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Fakten zur Aufführung 

SEMELE
(Georg Friedrich Händel)
24. Oktober 2013
(Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz München, Cuvilliéstheater


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Eine Thebanerin im Himmel

Eigentlich hätte dieser Händel nie inszeniert werden sollen. Zu Lebzeiten des Komponisten, seit der Uraufführung 1744 wurde das Oratorium Semele nur konzertant gegeben. Erst 1925 folgte die erste szenische Produktion. Fast hundert Jahre später gräbt das Gärtnerplatztheater das selten gespielte Werk aus und bringt es mit viel Aufwand und beachtlicher Besetzung ins Cuvilliéstheater. Karoline Grubers Regie dramatisiert die alte Sage über den unüberwindbaren Graben zwischen Gott-Mann und Mensch-Frau. Thebens Prinzessin Semele wird von Jupiter vor ihrer Zwangsehe gerettet und fällt dem Zorn der beleidigten Hüterin der Ehe Juno zum Opfer. Durch die Zeitverlagerung an die Schwelle um 1900 geht es Barockspezialistin Gruber um arrangierte Heirat und die Freiheit der Frau. Sie stellt damit die Frage, woran Semele scheitert. An der Liebe zum Gott Jupiter, an den Repressionen gegen die Frau oder an ihrem unrechten Wunsch, unsterblich zu werden. Passend dazu wird das Personal in Fin-de-siècle-Kostüme gewandet – verantwortlich dafür ist Magali Gerberon. Die Bühne von Roy Spahn funktioniert für dieses Konzept als falscher Freund. Einerseits zurückgenommenes Friedhofsdesign, andererseits überzogene Projektionen und Wattewölkchen über kleinen Frauenturmminiaturen. Gruber wollte mit Semeles Traumwelt eine Zauberer-von-Oz-Welt andeuten. Nach Art einer modernen Variante der barocken Drehklappbühne schwirren deshalb ständig Schmetterlinge durch die Luft, werden Papiertheater eingezogen oder es wird mit viel Tuch gewedelt. Die noch hinzukommenden Animationen im Monty-Python-Stil von Meike Ebert grenzen an inszenatorischen Aktionismus. Fast scheint es, als wolle Gruber die dramaturgischen Untiefen mit viel Bewegung und teils zu viel Aktion auf der Szene ausgleichen. Die motivierte Tanzstatisterie füllt deshalb vermutete Leerstellen als allerlei Engel, Nymphen, Dopplungen und Personal. Überregie könnte man diese Inszenierung auch nennen.

Der Stoff und die Musik, vor allem aber die Sänger, haben das gar nicht nötig. Titelpartie Semele schwebt stimmlich durch das Cuvilliés – dank der atemberaubenden Jennifer O’Loughlin. Nach starker Eingangsarie gewinnt sie das Publikum spätestens im sanften, liedhaften Oh Schlaf und begeistert höhensicher und sattelfest im schweren Koloratursopran ihres Todesgesanges. Szenisch präsenter als stimmlich neben ihr Jupiter Ferdinand von Bothmer. Sein Tenor ist noch ausbaufähig. Als Höhepunkt des ersten Aktes begeistert der berechtigt berühmte Counter von Argentinier Franco Fagioli in der Rolle des Athamas. Eine dermaßen prominente Besetzung hat das Gärtnerplatztheater lange nicht gesehen. Bis in die kleinen Partien, etwa des beachtlichen Basses István Kovács als Tim-Burton-Somnus, besteht dieser Abend auch durch die großen Hausstimmen; allen voran Ann Kathrin Naidu als traumwandlerische Ino. Der Hauschor unter der bewährten Leitung von Jörn Hinnerk Andresen beweist nach dem Weißen Rössl, Anything Goes und Don Pasquale erneut seine Vielseitigkeit und besteht fabelhaft auch in den sich schier endlos wiederholenden Phrasen von Händels Musik bravourös.

Das liegt wohl auch und vor allem an Generalmusikdirektor Marco Comin, der nach der Cerha-Uraufführung in der letzten Spielzeit endlich ein Herzensprojekt angehen durfte und dessen ambitionierte Überzeugung für Händel direkt auf den Zuschauer überspringt. Mit filigranem Gespür und dem Mut, Händel durchaus dramatisch zu bieten, überzeugt der Beethovenliebhaber auf voller Linie mit dem gut geführten Staatsorchester. Er wolle eine „Droge“ erzeugen, aufgrund derer man „nach Barockmusik süchtig werden“ kann, beschreibt Comin seine Rolle als Händelmissionar. Der Applaus beantwortet sein hehres Ziel: Vielleicht nicht gerade eine Droge, aber ein sanftes Bacchusfest gelingt dem Gärtnerplatztheater mit dieser Münchner Semele durchaus.

Andreas M. Bräu

Fotos:
Thomas Dashuber/Christian Zach