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Fakten zur Aufführung 

SIMON BOCCANEGRA
(Giuseppe Verdi)
17. April 2014
(Premiere am 3. Juni 2013)

Bayerische Staatsoper München


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Genueser Roulette

Deine Geliebte liegt - von eigener Hand getötet - blutend in deinen Armen, und das Volk feiert dich als neuen Dogen. Diese Schicksalsszene, sicherlich eine der genialsten und perfidesten der Opernliteratur, nutzt Dmitri Tcherniakov als Brennglas für seine Deutung des Boccanegra. Der tragische Urmoment kehrt bildlich und sprichwörtlich als Rahmen von Simons Erinnerung immer wieder zurück.

Der düstere Prolog fungiert quasi als Sklaventreiber der durch die Macht und ihre Vergangenheit Unterjochten. Dafür schafft der auch für die Bühne verantwortliche Moskauer einprägsame Bilder. Angelehnt an das berühmte Kneipengemälde von Edward Hopper, das unschwer Wiedererkennungswert bietet, baut er die Intrigenhandlung um den Dogen und seine verlorene Tochter als harten Gangsterstreifen auf. Oldtimer, Trenchcoats und nach dem Zeitsprung von 25 Jahren die sterile Kühle einer leblosen Machtzentrale, die mit nicht viel mehr als weißen Wänden und prüden Bürostühlen das Tableau für den Abstieg des betrogenen Boccanegra bietet. Doch die Erinnerung an die Mordnacht kehrt durch Projektion und ein kleines Gemälde immer wieder zurück, lässt ihn nicht los und verdeutlicht in dieser Lesart sein Scheitern. Tcherniakovs Bühnen- und Inszenierungskonzept geht auf. Die Spielbühne, keine reine Kulisse, spiegelt die Einsamkeit des Bandenführers, hier mehr Pate als Fürst, unzweideutig wider. Weder Familie noch Politik entscheidet, sondern die Logik der Feinde, der Rache und der Verbitterung. Aktueller und schlüssiger geht nicht.

Weniger schlüssig bleiben der Motorradanzug für den jungen Verschwörer Adorno, in dem jede typische Tenorfigur eher unvorteilhaft aussehen muss, und die faden grauen Wollstrumpfhosen von Amelia, mit denen Elena Zaystseva neben vielen grauen Anzügen die Bühne verschandelt.

Der Schwung des Eingangs verliert deutlich im ersten Akt an Tempo, was die bewusst emotionslos gestaltete Wiederkennungsszene Simons mit seiner verschollenen Tochter Amelia nicht besser macht. Oft vermisst man Personenführung, Abwechslung vor den weißen Wänden, die nicht nur durch Handlungsspruchbänder während der Umbaupausen ersetzt wird. Dafür gelingt ein starkes Finale des ersten Aktes mit einer überdeutlichen Demütigung des künftigen Bösewichtes Paolo vor dem versammelten Clan. Zum Ende hin nimmt die Deutung ebenfalls wieder an Fahrt auf. Wie ein Godunow zieht sich der Doge zurück und blickt auf das Bild seiner helleren Vergangenheit. Er trinkt den Giftcocktail seines Feindes nicht, stirbt demnach – wenn überhaupt – an der bitteren Erkenntnis, dass seine über Dekaden währende Macht auf die Urszene des Todes seiner Geliebten aufbaut, dass er sich korrumpieren ließ und nun, von Feinden umzingelt, abtreten muss, um Platz für eine unbelastete Zukunft zu machen. Diese aber hängt an der manischen Amelia, die distanziert zweifelt, ob sie ihren Gabriele lieben oder verachten soll. So endet dieser Boccanegra mit einem flauen Gefühl im Magen, als seien alle Gangster zum Filmschluss dem Tode geweiht. Der neue Pate bringt der Genuese Bande hier sicher keine rosigen Zeiten. Selten erschüttert ein Bühnenende ähnlich wie diese krasse, wenngleich logische Deutung.

Rosiger dafür die Besetzung: Andrzej Dobber spielt, wie er singt: Raumgreifend. Mit sehr heller, tenoraler Färbung seines Organs erinnert er an einen Domingo zu späten Glanzzeiten, bevor er ins Baritonfach wechselte. Nicht umsonst zitiert Boccanegra den Rienzi. Dobbers Bariton sitzt und schont sich nicht vor manchem Schmerzensschrei und stark phrasiertem Gefühlsausdruck. Mit donnerndem G-Dur tritt Steffano Secco als Gabriele Adorno auf die Szene. Seine Biker-Kluft trägt er mit Fassung, während er, sehr am Dirigenten hängend, eine seltsam schielende Darstellung liefert. Sein Prunkstück der Eifersuchtsarie stemmt er weniger in der Szene als im nachfolgenden eher liedhaften Teil mit runder Höhe. Als Fachmann für die düstersten Verdi-Charaktere etabliert sich nach seinem starken Auftritt in La Forza del Destino nun erneut Vitalij Kowaljow als Fiesco, einer spürbar aus Rache alternden Figur mit später Reue, die er vielfarbig wenngleich manchmal leicht übersteuert ausgestaltet. Keinen guten Tag scheint Tamar Iveri als Amelia gehabt zu haben. Deutlich unwohl in der breit interpretierbaren Rolle, wirkt ihr uninspirierter Sopran an diesem Abend kraftlos, abgedunkelt und bemüht. Mühelos stemmt dafür der Chor unter Sören Eckhoff die sarkastischen Staccato-Einwürfe der Volksmassen.

Eigentlicher Doge dieses Genueser Ränkespiels aber ist Bertrand de Billy, der mit zurückgenommenen Tempi die Sänger freundlich mitatmen lässt. Billy erzählt mehr als zu interpretieren. Und er ist ein guter Erzähler. Im Dienste der bitteren Handlung übertreibt er keine Fanfare, sondern bleibt bei seinen hörbar geliebten Streichern, die er zusammen mit dem Opernorchester zu Höchstleistungen antreibt. Spürbar genießt er den düsteren Verdi ebenso, wie Tcherniakov ihn gerne sehen möchte. Nach seiner grandiosen Münchner Chowanschtschina gelingt ihm ein starkes Bild und eine große Idee, die de Billy mit vielen Nuancen und Zwischentönen ausmalt.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl