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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
9. November 2013

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


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Botschaft angekommen

Eigentlich ist diese Liveübertragung an sich nichts Besonderes. Die aktuelle Produktion der Met wird bereits zum zweiten Mal im Kino gezeigt. Intendant Peter Gelb hat sich 2009 auch großen Unmut zugezogen, als er das große, beim Publikum sehr beliebte Ausstattungstheater von Franco Zeffirelli durch eine Neuinszenierung der Tosca von Luc Bondy ersetzte. Dessen Sicht auf das Drama mag zuerst einmal durchaus dem Verismo-Konzept Puccinis entgegen kommen. Richard Peduzzi hat große, kalte Backsteinmauern entworfen und zu unterschiedlichen eckigen Räumen geformt. Deutlich erkennt man Kirche, Palast und Burg. Allerdings ohne irgendwelche Anspielungen auf Rom. Selbst den Engel des Kastell Sant Angelo sucht man vergeblich. Die Kostüme von Milena Canonero sind nicht besonders aufregend, aber die Rollen sind optisch passend eingekleidet.

Bondy setzt auf eine gestraffte, mitunter aber auch sehr plakative Personenführung. Beispielsweise beim Te Deum: Sogar der alte, tattrige Würdenträger darf in diesem Klischeebild nicht fehlen, und Scarpia wirft sich der Madonna-Statue an den Hals. Die anwesenden Kirchgänger wenden sich entsetzt, aber machtlos ab. Effektvoll, aber irgendwie auch überflüssig ist die Flucht Angelottis in die Kirche inszeniert: Der muss an einem Seil von oben an der Mauer herabklettern, um sich in der Kapelle zu verstecken. Paula Williams hat Bondys Produktion wieder einstudiert und ein paar Details neu hinzugefügt. Kaum dramaturgisch begründet scheint das Schachspiel zu sein, das der Gefängniswärter dem verurteilten Cavaradossi aufzwingt. Hier wird ganz offenbar Zeit überbrückt. Dafür geraten zentrale Szenen umso zwingender. Sehr flüssig und nie aufgesetzt ist das erste Treffen des Liebespaares Tosca und Cavaradossi umgesetzt. Nahezu perfekt ist die Stimmung auf der Bühne im grausamen zweiten Akt eingefangen. Unverhohlen sadistisch gehen die Schergen Scarpias miteinander, aber auch mit Tosca und Cavaradossi um. Ihren Höhepunkt erreicht das Drama folgerichtig kurz vor der Ermordung Scarpias. Tosca überwindet sich förmlich, die Tat vorzubereiten, wenn sie das Messer versteckt. Dann entlädt sich ihre Anspannung in einer grausamen Bluttat, bevor sie selbst weinend zusammenbricht, sogar überlegt aus dem Fenster springt.

Patricia Racette spielt diese Momente ganz groß aus. Das ist theatralisch wirksam und gleichzeitig emotional nachvollziehbar. Ihre Stimme stößt zwar manchmal an Grenzen, doch die technische Bewältigung steht ihrer Gesamtwirkung kaum nach. Die Aufführung gewinnt zusätzlich an Authentizität, weil die Bühnenchemie zwischen ihr und Roberto Alagna spürbar stimmt. Alagna zeigt sich stimmlich in beachtlicher Verfassung. Auch wenn er seinen Tenor sehr unter Druck in die Höhe treibt, verliert seine Stimme nie an Schönheit. Vor allem die berühmten Höhepunkte der Partie weiß er effektvoll zu präsentieren. Mimisch kehrt Alagna etwas sehr den sympathischen Strahlemann hervor. Dass George Gagnidze nicht unbedingt über das schönste Material verfügt, ist für den Scarpia sicher kein Nachteil. Mit stechenden Blicken und mächtiger Stimme ist er für Alagna und Racette ein würdiger Gegenpart, der auch nichts an boshafter Süffisanz vermissen lässt. Hohes Niveau erlebt man in zwei Nebenrollen: John Del Carlo ist der kauzige Messner und Richard Bernstein ein stimmstarker Angelotti. Der von Donald Palumbo einstudierte Chor der Met verfügt im Te Deum zwar über ordentliche Masse, ohne aber wirklich zu beeindrucken. Auch Riccardo Frizza am Pult des Metropolitan Opera Orchesters kommt über eine souveräne Begleitung der Oper nicht hinaus. Sicher spielt das Orchester weitgehend tadellos, und Frizza lässt sie besonders ausführlich in Sentimentalitäten baden. Doch die Brutalität, die schmerzlichen Möglichkeiten der Musik werden nie vollständig getroffen.

Die Kameraregie scheint diesmal sehr viel besser vorbereitet als sonst und verliert nur wenige wichtige Momente aus den Augen. Dafür unterläuft der Tontechnik ein schwerer Fehler: Ein Mikrophon hinter der Bühne steuert mehrere Minuten im zweiten Akt das Schmatzen eines Kaugummis und das energische Räuspern zur Musik bei. Die Atmosphäre wird davon glücklicherweise kaum beeinflusst, und nach Scarpias szenisch wie musikalisch entfesselter Ermordung sieht man viele betroffene Zuschauer. Eine ältere Dame flüstert ihrer Nachbarin zu: „Das habe ich nicht erwartet. So was mag ich schon im Tatort nicht sehen. Heute Nacht habe ich wieder Albträume.“ Nachdem die Übertragung beendet ist, und die Zuschauer des fast ausverkauften Saales dem Ausgang zugehen, bleiben einige noch sitzen. Verweinte Gesichter zeigen, dass Puccinis Werk genau diese Aussagekraft hat, die er der Oper geben wollte: „Die Stimmung der Tosca ist nicht romantisch und lyrisch, sondern leidenschaftlich, qualvoll und düster... Bis jetzt waren wir sanft, jetzt wollen wir grausam sein.“ Diese Botschaft ist offensichtlich angekommen.

Christoph Broermann



Fotos: Marty Sohl