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Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
26. Januar 2013
(Premiere am 19. Januar 2013)

Städtische Bühnen Münster


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Für die Geschichte

Irrungen im Publikumstrubel: Ein freundliches, unsicher wirkendes Ehepaar drängt sich in die vollbesetzte zweite Reihe des Großen Hauses auf der Suche nach ihren Plätzen. Ein Zuschauer wirft einen Blick auf die Karten und stellt fest: „Sie sind im falschen Theater, hier hören sie heute Abend Tosca“, worauf die beiden ins benachbarte, ebenfalls ausverkaufte Kleine Haus zum Sommernachtstraum eilen. Die zweite Vorstellung der Tosca wird auch dank der großartigen Premierenkritiken, die Sopranistin Allison Oakes und Tenor Adrian Xhema feierten, mit Spannung erwartet. Doch der Besetzungszettel lässt ein vermeintliches Unglück erahnen, die Ansage vor dem Vorhang bestätigt es: Adrian Xhema alias Maler Cavaradossi wird heute nicht vom Polizeichef Scarpia gequält, sondern von der Grippe. Aus Bremen eilt am Mittag vor der Aufführung Luis Olivares Sandoval herbei und muss nicht nur im Eilverfahren die Regie von Achim Thorwald lernen, sondern auch eine leicht andere Fassung des Cavaradossi. Denn erstmalig in der Geschichte der Tosca wird die Oper mit den von Puccini noch vor der Uraufführung vorgenommen Änderungen aufgeführt. Das sind ein paar geänderte Textzeilen hier, einige abgeänderten Melodieführungen da. Besonders bemerkbar machen die sich bei Scarpias Tod und im Finale des dritten Aktes. Ein gelungenes und spannendes Experiment, das zeigt, dass es selbst bei vermeintlich durch und durch bekannten Opern wie Tosca immer noch etwas neues zu entdecken gibt.

Eine Aufführung also für die Geschichte, und Regisseur Achim Thorwald erzählt relativ brav und liebevoll die Geschichte der Oper. Insbesondere im ersten Akt bleibt die Szene aber etwas zu blass. Eine kleine Episode nebenher: Eine Nonne trifft sich heimlich mit einem Schergen Scarpias, verschwindet mit ihm durch eine Geheimtür, beide kommen später wieder heraus. Eine verbotene Affäre, eine Beschattung des politischen Flüchtlings Angelotti? Das bleibt der Fantasie des Zuschauers überlassen. Den Chor lässt Thorwald ganz kreuzbrav nach und nach zum Te Deum aufmarschieren und sich schön formieren. Atmosphäre jeglicher Art ist im ersten Akt noch nicht spürbar, bis dahin ist jeder Münster-Tatort spannender. Erst ab der Mitte des zweiten Aktes bekommt die traditionelle Inszenierung der Tosca das ihr zustehende Flair eines Thrillers. Nach der Ermordung Scarpias sucht die Sängerin verzweifelt einen Ausweg aus dem marmorkalten, weißen Einheits-Bühnenrund von Heiko Mönnich, der allerlei Geheimtüren enthält und sich sowohl wie eine Kirche als auch wie ein Palazzo herrichten lässt. Für die Engelsburg kommen ein paar blutverschmierte Säulen als Hinrichtungsstädte hinzu. Den auffälligsten Eingriff nimmt Thorwald am Ende vor, wenn Tosca nicht hochromantisch von der Engelsburg springt, sondern, von Spoletta erschossen, sterbend zu ihrem Cavaradossi kriecht. Trotz der Einwände ist auch dank der Kostüme Mönnichs diese Tosca kein optisches Ärgernis, wenngleich man sich etwas mehr Schärfe wünschen kann.

Regisseur Thorwald vertraut in dieser Hinsicht auf die Musik. Fabrizio Ventura und das Sinfonieorchester Münster legen sich auch mächtig ins Zeug, um den Hörern ordentlich einzuheizen. Im ersten Akt finden die Instrumentengruppen auf einigen Akkorden nicht immer den gemeinsamen Nenner. Auch die Balance mit der Bühne ist noch etwas verbesserungswürdig. Ventura kostet die hoffnungslose Beziehung zwischen Tosca und Cavaradossi teilweise sehr süffig-romantisch aus. Als Kontrast dazu lässt er das Orchester zuweilen auch dramatisch losrasen, ohne je die Sänger zu überdecken. So geht zum Beispiel Scarpias Todeskampf unter die Haut. Noch ergreifender ist aber das Piano vor E lucevan le stelle. Das ist Musik, die seelische Schmerzen bereitet und Luis Olivares Sandoval hat den nötigen Schmelz, die richtige Gesangskultur um diesen Moment aufrecht zu halten. Der Stress des Tages scheint sich beim Einspringer in ein paar forcierten Höhen widerzuspiegeln. Doch die nimmt ihm keiner übel angesichts einer ansonsten wirklich bemerkenswerten Leistung. Auch ohne nennenswerte Proben stimmt die Chemie zwischen ihm und Allison Oakes, die ihm als Tosca so gut wie möglich durch die gemeinsamen Szenen hilft. Oakes beweist nach ihrer Senta in Wuppertal und der Salome in Coesfeld einmal mehr, dass sie zu Recht eine große Hoffnung für das dramatische Fach ist. Man kann sich nur wünschen, dass die Sängerin ihren bruchlos geführten Sopran, der ohne übermäßiges, schweres Vibrato völlig natürlich schwingt, noch lange in dieser Form hält. Ihre Tosca überzeugt in allen Lagen bis hin zu starken Spitzentönen. Gregor Dalal hält dieses Niveau nur in der tiefen Lage seines Scarpias. Hier gibt er ganz den mächtigen Polizeichef, den er auf der Bühne auch mit bösartiger Süffisanz darstellt. In der exponierten Lage stößt er dagegen deutlich an seine Grenzen, womöglich die Nachwirkungen einer Indisposition in der Premiere.

Der Rest des Ensembles demonstriert die Münsteraner Klasse. Lukas Schmid ist ein großartiger Angelotti, Plamen Hidjov ein komischer Mesner und Fritz Steinbacher ein gefährlich beflissener Spoletta. Dazu kommen die vereinten Chöre unter der Aufsicht von Inna Batyuk: Der Opernchor und Extrachor des Theaters Münster und nicht zu vergessen der Theaterkinderchor des Gymnasiums Paulinum unter der Leitung von Margarete Sandhäger und Jörg von Wensierski. Sie bewältigen ihren kurzen, aber schweren Part mit rhythmischer Präzision, im Forte des Te Deum wie im Piano der Kantate immer klangschön. Gar nicht schön sind an diesem Abend komische Nebengeräusche: Etwa der zu laut rein rufende Inspizient, den man einmal sogar über Lautsprecher ganz deutlich auf der Bühne hört, oder eine Tür im Bühnenbild, die hörbar fixiert wird. Das aufmerksame Publikum ist von der Gesamtleistung angetan und hört konzentriert zu. Nur selten und dann zu Recht wird eine Pause genutzt, um zu klatschen. Dafür entlädt sich nach der Vorstellung ein enthusiastischer Applaus, der vor allem Ventura, Oakes und ganz besonders den Einspringer Sandoval feiert, aber alle Beteiligten sehr wohlwollend einschließt. Kurz vor dem Ende des Applauses erhebt sich das Publikum noch zu standing ovations. Somit wird auch die zweite Vorstellung unter schwierigen Umständen ein voller Erfolg und mehr als nur eine großartige Anekdote in der Geschichte des Theaters, an die man noch lange denken wird.

Apropos Gedenken: Achim Thorwald kehrt mit der Tosca zu seiner langjährigen Wirkungsstädte zurück. Der ehemalige Intendant des Theaters übernahm die Produktion von Thomas Wünsch, der im Mai letzten Jahres überraschend und viel zu früh verstorben war.

Christoph Broermann

Fotos: Jochen Quast