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Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
16. Februar 2013

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Leaving Las Vegas

Kurz vor der Uraufführung von Verdis Rigoletto will die Zensur den Sack verbieten, in dem die tote Gilda am Ende der Oper auf die Bühne gebracht wird. Verdi kann seine Vorstellung aber doch noch durchsetzen. In New York erlebt die Zensur nun ihren späten Triumph: In der Neuproduktion von Verdis Rigoletto an der Metropolitan Opera endet Gilda nicht in einem Sack, sondern im Kofferraum eines Cadillac. Regisseur Michael Mayer verlegt Verdis Handlung zeitlich wie lokal und findet im Las Vegas in den Sechzigern, zur Zeit des Rat Packs, ein durchaus passendes Ambiente, in der man die Handlung erzählen kann. Statt the Voice ist es nun the Duke – besser bekannt als Herzog von Mantua, der Frauenherzen jetzt im Casino betört. Dieser Ortswechsel ermöglicht der Met eine der schönsten Ausstattungen der letzten Jahre. Christine Jones wuchtet ein herrliches Casino auf die Bühne, das mit den grellen Neonfarben der Spielhölle Las Vegas spielt und baut dazu noch ein paar kleine Feinheiten aus der Architektur aus dem Opernhaus mit ein. Zwei Fahrstühle rechts und links deuten die Suiten und Wohnungen des Personals an und werden geschickt in die Vorgänge mit einbezogen. Dem Prunk der ersten beiden Akte setzt sie die düstere Rotlichtspelunke Sparafuciles gegenüber, an dessen Poledance-Stange sich seine Schwester Magdalena räkelt. Auch hier werden die Neonleuchten eingesetzt und das Gewitter, das der Lichtdesigner Kevin Adams aus regenblauen und grellweißen Röhren entfesselt, hat es in sich. Susan Hilferty hat herrliche Kostüme entworfen, die die Sechziger lebendig werden lassen.

Wenn sich der Vorhang zum ersten Akt und Fest des Herzogs hebt, dann passt Verdis Bühnenmusik haargenau zu der dekadenten Szene aus Neonlichtern, leicht bekleideten Bardamen, Spielkarten und klappernden Roulettetischen. Steven Hoggett hat sich ein paar sehenswerte Choreographien ausgedacht, die das Fest in Schwung halten, bis Monterone – hier ein arabischer Scheich, der um seine Familienehre kämpft – die Stimmung stört. Auch der Barkeeper, dem Rigoletto sein Leid klagt, passt genau zu der Stimmung des Monologs Pari siamo. Nicht ganz schlau wird man aus dem Ort vor den Fahrstühlen, wo Rigoletto mit seiner Tochter spricht, die er doch eigentlich vor dieser gefährlichen Gesellschaft abschirmen möchte. Die Entführung Gildas in einem dieser berühmten Las-Vegas- Sarkophage trifft dagegen wieder genau den Nerv. Im zweiten Akt nimmt Michael Mayer das Tempo etwas raus, wobei er gerade Rigolettos Wutausbrüchen mehr Kraft auf der Bühne hätte verleihen können. Im dritten Akt zeigt der Regisseur einmal mehr, dass er nicht nur auf die Aktualisierung vertraut, sondern sich auch auf eine glaubhafte Personenführung versteht.

Die gute, rauschfreie Tonübertragung ins Kino trägt zum positiven Gesamteindruck bei, fängt sogar etwas der Theaterathmosphäre in New York ein, als es einem Zuschauer gelingt, lautstark direkt in eine Pause hinein zu niesen. Ist man im ersten Akt noch davon überzeugt und erfreut überrascht, dass man eine sprungfreie Kameraregie in der Probenphase mit vorbereitet hat, kann man sich im zweiten und dritten Akt wieder über unfreiwilliges hin und her Hopsen der Bilder sowie hektische Zoom-Manöver ärgern. Immerhin ist positiv anzumerken, dass es aufgerissene Sängermünder nicht mehr in Großaufnahme gibt. Kurz bevor Gilda ihr Leben im Kofferraum des schicken Wagens aushaucht, bricht die Übertragung für einen kurzen Augenblick zusammen, als wolle sie den Zuschauern diesen traurigen Augenblick ersparen.

Verloren gegangen wäre aber auch das emotionale i-Tüpfelchen, das Diana Damrau und Zeljko Lucic hier setzen. Damrau ist überhaupt die Stimme des Abends. Die zweifache Mutter – Sohn Alexander darf sogar mal in die Kamera winken und Oma und Opa grüßen – singt die Gilda mit einer jugendlichen Frische, die ihresgleichen sucht. Beeindruckend ist, wie sie einen starken Kontrast in sich vereint: Hier der perfekt kontrollierte Gesang mit lupenreinen, gut gestützten Koloraturen sowie völlig schärfefreien Spitzentönen, dort das entfesselte, ungekünstelte Spiel einer naiven jungen Dame. Das Zusammenspiel mit dem Bariton Zeljko Lucic gelingt auch aufgrund der langen gemeinsamen Erfahrung – hier stimmt eindeutig die Chemie. Lucic ist an diesem Abend noch nicht einmal in stimmlicher Topform und formt trotzdem einen spannenden, komplexen und berührenden Charakter aus der Titelrolle. Seine Ausstrahlung, die ihm auch aus den Augen zu springen scheint, ist auf der Leinwand überwältigend. Seine Stimme klingt etwas rauer und trockener als gewohnt, doch die wütenden Ausbrüche, sarkastischen Einwürfe und innigen Piani sind erstklassig. Das dritte vokale Ass des Abends ist der bestens aufgelegte Piotr Beczala, der mit dem selbstbewussten Lächeln eines Strahlemanns the Duke verkörpert. Der Charme seines Tenors drückt genau die Ära des Swings aus, die der Regisseur szenisch erreichen will. Stefan Kocán gelingt mit einem nachtschwarz gesungenen Sparafucile sein bester Auftritt bisher an der Met. Oksana Volkova umschmeichelt in ihrem kurzen Auftritt als Magdalena wirkungsvoll den Herzog. Endlich ist auch auf der Homepage der Met eine Liste der Comprimari zu finden, die eine namentliche Erwähnung auch verdient haben: Robert Pomakov spricht als Monterone kraftvoll den Fluch aus, Emalie Savoy ist die Gräfin Ceprano im Marilyn-Monroe-Look. Alexander Lewis, Jeff Mattsey und David Crawford verkörpern engagiert Borsa, Marullo und Graf Ceprano, angelehnt an das Rat Pack. Der Chor der Met tobt sich höchst engagiert und von Donald Palumbo auch genau einstudiert als Casino-Gesellschaft aus.

Das Orchester der Metropolitan Opera übt sich in zurückhaltender, differenzierter Begleitung, ohne dabei seine Möglichkeiten der Untermalung zu vergessen. Es ist ein genau ausgeloteter Klang, mit dem der junge Dirigent Michele Mariotti der Partitur viele Feinheiten entlockt und immer wieder kleine Akzente setzt. Um den positiven Eindruck abzurunden, hätte er dem Werk noch etwas mehr Sogkraft verpassen müssen. So sind es vor allem die sensiblen Vater-Tochter-Gespräche, die nachhaltig im Gedächtnis bleiben.

In New York wird sehr begeistert applaudiert, und auch in Münster kann man nach einigen Arien etwas Applaus hören. Noch vor der Übertragung war vielen Besuchern Skepsis anzuhören angesichts der Verlegung nach Las Vegas. Nach der Vorstellung sind die Kritiken verstummt. Man fühlt sich durch die Produktion bestens unterhalten. So ein närrischer Abend ist auch nach Aschermittwoch erlaubt.

Christoph Broermann







Fotos: Ken Howard