Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

TOSCA
(Giacomo Puccini)
18. Dezember 2013
(Premiere am 28. Juni 2010)

Bayerische Staatsoper München


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Tosca divina

Als „Opernoper“ bezeichnet Sigrid Weigel die Tosca in ihrer Einführung. Schließlich verkörpert die Titelrolle eine Opernsängerin, die stimmlich wie biographisch alle Facetten der Theatralität von der eifersüchtigen Liebe bis zur tragischen Opferung beinhaltet. Sie singt sich damit in ihren Beruf, wie ihre Berufung zugleich, trägt beide Darstellermasken und zerbricht am Ende.

Die Münchner Inszenierung von Schauspielgröße Luc Bondy liefert exakt diese Lesart. Die Tosca erscheint als theatraler, überzeitlicher Thriller im klassischen Gewand. Zusammen mit Bühne und Kostüm schmiedet das Team dadurch einen Hochglanzguss für Puccinis Schmuckstück.

Nach oben strebende Backsteinmauern, einige Fenster und das Magdalenengemälde – mehr benötigt die gelungene Bühne von Richard Peduzzi nicht. Im zweiten Akt ein Zimmer im Palazzo, im dritten die angedeutete Engelsburg. Handwerklich perfekt und zurückhaltend, spielt die Bühne vor allem mit den Dimensionen des kleinen Menschen im Überbau der großen Szene und der großen Kulisse der Politik, der Kirche und der Umstände. Den Rest macht die gescheite Lichtregie von Michael Bauer, der indirekt den Schein der Tosca durchs Kirchenfenster fallen lässt, um es sogleich für den finsteren Scarpia wieder zu verdunkeln. Das ist alte Theatermagie in zeitloser Perfektion. Ebenso wie die historische Ausstattung von Hollywoodkünstlerin Milena Canonero, die sich analog um Details und Charaktere bemüht. Die roten Rockschöße und Handschuhe Scarpias reichen für angedeutetes Blut an den Händen des Tyrannen und Toscas ebenfalls rote Robe mit Schleppe belebt den Glanz alten Ausstattungstheaters von neuem.

Die Personenregie fügt sich in dieses gediegene Konzept nach Stil von Met und Scala der letzten Jahre: Ein überzeitlicher, aber präziser Rahmen für den Schöngesang. Dieser Cavaradossi ahnt, dass seine Erschießung kein Spiel sein wird. Diese Tosca verzweifelt an ihrem Mord. Dazu die nicht zu unterschätzende kleine Geste im Dienste der Handlung: Ein Strick an der Kirchenwand, ein echtes Küsschen auf den Mund der Tosca, ein wohl verborgenes Messer, das nicht nur einmal den Bösewicht trifft, und echter Pulverduft bei der Hinrichtung genügen dem zurückhaltenden Regisseur für eine ausgesprochen atmosphärische Einrichtung. Einen kleinen Aufreger liefert Bondy dann doch noch zum Finale eins, wenn Scarpia sich an einer Madonnenstatue im Beisein der versammelten, überhöhten Geistlichkeit vergeht. Da hat man den Putzeimer des Messners, den er nonchalant ins Weihwasserbecken leert, fast schon wieder vergessen.

Nicht vergessen wird man die Kräfte des Abends. Die Münchner Siegfried-Brünnhilde Catherine Naglestad liefert eine große Tosca ab. Die kalifornische Allrounderin, die zwischen Mozart, Massenet und Wagner wechselt, beweist auch ihr Gespür als schwerer, dramatischer Sopran. Ihre Tosca klingt warm, raumgreifend und der Rolle gewachsen. Kleine Einschränkungen im zweiten Akt, wenn sich die Stimme an wenigen Stellen überschlägt, verzeiht man ebenso wie ihre spielerisch zuweilen ungelenke Darstellung der schwankenden Diva. Doch dann gibt sie ein makelloses Vissi d’arte, und die Zerrissenheit dieser Figur tritt wie selten sichtbar auf. Zwischen Mordskrupel, Liebesverzweiflung und innerer Größe erwägt sie schon nach Scarpias Ende ihren eigenen Freitod. Dann hätte sie allerdings den sehr italienischen, jedoch wunderschönen Tenor von Massimo Giordano verpasst, dessen E lucevan le stelle noch schöner klingt als sein Recondita Armonia und dessen prächtige Vittoria-Rufe beindruckend erschallen. Manchmal etwas kehlig, kann Giordano seinen Cavaradossi klug modulieren, doch mit genügend Strahlkraft aufwarten, um sich von Puccinis breiter Untermalung nicht zudecken zu lassen. Von seiner vorausgehenden Erkrankung ist nichts mehr zu spüren. Mit nicht selbstverständlicher, doch technisch lupenreiner Höhe harmoniert er besonders in den Duostellen mit Naglestad auch und insbesondere darstellerisch rührend. Selten wurde seit Netrebko und Villazón selbst beim Applaus so herzlich geküsst.

Als Dritter im Intrigenbund tritt Scott Hendricks als dämonischer, abgründiger und spielfreudiger Scarpia auf. Sein Bariton muss allerdings erst von den koketten Grisetten im zweiten Akt geweckt werden, bevor er eine ordentliche, wenngleich nicht überragende Vorstellung abliefert.

Überragend dafür der frischgebackene Münchner Generalmusikdirektor Kirill Petrenko. Nach seinem Achtungserfolg mit Strauss Frau ohne Schatten und seinem gefeierten Bayreuther Ring übernimmt er spielerisch Puccinis vielleicht romantischstes Bühnenmelodram, ohne seine Wagner-Wurzeln auch bei den Leitmotivansätzen der Tosca zu verleugnen. Hier steht ein Emphatiker am Pult, der behänd mit den Musikern mitwippt und schwingt, der zur Schlusskadenz selbst die Faust zum Vittoria reckt und beachtlich schnell das Münchner Orchester unter seine Fittiche bekommt. Dieses folgt auf Petrenkos Handstreich hin zu einem gefühlvollen interpretierten, im Leisen noch eindrucksvoller als im Epochalen ausformulierten Puccini. Petrenko glänzt dabei in den Duetten eher als im Dramenfinale oder dem Te Deum, im Liebesreigen fühlt er sich wohler als im Scarpia-Thema. Kinderchor und Opernchor unter Stellario Fagone unterstützen ihn dabei ebenso versiert wie sein harmonisch agierendes Hausorchester. Erwähnenswert ist zudem der geschulte Solist der Tölzer Knaben als Hirtenstimme.

Das Publikum hat Petrenko damit gewonnen. Vereinzelt Ovationen und großer Applaus für Naglestadt und Giordano als Opernopersänger von Weltklasse in einer der wenigen neueren Opernoperinszenierungen.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl