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Fakten zur Aufführung 

ONKEL PRÄSIDENT
(Friedrich Cerha)
1. Juni 2013
(Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz im Prinzregententheater München


Points of Honor                      

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Prima le parole - poi la musica

Eigentlich wollte der 87-jährige Komponist Friedrich Cerha nach seinem Riesen vom Steinfeld, der in den 1990-er Jahren entstand, keine weitere Oper mehr schreiben. Der beharrlichen Überzeugungsarbeit des Librettisten Peter Wolf ist es zu verdanken, dass der Altmeister doch Gefallen an der Idee einer komischen Oper gefunden hat, die auf Ferenc Molnàrs Komödie Eins-Zwei-Drei basiert. Billy Wilders Verfilmung des Stoffes von 1961 ist legendär und weltbekannt. Hauptaugenmerk des Komponisten lag nach eigener Aussage auf einem funktionierenden Libretto, von dem es mehr als 30 Versionen gab, bis die endgültige gefunden war. Am 1. Juni findet nun die Uraufführung des Werkes, das Cerha als Onkel Präsident – eine musikalische Farce betitelt hat, in Anwesenheit des Komponisten im Münchner Prinzregententheater statt – und weiß zu überraschen.

Als Koproduktion mit der Wiener Volksoper zeichnet der Münchner Gärtnerplatztheater-Intendant Josef Köpplinger für die Regie verantwortlich. Johannes Leiacker hat ihm eine großartige Bühne gebaut, die auch dank seiner Beleuchtungskunst mühelos den Wechsel zwischen dem Pro- und Epilog im Tiroler Wald und dem steril weißen Glas-und-Stahl-Ambiente des Chefetagenbüros mit mehreren Etagen und Flügeltüren ermöglicht.

Das Stück beginnt mit einem Gespräch zwischen dem Komponisten – unschwer als Cerhas Alter Ego zu erkennen und souverän dargestellt von Robert Holl – und dem Präsidenten eines großen Stahlkonzerns. Dieser fordert den Komponisten auf, eine Oper zu schreiben, und es entspinnt sich eine Diskussion, in der Cerha seine ganzen Zweifel und Erkenntnisse eines langen Künstlerlebens verbunden mit viel Kritik und ein bisschen Resignation über die heutige Musikszene äußert. Als Idee für ein Libretto bietet der Präsident an, dem Komponisten von seinem letzten Arbeitstag vor dem verdienten Urlaub zu erzählen.

Innerhalb der nächsten Stunde erleben wir die aberwitzige Verwandlung des jungen Fahrradboten Josef Powolny zum adligen, stellvertretenden Geschäftsführer des Stahlkonzerns und Ehemann der amerikanischen Millionenerbin Melody Moneymaker.

Onkel Präsident hat einen rasanten, sehr kompakten und dramaturgisch geschickt aufgebauten Ablauf mit originellen Aparts, wenn die Solisten plötzlich aus ihren Rollen steigen und beginnen, mit dem Dirigenten Marco Comin über die Länge ihrer Arien oder ihre Gage zu diskutieren. Hier amüsiert sich das Publikum natürlich, aber auch das großartige Libretto bietet allein schon ausgiebig Anlass zum Schmunzeln, Staunen und zu herzhaftem Lachen. Hier haben Cerha und Wolf sich tatsächlich gegenseitig auf geniale Weise inspiriert. So viel Intelligenz, Geist und Witz, gepaart mit Selbstironie und beißender Gesellschaftskritik, erlebt man selten auf der Opernbühne.

Bisweilen erscheint die Musik Cerhas gegenüber dem Text allerdings etwas sperrig. Die Gesangspartien sind hoch anspruchsvoll und verlangen den Solisten vom Parlando bis zur atonalen Koloratur alles ab. Manchmal überdeckt der dick orchestrierte, dicht verwobene Klangteppich die Stimmen und leider auch den Inhalt des spannenden Textes. Da hilft nur die Übertitelanlage. Das Ensemble liefert eine glänzende Leistung, besonders Renatus Mészár in der Hauptpartie des Präsidenten ist ein sensationeller Darsteller dieser neu geschaffenen Paraderolle für einen Bariton. Das junge Liebespaar, gesungen von Susanne Ellen Kirchesch und Paul Schweinester, hat ausgiebig Gelegenheit, sich auf ariose Art seine Liebe zu gestehen und meistert diese schwierige Aufgabe mit erstaunlicher Leichtigkeit. Bis auf die erwähnten Stellen mit Balanceproblemen führt Marco Comin das Orchester sicher und prägnant durch die komplexe Partitur.

100 Minuten ohne Pause dauert Onkel Präsident, und nach erfolgter Verwandlung des Josef Powolny in den Grafen Schrullenhuf-Wullersdurf entflieht der Präsident in chaotischem Höhepunkt per Hubschrauber in den Urlaub nach Tirol. Der Epilog im Wald schließt die dramaturgische Klammer dieses überaus weisen, humorvollen und reifen Werkes, das verpackt als komische Oper mehr zu überzeugen weiß als so manche als „ernsthafte“ Oper angedachte Neuschöpfung der letzten Zeit.

Das Publikum bejubelt zu recht den Komponisten, den Hauptdarsteller, das gesamte Regieteam und Ensemble und bedankt sich für lebendiges, aktuelles und unterhaltsames Musiktheater in Perfektion.

Ingrid Franz







Fotos: Christian Zach