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Fakten zur Aufführung 

NEW WORK
(La La La Human Steps)
31.August 2011

Muffathalle München


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Hochgeschwindigkeitsbarock

La La La Human Steps galten schon von Beginn ihres Schaffen an als Tanzzertrümmerer und Revolutionäre selbst auf dem Sektor des zeitgenössischen Tanzes, und sicher wäre man kaum auf die Idee gekommen, sie mit klassischem Ballett in Verbindung zu bringen. Sie galten in den Köpfen Tanzbegeisterter als die kanadische Truppe mit den fliegenden Körpern um den Choreographen Edouard Lock, die sich in horizontalen Pirouetten überschlugen, dass einem allein vom Zusehen schon schwindlig wurde.

Dies scheint sich fundamental geändert zu haben - die neue Produktion New Work überrascht in mehrfacher Hinsicht. Die Musik besteht nicht mehr aus hämmernden, peitschenden Rockrhythmen, hier geht es um eine Verschmelzung der beiden Opern Dido und Aeneas von Purcell und Orpheus und Eurydike von Gluck - zweier tragischer Liebesgeschichten also - und um klassischen Tanz! Auch bei früheren Produktionen der Truppe war klar, dass man das klassische Repertoire beherrschen muss, will man in der Lage sein - eben - alles Gelernte hinter sich zu lassen und zu völlig neuen akrobatischen Ausdrucksformen zu finden. Doch warum kehrt Edouard Lock mit seinen genialen Tänzerinnen und Tänzern nun zum klassischen Bewegungsrepertoire zurück? In der vermeintlichen Rückkehr steckt natürlich eine Täuschung: Alle Tanzfiguren des klassischen Balletts werden zu den Klängen von Purcell und Gluck in einem Affentempo - es lässt sich kaum anders als auf diese schnoddrige Art benennen - vorgeführt und damit auch wieder einer Destruktion unterworfen. Es tut fast körperlich weh, die Anstrengung der Tänzer mitanzusehen, wie sie jede grazile Bewegung, die zur formvollendeten Durchführung der Tanzfigur gehört, mit etwa 10-facher Beschleunigung "abarbeiten", ohne dass ihnen ein "Formfehler" unterläuft.

Im Titel New Work klingt auch schon die Absicht an, einerseits neue Wege zu beschreiten und dabei gleichzeitig zu den Wurzeln des klassischen Balletts zurückzukehren. Es ist also das, was Lock schon immer gemacht hat: eine Suche nach der Verschmelzung von Tradition und Moderne. Schon im Januar dieses Jahres hatte diese Produktion ihre Uraufführung in Amsterdam, nun reiste sie zu einem Gastspiel auch nach München in die Muffathalle und scheint hier möglicherweise aus bühnen- und lichttechnischen Gründen nicht so ganz an das Original heranzureichen. In der Urfassung werden Räume aus Licht gestaltet, die von den Tänzern betreten werden. Sie tanzen in einer strengen Licht-Choreographie, und selbst die Gesichtsausdrücke der Tänzer sind ein Bestandteil der Inszenierung. Diesem Anspruch wird man in der Muffathalle nicht ganz gerecht, oft stehen die Tänzer im Dunkeln und selten sind ihre Gesichtszüge überhaupt erkennbar. Nicht nur der Tanz ist eine Mischform aus alt und neu, auch die Ebene der Musik, eine Neukomposition des Briten Gavin Bryars, versucht eine Verschmelzung der beiden Opern zu einer dritten, zeitgenössischen Musikform - eine akustische Dopplung dessen, was die Tänzer mit ihren rasanten Tanzfiguren versuchen. Hochgeschwindigkeits-Virtuosität zeichnet die Truppe seit 30 Jahren aus, heißt es - und wahrhaftig, solch einen fast rauschhaften Tanz hat man nie gesehen. Die mangelnde Variationsbreite des Figurenrepertoires führt über die doch stattliche Länge von eineinhalb Stunden zu einer gewissen Eintönigkeit und Anstrengung für das Auge des Betrachters - was angesichts der  physischen Mega-Anstrengung der Tänzerinnen und Tänzer natürlich lapidar ist. Als Trenner zwischen den einzelnen Musiksequenzen fungieren eingeschobene, auf Rahmen gezogene Leinwände, auf denen die Gesichter alters-ungleicher, aber gleichgeschlechtlicher Paare projiziert werden. Wenn zum 30igsten Mal das gesamte Tanzvokabular des klassischen Balletts, wie wir es unter normalen Bedingungen vergleichsweise in Zeitlupe kennen, in einem einzigen Bewegungsrausch am Betrachter vorbeizieht, hat sich die Faszination des Ungewöhnlichen doch etwas abgenutzt. Von einer neuen, zeitgemäßen Analyse der Opern Dido und Aeneas und Orpheus und Eurydike, um die es Edouard Lock in seiner Arbeit geht, ist selbst bei profunder Kenntnis der beiden Opern nicht mehr viel zu erkennen. Und genau das ist beabsichtigt: Wie Choreograph Lock sagt, interessierte ihn an diesem Experiment, dass sich die musikalischen Strukturen der Barockoper mit ihrer inhärenten Kälte und der Konstruktion der Musik gut für den zeitgenössischen Tanz eignen - und überdies habe er herausfinden wollen, ob sich die beiden Ebenen des Erzählens einer Geschichte und die der Bewegungsstrukturen voneinander trennen lassen.

Musikalische Zitate der beiden Opern kommen vom Band, die neu komponierten Sequenzen von Bryars werden von Musikern auf der Bühne eingespielt: Es sind dies ein Saxophon, eine Viola, ein Cello und ein Piano. Es überlagern sich viele theoretische, tänzerische und musikalische Ebenen, die sicherlich klug durchdacht sind, jedoch beim unvorinformierten Betrachter ob ihrer Komplexität kaum noch entdeckt werden können.

Dennoch ist der Abend ein fast historischer Kunstgenuss - La La La Human Steps können nun schon auf unglaubliche 30 Jahre ihres Bestehens zurückblicken und sie gehören nach wie vor zu den führenden Kompanien der Tanzavantgarde - ein spannender, wenn auch mühsam zu erschließender Tanz-Theater-Abend.

Christina Haberlik

 


 
Fotos: Holm Woischendorf