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Fakten zur Aufführung 

RUSALKA
(Antonín Dvorák)
29. Oktober 2013
(Premiere am 23. Oktober 2010)

Bayerische Staatsoper München


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Arielle, Fritzl und die sieben Rehlein

Noch in den siebziger Jahren verzeichnen Opernführer, dass sich die lyrische Märchenoper Rusalka von Antonín Dvorák auf den deutschen Bühnen nicht durchsetzen wird. Nichtsdestotrotz wagt sich vierzig Jahre später die Bayerische Staatsoper an den Stoff, und mit der Besetzung des Regiestuhls traut man sich noch dazu einen deutlichen Kontrapunkt. Der inszenierende Martin Kusej ist als Opernregisseur umstrittener Schockgarant. Lobt ihn etwa Jonas Kaufmann für seinen frühen Stuttgarter Fidelio von 1998, wird er auch demnächst wieder mit ihm und seiner Dauerpartnerin Harteros in München für La forza del destino zusammenarbeiten. Kusej gefällt sich nämlich mehr und mehr im Opernfach, bevor er sich an seinem Haus im Frühjahr kommenden Jahres am Brocken Faust abarbeiten wird. Der Schauspielmann und Intendant des Münchner Staatsschauspiels bricht deutlich mit seinem Vorgänger Dorn und dessen Regiestil, der sich auch in der Staatsoper mit dessen beiden Mozartinszenierungen widerspiegelt. Dorn als Vertreter des minimalistischen Konsenstheaters und Kusej als psychologischer Quertreiber. Seine Rusalka fungiert dabei nebenbei als Einstandsaufreger im Vorfeld der Münchner Intendanz am Residenztheater.

Skandale liefert er gleich zwei. Denn von Märchen darf hier nicht gesprochen werden. Kusej kontrastiert die romantisierte Musik, die Nixenhandlung und die breiten Streicher- und Bläserpartien durch deutliche Aussagen. Keine Wassergestalten, die sich in Menschen verwandeln, von Prinzen betrogen werden und ins Wasser zurückkehren, sind hier zu finden.

Der Amstettener Skandal um Josef Fritzl bietet das Vorbild für Kusejs Rusalka. Diese wird geschändet aus dem Keller von ihrem Vergewaltigervater/Wassermann/Fritzl und der Hexenmutter/Jezibaba/Jelinekdouble ins Nichts gebracht. Ihr Wunsch, als Nixe menschlich und geliebt zu werden, verwandelt sich in den Ausbruch eines Mädchens aus der familiären Gewalt. Die Fritzlmetapher funktioniert erstaunlich schlüssig im ersten Akt, überhaupt nicht im zweiten und mit Abstrichen im dritten Akt. Zur Mitte hin aber wartet schon das nächste große Skandalon des Abends:

Kusej hängt sich am Rehvergleich für Rusalka auf. Die Anspielung im Libretto auf Frauenjagd und Trophäe für den verliebten Prinzen pervertiert er. Die Meute und ihre Beute tritt mittels eines Statistenheeres auf, das sich mit blutigen Rehkadavern einen gespenstischen Tanz liefert. Unruhe und Flüche im Publikum.

Zum Ende hin wird der Wassermann/Fritzl verhaftet; die Handlung gipfelt in einem Sanatorium für die traumatisierten Kinder, wo sich schlussendlich auch Rusalkas und des Prinzen Ende abspielt. Die Kostüme von Kusejs Stammausstatterin Heidi Hackl unterstreichen dieses Konzept mit verlotterten Bademänteln, kindlichem Paillettenchic und einer Stange Hochzeitskleider für den Rehtanz.

Starke Bilder und krasse Aussagen erzeugt Kusej damit. Keine Frau etwa wird am gesamten Abend ohne Gewalt berührt. Der Regisseur setzt eine plakative Parallelhandlung vor die liebliche Musik, die jener komplett widerspricht. Genial umgesetzt hat das Bühnenbildner Martin Zehetgruber mit einer Bühne, die die Dimensionen wahrlich spürbar werden lässt. Platte Postkartenmotivik, zum zerreißen fragil, umstürzende Wände, die das Nichts von Isoliermasse offenbaren und ein Wasserbecken, der domestizierte Pool für die Wassernixe Rusalka. Alles von Gerhard Traub grell ausgeleuchtet, um den Finger noch stärker in Rusalkas Wunden zu legen. Er erzeugt damit einen gemäßigten, ästhetischen Gegenpol zu Kusejs drastischem Regietheater.

Einen gemäßigten Gegenpol suchen auch die Sänger. Sichtbar bemüht, den, teils platten, teils grausamen Ideen der Regie etwas entgegenzuhalten, begeistert mit großem Spiel Kristine Opolais in der Titelrolle. Im ersten Akt noch gedämpft, steigert sich ihr dramatischer Sopran konsequent. Berührt das Lied an den Mond noch nicht restlos, spielt sie ihre lyrischen Stärken im Finale II aus. Die Körperlichkeit ihres Spiels, das umhergewirbelte Haar und ihr Spiel im seichten Wasser überzeugen. Neben ihr der starke Tenor von Dmytro Popov als Prinz. In der Höhe merkt man ihm die Anstrengung von Dvoraks Spitzen an. In der Mittellage steht dafür ein heldischer Strahlemann, der das Publikum Klaus Florian Vogt als Premierenbesetzung so gar nicht vermissen lässt. Intensive Momente schenkt dazu Jezibaba Helena Zubanovich mit tiefem, erdigem Mezzo. Wie gewohnt auf hohem Niveau die drei Rheinnymphen Eri Nakamura, Angela Brower und Okka von der Damerau. Dem Staatsoperchor, einstudiert von Sören Eckhoff, fallen nur marginale Echostellen der Handlung zu, die er routiniert in Jagdklamotte abliefert.

Am Pult der Tscheche Tomás Hanus mit spürbarer Euphorie für Dvoraks Klangteppiche, die bei ihm allerdings leider zu oft als dicker Perser die Sänger und vor allem Georg Zeppenfeld als Wassermann zudecken. In den großen Bläserpartien wirkt der Bass zu oft, als höre man ihn nur unter Wasser. Die schlichte Leitmotivik und die oft rein untermalenden Phrasen hätten sinniger auf die Sänger abgestimmt gehört.

Dementsprechend die Reaktionen beim höflichen, für Opolais anstürmenden Applaus. Kusejs Rusalka solle Fragen stellen und nicht beantworten, entschuldigt fast schon von offizieller Stelle der Blog der Staatsoper für diese Inszenierung. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass er zugleich drastische Aussagen und Antworten liefert, die polarisieren. Auf seine Forza del destino darf München vorsichtig gespannt sein.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl