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Fakten zur Aufführung 

KIFFERWAHN
(Kevin Murphy)
14. Februar 2014
(Premiere)

Staatstheater am Gärtnerplatz, Akademietheater München


Points of Honor                      

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Der verhängnisvolle erste Zug

Die Idee allein zu dieser Musicalfarce ist genial: Aus einem echten Präventionslehrfilm aus dem Jahr 1937, der sich über die Jahre zur Karikatur seiner selbst und damit zum Klassiker mauserte, haben Kevin Murphy und Dan Studney einen überdrehten Mix aus bierernster Holzhammerpädagogik und durchgeknalltem Drogentrip gedreht. Die Idee, die „Reefer Madness“ als Persiflage zu entlarven, wurde bereits in der US-Satireserie Simpsons aufgegriffen und im Musical und dessen Verfilmung 2005 auserzählt. Mit erhobenem Zeigefinger des einführenden Lehrmeisters wird auf die Gefahren des Haschischkonsums verwiesen, die in diesem Kifferwahnsinn gesteigerter daherkommen als jeder Herointrip. Dieses Filmchen hat nichts anderes als seine eigene Parodie verdient. Ob sich deren voller Gehalt trotz vieler US-Insiderscherze immer transportiert, bleibt dem Publikum überlassen.

Anhand des von Marihuana bedingten Unterganges von US-Posterboy Jimmy und seiner Freundin Mary Lane erzählt die Suchtprävention grotesk übersteigert vom Einstieg und Abstieg ins Drogenmilieu, wie man es sich in den Dreißigern des vergangenen Jahrhunderts vorstellte. So kann dann auch der space cake – ein Haschisch-Brownie – den Plot wieder anschieben und einen neuen Trip einleiten. Da darf sich in der Rauschrevue irgendwo zwischen dem kleinen Horrorladen, Savage Grace und Pleasantville ruhig auch mal pfuschen auf duschen reimen. Die Satire bietet humoristische Höhepunkte wie den swingenden Jesus, eine romantische Ode an den Joint und den Countersäugling, durchdringt aber in der Handlung den Anspruch der Persiflage nicht durchgängig, weswegen beispielsweise Bühnentod und -kampf unklar über einem surrealen Russ-Meyer-Exzess und verwirrender Authentizität pendelt. Das Groteske der damals ernst gemeinten Vorlage fordert hier seinen Tribut.

Ricarda Regina Ludigkeit inszeniert und choreographiert diese irre Tour mit künftigen Absolventen der Musicalklasse der Bayerischen Theaterakademie, die im vierten oder dritten Jahr ihrer Ausbildung stehen. Die Premiere bildet damit Abschlussball, Headhunting und Probetanzen zugleich. Das Spielalter des jungen Ensembles, dessen hungrige Begeisterung und der Off-Charme des, dem Münchner Prinzregententheater angegliederten Akademietheaters verströmt im besten Sinne die gewollte Atmosphäre einer guten Schulvorstellung. Bühne und Inszenierung folgen diesem Ansatz. In Rainer Sinells Ausstattung aus zeitungsbespannten Stahlträgern, Brillantine-gegeltem Haar und putzigen Vintage-Klamotten lebt der Geist des vergangenen moralischen Rigorismus der USA von neuem auf. Wenn Sperrholzbäumlein und Flugzeugattrappe über die Bühne gerollt werden, spürt man den Charme von jungem und vergangenem Spiel. Die nebelverhangene Kifferhöhle von Bühne funktioniert mitunter auch durch das eindeutige Hanfparfum, das in die Zuschauerränge dringt.

Ludigkeit, die am Haus bereits in Anything Goes als Choreographin die Steppfunken spritzen ließ, beweist ihr Gespür für präzise Tanzminiaturen, wohlrecherchierte, authentische Bewegungsläufe und lässt ihre Jungakteure dann zum Finale der Drogensoap auch noch die Steppschuhe auspacken.

Das Ensemble zieht nicht nur diese, sondern geschlechterübergreifend selbst die silbernen Stilettos an und macht darin eine erschreckend gewandte Figur. Die Synchronität im Tanz ist nicht immer perfekt, die Höhen, gerade der Damenstimmen, klingen noch etwas kreischig, doch was man hier von den durchweg ordentlichen Kräften zu sehen bekommt, ist Begeisterung, Hunger, Lust und Spielfreude en masse. Die beste Leistung liefert Laura Joeken als Mae, wobei ein durchwegs präsentes und mit Sinn für Komik agierendes Hauptrollenpaar mit Antonia Welke und Benjamin A. Merkl Lust auf ihre darstellerische Zukunft macht. Das Ensemble agiert aus- und anzüglich zwischen Travestie und Rollentausch voller Freude an ihrem Schulrausch.

Musicalexperte Andreas Kowalewitz führt als erfahrener Bandleader die kleine Besetzung aus fünf Musikern schmissig durch das redundante Kiffer-Riff und die fetzigen Nummern mit Anleihen von Grieg bis Waller. Sichtbar in den ersten Stock der Stahlkonstruktion ausgelagert, unterstützt er das gut abgemischte Ensemble mit der scheppernden Band dank viel E-Gitarre und Orgelsound.

Das gewogene Publikum ergibt sich applausfreudig dieser überdrehten Kiffer-Gaudi eines motivierten und gut geführten Schulensembles, das sich seinem Abschluss weit jenseits einer Drogenkarriere freuen darf.

Andreas M. Bräu

 







Fotos: Christian Zach