dieses - inzwischen allgegenwärtige - Spiel kann niemanden mehr ernstlich ärgern oder gar schocken, und so zeigt sich das Publikum experimentierfreudig-gelassen.

Zunächst wird der Zuschauer mit einer 3D-Brille ausgestattet, ohne die er noch nicht einmal das Programmheft lesen könnte, und dankenswerter Weise wird da, wo während der Vorstellung die deutsche Übersetzung der italienischen Texte zu lesen ist, ein  Brillensymbol eingeblendet, sobald es etwas in der dritten Dimension zu sehen gibt. Tout le monde greift artig zur Pappbrille mit der transparenten roten und grünen Folie - und raschelt ärgerlich dabei.  Zentrales und wandelbares sowie bühnenbeherrschendes Element der Aufführung ist ein kreisrundes Gebilde, spiralförmig der Verschlussblende einer Kamera nachgebildet, das aus dem Schnürboden herabschwebt und verschiedene Gestalt anzunehmen vermag: mal ein riesiges Auge, mal ein Thron, mal Gong, mal Guillotine.

Die Geschichte ist die alte: Die eiskalte Prinzessin Turandot will nach wie vor keinen Freier erhören, der nicht in der Lage ist, alle drei ihrer höchst verklausulierten Rätsel zu lösen. Das Volk ist blutrünstig und gierig nach dem nächsten Opfer. Keiner hat es bisher geschafft - und nun will Calaf, der unbekannte Prinz, um den Preis seines Lebens das Herz der Prinzessin "enteisen" - und ist dabei unfassbar siegesgewiss. Interessant ist heute, warum die Geschichte damals, 1920 und in den Folgejahren, den Librettisten, den Komponisten und das Pubikum fesselte: Es war die Zeit des Antifeminismus, eine männerhassende und letztlich männermordende Zentralfigur war von daher hoch willkommen; es war die Zeit einer ersten Chinabegeisterung, im fernen Europa fand man ein Stück, das dort spielte, herrlich exotisch.

Warum China, und ein Stoff, der dort angesiedelt ist, heute ungemein spannend ist, liegt auf der Hand: China befindet sich seit einer Zeitspanne von zirka drei Dekaden in einem Umbruch, der in einem atemberaubenden Tempo Zeitalter überspringt und auf dem Weg ist, eine Weltmacht zu werden, die zum Sprung ansetzen könnte, so mächtig zu werden, wie China es in früheren Dynastien bereits gewesen ist. Der chinesische Drache hat nur geschlafen und Kräfte gesammelt.

Das scheinen Padrissa und seine Fura-dels-Baus-Kollegen gespürt, gesehen und geahnt zu haben, als sie 2009 und 2010 in Shanghai damit beschäftigt waren, einen Beitrag für den Themenpavillon der Expo zu erarbeiten. Das gab ihnen Gelegenheit, Land, Leute und Mentalität zu studieren. Und freilich - kaum eine Geschichte eignet sich als Allegorie besser als Turandot. Diese Oper, die ohnehin gleichnishaft funktioniert, ist bestens geeignet, die heutigen Entwicklungen in China im Spannungsfeld von Tradition und Moderne zu erzählen. Turandot, die Unerbittliche, die Eiskalte, verhärtete, machtheischende Prinzessin steht für das traditionelle, rigide, autoritäre China. Liu, die Sklavin, die ihr die Macht der Liebe vor Augen führt, steht für das weiche, das humane Prinzip, das hoffentlich ein Bestandteil eines modernen und reformierten Chinas sein wird. Beschrieben wird eine Entwicklung vom einem Pol zum anderen - von der Kälte in die Wärme, wenn man so will - und dazu taugt das Märchen Gozzis allemal.

Dies alles ist in wirksame, mächtige Bilder übersetzt von einem kongenialen Bühnenbildner, den man sich merken muss: Roland Olbeter. Angefangen beim bereits erwähnten kreisrunden Objekt, über Projektionen an der Rückwand der Bühne, die mal Meer, mal Rauchgebirge, mal Eislandschaft oder den Großstadtdschungel des heutigen Peking zeigen. Ganz besonders stark ist das Bild des Schlussaktes, wenn die Bühne zum Bambuswald wird. Bambus steht für Folter oder besser Tötung durch Pfählung und ist die Todesart, die man für Liù gewählt hat, weil sie den Namen des unbekannten Prinzen nicht preisgeben will.

Der Kostümbildner Chu Uroz, den Pedrissa aus Barcelona mitgebracht hat, ist Fura-dels-Baus-erprobt. Er feuert ein Kostümfeuerwerk ab, das einfach gewaltig ist. Man nehme einen Chor, einen Extrachor, einen Kinderchor und acht Protagonisten und stecke sie in individuelle Kostüme im Chinalook - das Mammutwerk ist geglückt.

Die Amerikanerin Jennifer Wilson, Sopran, singt mit der Titelpartie der Turandot diesselbe Rolle, mit der sie schon 2002 an der Connecticut Oper debutierte. Sie ist stimmlich sicher und präsent und kann in ihrer Arie In questa reggia, in der sie vom Grund ihrer Verbitterung, vom Raub ihrer Ahnfrau durch die Tartaren berichtet, überzeugen. Die "böse",  eiskalte, grausame Prinzessin - diese Figur gelang Pucchini. Da die Oper ein Fragment blieb - aus Krankheitsgründen hatte es Puccini nicht geschafft, das Werk zu Ende zu bringen - hiess es immer wieder, der Komponist sei an der Wandlung der Figur vom Bösen zum Guten gescheitert. Wohl hatte Puccini genau an der Stelle, als sie Gefühle zu Calaf zulässt, eine Schaffenskrise, sodass man ihm dies als Grund unterstellte.

Viel zu spielen hat sie in dieser Inszenierung nicht - Personenregie, so hat es den Anschein, hat kaum stattgefunden. Die Personen wirken extrem statisch, der Bilderrausch lässt es auch oft kaum zu, sich auf Musik und Spiel der Figuren zu konzentrieren.

Pedrissa verlässt sich auf seine starken Bilder, was der Lebendigkeit der Figuren schadet. Sie vermitteln sich kaum als Charaktere. Lediglich die Moskauer Sopranistin Ekaterina Scherbachenko als Liù gestaltet ihre Figur und ist stimmlich überlegen. Sie bekommt Szenenapplaus und Bravo-Rufe während der Vorstellung. Marco Bertis Calaf ist etwas steif und sein Nessun dorma sicher nicht annähernd so spektakulär wie der Durchbruch eines Paul Pott mit dieser Arie, doch auch hier ist oft sein steifes Verharren am Rande der Szene eher ein Versagen der Regie als des Darstellers.

Und für Zubin Mehta - er wird umjubelt wie ein Popstar - ist es ein Heimspiel mit ehemals "seinem" Orchester der Staatsoper München. Pucchinis fremdländische Musik wird grandios gespielt, allein - Reizüberflutung verhindert oft ein Hören und Fühlen, die Bilder fordern alle zur Verfügung stehende Aufmerksamkeit.

Puccini hat seine letzte Oper als Fragment hinterlassen. Er soll eine "kreative Ladehemmung" gehabt haben, würde man heute sagen. Es fehlte ihm der Schluss - er fand keine musikalische Übersetzung für die Wandlung der Turandot von der eiskalten zur durch Liebe vermenschlichten Titelheldin. Er verstarb in Brüssel, noch ehe er das Werk vollenden konnte. Das übernahmen andere für ihn.

In München verzichtet man konsequenterweise auf Fremdkompositionen. Padrissa endet mit Original-Puccini: Ohne erlösenden Kuss - aber mit einer Versöhnungsgeste und Annäherung der beiden Hauptakteure Turandot und Calaf.

Nichtsdestotrotz, das Publikum klatscht begeistert. Scherbachenko ist die große Gewinnerin des Abends und mit ihr die spektakulären Bilderwelten auf der Bühne. Eine Zukunftswelt des Jahres 2046, abgeschaut beim nun schon fast 30 Jahre alten Blade Runner - das war es, was Pedrissa vorschwebte. Das ist nicht, was man auf der Bühne sieht. Die Aufführung ist  bei weitem unspektakulärer als dieser Jahrhundertfilm es damals war. Dennoch: eine sehr ungewöhnliche und daher sehr sehenswerte Turandot. Ein insgesamt gelungener Abend.

Christina Haberlik

 






 
Fotos: Wilfried Hösl