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Fakten zur Aufführung 

GEIGERIN UND BLAUER VOGEL
(Kristina Wuss)
27. Januar 2013
(Premiere)

Abgussmuseum München


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Der Genius Loci eines Museums

Im Münchener Museum für Abgüsse geht es chaotisch zu. Organisatoren wuseln umher. Es sind nicht genug Stühle vorhanden. Kostümierte Darsteller und unerwartet viele Zuschauer stehen in der Eingangshalle und warten darauf, dass die Inszenierung Geigerin und blauer Vogel zum Gedenktag der Opfer der Nationalsozialsten beginnen kann. Die hier rund 1800 ausgestellten Statuen der römischen und griechischen Antike zeigen sich davon allerdings wenig beeindruckt. Sie blicken, mal dramatisch gespannt oder eher kopflos, wie die Nike von Samothrake, von drei Stockwerken aus in den großräumigen Lichthof. Anfänglich in dunkelblaues Licht gehüllt, weiß man nicht, was einen genau an diesem Sonntagabend erwartet. Für ein Theaterstück wird zu wenig gesprochen, für eine Oper zu wenig gesungen. Das musikalische Programm ist eine Zusammensetzung von klassischen Stücken von Bach, Bernstein, Bruckner, Mahler, Scarletti, Rachmaninow, Tschaikowsky und Strauß, sowie modernen Werken von Bernstein und Yachshenko. Aber auch volkstümlichen bayerische Lieder und Tango-Stücke sind darunter. Es handelt sich also vielmehr um eine Musiktheater-Collage mit Profis und Amateuren unter der Leitung der international tätigen Regisseurin Kristina Wuss.

Mit einer großartigen Liebe zum Detail erzählen zwölf Bilder witzig, charmant, aber auch mit dem nötigen Respekt, die Geschichte einer Geigerin, die umherirrende Abgüsse klassischer Bildwerke, die 1944 nach einem Bombenangriff ihr Domizil in der Residenz verloren haben, durch die Münchener Geschichte führt. Dabei wird zum einen die Geschichte des Gebäudes als ehemaliges NSDAP-Verwaltungsgebäude mit dem Bombenangriff von 1944 thematisiert. Zum anderen auch die Geschichte des Gebäudes als Central Art Collecting Point, wo nach dem Krieg Raubkunst zusammengetragen und nach ganz Europa zurückgeführt wurde. So wird zum Beispiel die lebendig gewordene, sich selbst den Rahmen haltende Dame mit dem Hermelin von Leonardo da Vinci von der Geigerin geführt. Dieses Bild wurde von den Deutschen 1939 nach der Eroberung Polens erst beschlagnahmt, 1940 nach Krakau zurückgeführt, bei der Flucht 1944 nach Deutschland mitgenommen und schließlich in Bayern wiedergefunden. Die Dame tanzt gleich zu Beginn und noch im weiteren Verlauf mit anderen zurückgeführten Bildern. Sowieso ist man vor Kriegsbeginn noch in Walzerstimmung. Bilder der 1909 geborenen, selbst anwesenden Künstlerin Marylka Bender-Kellerer werden gezeigt, und man feiert Weihnachten. Auf eine Leinwand werden alte Aufnahmen des Königsplatzes und der Stadt München, sowie Ausschnitte aus dem 1937 zensierten Film Die Erbschaft von Karl Valentin projiziert. Dann der Kriegsbeginn als Hauptteil: Der Angriff auf die Polen, Schilderungen von der Front, aus dem Lager und eine Bombennacht. Karl Valentin ist im Bayerischen Rundfunk 1946 zu hören und wird außerdem mehrmals liebevoll mit Hilfe von Siegfried Böhmke als Marionette dargestellt und zu Grabe getragen. Schließlich folgt das Kriegsende mit der amerikanischen Nachkriegszeit. Es wird mal getanzt, mal erzählt, Abgüsse werden über die Bühne geschoben, aber vor allem wird musiziert, und zwar erstklassig.

Allen voran die durch den Abend führende Geigerin Caroline Adomeit. Nicht nur, dass sie ihr Fach sagenhaft gut beherrscht. Sie macht außerdem den Eindruck, als wäre es das leichteste von der Welt und sowieso selbstverständlich, dass man eine Geige zwischen Kopf und Schulter hat. Emotional und dabei sehr charmant, entlockt sie ihrer Geige wundersame Töne, vollführt mit einer beeindruckenden Gelenkigkeit in den Fingern und sicherem Führen des Bogens wahnsinnige Läufe und Triller. Fragmente aus Sonaten, Konzerte, Suiten von Bernstein, Bach und Strauß, aber auch diverse Tangostücke erwachen zu neuem Leben und lehren einen, die Geige zu lieben. Dazu ist Echopreisträger Julian Riem der perfekte Part am Klavier. Auch wenn er mit seinem Instrument naturgemäß nicht herumtänzeln kann wie die Zaubergeigerin und somit darstellerisch etwas in den Hintergrund gerät, bleibt einem die Virtuosität und einwandfreie Technik seines Spiels nicht verborgen. Auch das Münchener Internationale Orchester unter der Leitung von Christopher McMullen Laird spielt sauber und kommt in der Halle wunderbar zu Geltung. Weinbergs 1. Trompetenkonzert gelingt ebenso gut wie der zweite Satz aus Tschaikowskis 5. Sinfonie. Die besondere Akustik kommt auch den Sängern zugute. Anastasiya Peretyahina als Sopran und Tenor Joshua Stewart geben ein schönes Paar mit glockenklaren Klängen und einwandfreien Höhen. Ebenso hat Franz M. Wagner die Chorstücke von Bruckner und Wagner mit dem Campus Chor der Technischen Universität hervorragend einstudiert. Außerdem wirken als überzeugende Schauspieler Arthur Galiandin, Étienne Gillig und Krzysztof Machowski mit.

Die Musiktheater-Collage von Kristina Wuss fällt zwar nicht so opulent aus wie ihre immer noch beeindruckende Rusalka-Inszenierung in Bydgoszcz, dafür hat sie sehr viel Gespür für die Geschichte und den Ort bewiesen, das Gebäude perfekt genutzt und eine einmalige Atmosphäre geschaffen. Das Publikum ist begeistert, lässt aber beim Schlussapplaus ein wenig mehr Enthusiasmus vermissen.

Eugenia Winckler

 

Fotos: diverse, siehe Einzelbild