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Fakten zur Aufführung 

IPHIGENIE AUF TAURIS
(Johann Wolfgang von Goethe)
30. Januar 2012
(Premiere am 3. Mai 2011)

Theater an der Ruhr, Mülheim,
Junges Theater


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Versdrama im Heute

Diese Inszenierung hätte ihm noch einige Anregungen für seinen Aufsatz zum Zentralabitur geben können, meint Thomas, ein 18-jähriger Schüler, nach der Aufführung. Einerseits schade, andererseits – die Klausur ist geschrieben und vorbei, er ist froh. Albrecht Hirche geht das  Wagnis ein, Goethes 1787 veröffentlichten Klassiker Iphigenie auf Tauris, ein anspruchsvolles, in Jamben gefasstes Versdrama über die verwirrende griechische Götter-, Halbgötter- und menschliche Herrscherwelt für Jugendliche einzurichten und gewinnt mit einer überzeugenden zeitgemäßen Inszenierung. Hirche übernimmt die Sprache, die Goethe seiner Urfassung gibt, mutet sie den 17- bis 19-jährigen Schülern zu, und es gelingt. Nach kurzer Zeit ist die volle Aufmerksamkeit der jugendlichen Zuschauer gewonnen. Erstaunlich und bemerkenswert: die Schauspieler des Jungen Theaters, Ensemble-Mitglieder und Gäste, halten die Spannung dieses Textes bis zum Schluss durch.

Von der linken Bühnenseite her nach hinten staffeln Projektionswände die Bühne. Auf ihnen laufen Videostreifen ab, die es dem Zuschauer überlassen, sich im hellenischen Griechenland, am Strand von Santorin oder an der Ostsee wohl zu fühlen. Schlichte Strandkieselstreifen geben der Bühne zusätzliche Tiefe – einfach und wirkungsvoll. Aus der Kulisse begleiten elektronische Geräusche und Musik die Aufführung.

Einen wesentlichen Anteil am Gelingen der Aufführung hat Sarah Sandeh als Iphigenie. Sie gibt im jugendlich frischen, gelbgrundigen Sommerkleid der Iphigenie ein modernes, emanzipiertes Auftreten und tritt trotz ihrer zarten Erscheinung den sportiven Männern und der Männlichkeit kraftvoll gegenüber und entgegen, eine sehr zeitnahe Interpretation. Lediglich ihre Stimme bleibt zu Beginn so zurückgenommen, dass sie streckenweise kaum oder gar nicht zu verstehen ist.

Volker König als Thoas, der Iphignie umwirbt, präsentiert eine spielerisch und stimmlich kraftvolle, gleichwohl stilsichere Königsfigur. Thomas Schweiberer als Orest und Marco Leibnitz als Pylades geben ihren Figuren das Jugendlich-Ungestüme, das sie Iphigenie näher bringt. Balz Isler als Arkas wirkt als ruhender Pol im Getümmel.

Griechenland, Deutschland um 1800, modernes Deutschland 2012 – die Bühnengestaltung und die Kostüme von Albrecht Hirche lassen das geschickt offen. Regie und Bühnenentwurf ziehen den hinter dem Theaterraum liegenden Park mit in das Stück ein, auch wenn an diesem Januarabend Kälte statt Pinienduft hereinströmt. Die Zuschauer erhalten Decken. Im Halbdunkel der Terrasse toben sich männliche Figuren aus.

Das Experiment, ein klassisches Versdrama für junge Leute auf die Bühne zu bringen, ist den Mülheimern wieder einmal gelungen. Der Theaterpädagoge Bernhard Deutsch kümmert sich darum, dass Schülerinnen und Schüler gut vorbereitet die Vorstellungen besuchen. Etwa ein Drittel von ihnen, schätzt er, kommt mit eigenen Spielerfahrungen hierher ins Theater, eine für sie vertraute Welt. Er selbst fügt der Aufführung noch eine kurze und prägnante Einführung hinzu.

Das theaterpädagogische Angebot des Theaters an der Ruhr ist vielfältig. Seit zirka 1995 eingerichtet, reicht es von einem wöchentlichen „jour fixe “ über ein Märchenrepertoire bis zu Unterrichtsmaterialien, die Lehrern zur Verfügung stehen. Das Junge Theater freut sich schon jetzt über acht Partnerschulen, die Tendenz ist steigend.

Ob er denn Freunden diese Aufführung empfehlen würde, frage ich Thomas beim Hinausgehen. „Habe ich schon…“ – „Wie das?“ –  „Per SMS, während der Vorstellung.“ – Klassik und Moderne.

Horst Dichanz

Fotos:
Theater Mülheim (1-3)/Opernnetz