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Fakten zur Aufführung 

DIE NASE
(Dmitri Schostakowitsch)
26. Oktober 2013

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


Points of Honor                      

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Eine Flut von Bildern und Tönen

Mut zum Risiko beweist die Metropolitan Opera, als sie Schostakowitschs Oper Die Nase in den Spielplan der Live-Übertragungen mit aufnimmt. Damit bekommt die Reihe endlich mal ein anderes Gesicht. Denn ansonsten wird ja sehr genau darauf geachtet, dass man vor allem eingängige bis virtuose Musik und berühmte und zugkräftige Opern spielt. Medientypische Sänger wie Anna Netrebko oder Jonas Kaufmann erwartet man allerdings vergeblich. An diesem Samstagabend ist alles ein bisschen anders als gewohnt.

Die absurde Geschichte von Gogol hat Schostakowitsch zu einer wild-hektischen Oper umgeformt, in der immer wieder die Gesellschaftskritik am System der Post-Oktoberrevolution durchscheint: Der Staatsdiener Kowaljow wacht eines Morgens ohne Nase auf. Auf der Jagd nach dem Riechorgan nimmt Schostakowitsch auch Zeitungen, Ärzte und Polizei aufs Korn, die allesamt bei der Suche keine große Hilfe sind. Erzählt wird das in kurz geschnittenen Szenen, so dass die Oper in drei Akten nach fast zwei Stunden ihr Happy End findet. Denn die Nase findet sich, nachdem sie als Staatsrat verkleidet durch St. Petersburg spaziert ist, da wieder, wo sie hingehört.

William Kentridge greift Absurdes und Kritisches aus der Musik auf und versetzt die Bühne der Metropolitan Opera in Schwingungen. Das aufwändige Bühnenbild von Kentridge und Sabine Theunissen existiert tatsächlich und ist doch nicht greifbar. Räume erscheinen in Wänden, werden von einem animierten Pferd von der Seite hereingezogen und verschwinden wieder. Projektionen und Animationen, Licht und Kostüme – all das vermischt sich zu einem grotesken Bild, das ständig in Bewegung ist. Immer wieder brennen sich einige Eindrücke aus dem Gewimmel in den Augen ein – und immer wieder ist der Titelheld der Oper dabei. Manchmal läuft die Nase auf zwei Beinen einfach nur über den in schwindelerregender Höhe montierten Steg. Dann erscheint sie plötzlich auf dem Körper von Schostakowitsch oder Stalin. Sie springt vom Beckenrand ins Schwimmbecken, sie fällt eine Treppe herunter, sie dreht als Ballerina Anna Pawlowa ihre Pirouetten.

Die Kameraführung, die in vielen Inszenierungen wegen ihrer Hektik oft von Nachteil ist, passt zu diesem Kunstwerk wie eine Nase ins Gesicht. Denn es gibt so viel zu schauen, so viel zu erleben. All das vermischt sich mit einer Tapete aus russischen Schlagzeilen und amerikanischen Einblendungen. Das kommunistische Rot ist omnipräsent, und wenn es nur animiert von den Wänden bröckelt. Im Chor erscheinen einzelne Figuren so glatt maskiert wie eine Matroschka-Puppe. Aufgewertet wird diese Bilderflut dadurch, dass das wirklich Wichtige dank einer perfekt choreographierten Personenführung nicht untergeht.

Dirigent Pavel Smelkov vollbringt Ähnliches in der Musik. Nur hat Schostakowitsch kaum eine Melodie, was wir nach westlichen Maßstäben so nennen und kennen, zu Ende gebracht. Doch das System, was hinter der Musik steckt, legt Smelkov mit dem rhythmisch scharf artikulierenden Orchester der Met offen. Doch leicht zu hören ist das nicht – und zu singen erst recht nicht. Man ist verblüfft, wie Sänger sich durch unzählige Tonlagen hangeln, muss dutzende Dirigenten in der Kulisse vermuten, um diese Einsätze zu geben, die man nicht erwartet hat. Besonders betroffen davon ist der Chor der Met, den Donald Palumbo exakt vorbereitet hat.

Wieder einmal ist die Met nicht in der Lage, eine komplette Besetzungsliste anzugeben. Dabei hätten hier angesichts einer riesigen Personenzahl so viele Namen stehen müssen. Zum Beispiel der Name der asiatischen Sopranistin, die als Tochter der Podtotschina mit einer herrlich lyrischen Stimme durch das tonale Chaos dringt. Andrey Popov und Alexander Lewis müssen in ihren Rollen als Polizist und Nase extreme Lagen bewältigen, ihre Stimmen in unnatürliche Farben bringen. Ihre Leistung ist ebenso überzeugend wie die von Paulo Szot. Der Bariton präsentiert sich als Kowaljow in der Manier eines großen Bühnentiers. Das rasche, rezitativische Element seiner Stimme liegt ihm ebenso wie die vielen Ausdrucksformen, die er scheinbar mühelos meistert. Nur gelegentlich klingt sein charmanter Bariton etwas angeraut.

In New York hört man immer wieder begeistertes Kichern angesichts seiner mimischen und stimmlichen Flexibilität. In Münster sind die Reaktionen deutlich unterkühlter, auch wenn man bei einigen Staunen und auch Begeisterung von den Gesichtern ablesen kann. Viele Zuschauer haben die Möglichkeit, eine seltene Oper zu erleben, die sich abseits des Mainstreams bewegt, nicht genutzt. Die ersten verlieren schon nach zwanzig Minuten den Kampf gegen Schostakowitschs Musik und ergreifen die Flucht. Leisen Applaus, wie sonst immer in Münster, hört man gar nicht. Dafür aber ein anderes Geräusch, wofür man auch eine Nase braucht: Schnarchen. Jeder hat halt seine eigene Art, mit ungewohnter Musik umzugehen.

Christoph Broermann







Fotos: Ken Howard