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Fakten zur Aufführung 

DIE PIRATEN VON PENZANCE
(Gilbert & Sullivan)
29. März 2014
(Premiere)

Theater Münster


Points of Honor                      

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Möwenschiss auf der Fahne

Regisseur Gore Verbinski belebte 2003 das totgesagte Genre des Piratenfilms neu, als er Jonny Depp als Captain Jack Sparrow auf Schatzjagd in die Karibik schickte. Ein Film mit Kultcharakter. Doch schon vor den Pirates of the Caribbean gab es die Piraten von Penzance. William Schwenck Gilbert und Arthur Sullivan brachten das Stück 1879 zur Aufführung und parodierten darin mit Hilfe einer Piratentruppe die bürgerliche Moral. Die Handlung wird durch ein falsch verstandenes Wort eingeleitet. Weil das Kindermädchen Ruth nicht richtig hingehört hat, schickt sie den jungen Frederic nicht auf eine private Schule sondern auf die – Achtung! – Piratenschule. Der Ausbildungsvertrag des pflichtbewussten Mannes bei den Piraten von Penzance endet an seinem 21. Geburtstag, und er beschließt, den ungeliebten Beruf an den Nagel zu hängen. Alles scheint perfekt, als er die taffe Mabel kennenlernt und die beiden sich verlieben. Als er sich mit den Bobbys verbündet, um seine alten Freunde hinter Schloss und Riegel zu bringen, fällt denen auf, dass Frederic ja auf dem Schalttag, dem 29. Februar, Geburtstag hat und somit erst fünf Jahre alt ist.

Vorhang auf also für eine Produktion, die sich ganz dem Wortwitz und der Parodie widmet. Denn welcher Gattung genau dieses Werk angehört, scheint nicht eindeutig geklärt sein. Man findet es unter Musical und unter Oper, in Münster wird es als Operette bezeichnet. Die Inszenierung von Holger Seitz hat Intendant Ulrich Peters aus seiner alten Wirkungsstätte in München mitgebracht, wohl wissend, dass sie in den Rahmen der laufenden Saison passen wird, die sich unterhaltsam und abwechslungsreich präsentiert. Vom ersten Moment an wird ganz großes Theater gespielt: Der Vorhang geht zu früh auf und zeigt die berüchtigten Piraten vor ihrem Schiff in einer Bucht bei ihren alltäglichen Tätigkeiten: Von Crocket bis Schmetterlinge fangen ist alles dabei, und die Gallionsfigur der „Iron Lady“ winkt wie die Queen höchst persönlich. Überhaupt bekommt das britische Empire recht ordentlich ihr Fett weg. Der Piratenkönig schmückt sich mit dem Königspelz, und ein running gag ist das englische „th“, das man in die deutsche Sprache wunderbar feucht einbauen kann. Herrlich kitschig senkt sich zum Happy End die britische Flagge herab – die dann richtig schön mit Möwenschiss eingesaut ist.

Überhaupt ist das Bühnenbild von Herbert Buckmiller einfach grandios und großes Theater für sich genommen. Von Sparmaßnahmen ist da nichts zu spüren. Der Friedhof des zweiten Aktes hätte auch das kitschige Bild für die Finalszene von Lucia di Lammermoor sein können – hätte da nicht eine Möwe auf einem Grabstein gesessen. Für die Darsteller gibt es da eine ganze Menge zu tun, und Holger Seitz verordnet ihnen große Operngesten als Parodie. Da werden Steine weggerollt, wenn sie im Weg sind, und über das angedeutete Wasser geht so mancher Darsteller auch trockenen Fußes – nicht ohne sich anschließend darüber offensichtlich zu wundern. Getanzt wird natürlich auch. Überraschungen hält die Choreographie von Fiona Copley und Holger Seitz keine parat, aber unterhaltsam ist sie ohne Zweifel.

Doch die ganze Durchschlagskraft auf das Zwerchfell will sich noch nicht einstellen. Vielleicht will das Ensemble einfach auch zu viel, denn der Komik fehlt in den entscheidenden Augenblicken die Natürlichkeit. Insgesamt sieht man den Darstellern etwas lieber zu, als ihnen zuzuhören. Einfach irre komisch sind Gregor Dalal als stimmlich sehr eleganter Piratenkönig und Plamen Hidjov als Pirat Samuel. John Pickering rasselt die Vorzüge des Generalmajors Stanley eindrucksvoll hinunter. Eine Wucht ist Lukas Schmid als Sergeant der Bobbys – ein baumlanger Riese, dem die Knie aus Angst vor den Piraten schlottern. Seine Truppe ist da kein Deut besser, und die Männer des Opernchores sind darin genau so überzeugend wie als milde Piraten. Diese bekommen übrigens von Götz Lanzelot Fischer den schönsten Kleidungsmischmasch aller Nationalitäten, während die Damen hochgeschlossen viktorianisch-züchtig gekleidet sind. Und über das Wetter sabbelt keiner so schön wie die Damen des Opernchores. Inna Batyuk hat großartige Arbeit bei der Vorbereitung geleistet. Auch Lisa Wedekind, Eva Bauchmüller und Christina Holzinger mischen sich mit solistischen Aufgaben in die Reihen der gehorsamen Damen. Rollendeckend resolut und emanzipiert tritt Henrike Jacob als Mabel auf, die den Männern ordentlich einheizt. Wie sie braucht auch ihr Lover Frederick, gesungen von Philippe Clark Hall, eine Spur mehr Glanz in der Stimme. Doch mit diesen beiden Sängern als authentisches Liebespaar kann nicht viel schief gehen, da auch Hall sich darstellerisch voll ins Zeug legt und in einer Mischung aus Jonny Depp und Eryl Flynn über die Bühne schwebt.

Der neue Erste Kapellmeister Stefan Veselka stellt nach Benvenuto Cellini seine Vielseitigkeit unter Beweis. Die verschiedenen Stile der Komposition bringt er ohne Mühe unter einen Hut, und das Sinfonieorchester legt sich ordentlich in die Riemen. Die Koordination zwischen Bühne und Graben trifft nicht immer ins Schwarze, was aber auch nicht sonderlich ins Gewicht fällt. Das Publikum honoriert den Einsatz aller Beteiligten mit einem langen Applaus, der aber doch mehr freundlich als wirklich euphorisch klingt. Dass es beim Regieteam keine nennenswerte Reaktion – positiver wie negativer Art – gibt, zeigt, dass dieses Piratenschiff noch ein paar Segel mehr hissen kann. Vom Kultcharakter ist die Premiere noch entfernt, aber Münsters Publikum wird wieder einmal gut unterhalten.

Christoph Broermann

Fotos: Oliver Berg