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Fakten zur Aufführung 

FEIN SEIN, BEIEINANDER BLEIBN
(Franz Wittenbrink)
25. Februar 2012
(Uraufführung am 5. Februar 2012)

Münchner Kammerspiele


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Musiktheater auf bayrisch

Es war einmal eine sehr musikalische Familie in Günzlhofen, nicht gar so weit von der großen Stadt München entfernt. Die hatten sehr viele Kinder, 15 um genau zu sein. Ungefähr die Hälfte waren Buben und die andere Hälfte Mädchen, und die machten sich schon von Kindesbeinen an Konkurrenz, besonders wenn es darum ging, wer wie viele Instrumente spielen konnte und wer besser singen konnte...

Musik gehört bei den Wells zum täglichen Leben, irgendeine Stubenmusi gibt es immer, und so werden aus den Buben, als sie älter werden, die Biermösl Blosn und aus den Mädchen die Wellküren. Groß ist die Enttäuschung landauf landab, als es vor Kurzem heißt: die Biermösl Blosn lösen sich auf. Es scheint, als sei ein unverzichtbarer Teil des Volksbrauchtums plötzlich weg und vorbei. Phantomschmerzen stellen sich ein, das Geschrei ist groß. Ein Abschiedskonzert jagt das andere, und als das endgültig letzte vorbei ist und die Buam denken, nun sei endlich Ruhe – da kommt Franz Wittenbrink daher und schubst sie alle wieder auf die Bühne, auf Bretter, die ihnen wohl vertraut sind – auf die Bretter der Münchner Kammerspiele. Doch nicht genug damit. Er holt auch noch die singenden und musizierenden Schwestern herbei, die Wellküren, und erarbeitet mit ihnen einen witzigen, spritzigen, volkstümlichen, bissigen, kracherten und anrührenden Familien-Konzertabend. Oder besser gesagt, eine Familienaufstellung auf die volksmusikalische Art. Da darf auch die Mutti nicht fehlen. Den gesamten Abend über sitzt Mutter Well in ihrem Sessel und stickt oder strickt oder häkelt – so genau ist das nicht feststellbar – sie reagiert kaum auf die Darbietungen auf der Bühne, was man ihr mit ihren 91 Jahren nachsieht und bald nicht mehr auf sie achtet. Sie nimmt vermeintlich nicht am Geschehen auf der Bühne teil – doch dann, als das Stichwort „BdM“ fällt, ist sie plötzlich hellwach und ruft „Da war i a dabei“ – ein wohlkalkulierter Brüller. Saukomisch, dann ist wieder Stille im Sessel der Oma.

Der Abend wechselt inhaltlich von Jugenderinnerungen, Karriereerinnerungen, Lokalkolorit und Geißelung der großen Politik. Gefühlte 100 Instrumente kommen zum Einsatz. Die, die gerade nicht dran sind, hängen an Schnüren am Bühnenhintergrund, der bildfüllend aus einer quietschgrünen Wiesen- und Berglandschaft besteht. Geschwisterhickhack darf nicht fehlen, alte Jugendsünden werden wieder aufgewärmt. „Du warst schuld“, „nein, Du warst schuld“ und so weiter, wir kennen das alle. Wittenbrink habe diesen Abend, den er als Regisseur wie auch als Ausstatter verantwortet, nur stemmen können, weil er selbst aus einer Großfamilie stamme, heißt es, und daher weiß er , wie es da zugeht. So einfach ist das nicht. Er hat immerhin geschafft, die Biermösl Blosn und die Wellküren zusammen auf die Bühne zu bringen – was bisher kaum jemandem gelungen ist.

Zwei Kammerschauspieler sind auch mit von der Partie. Jochen Noch und Stefan Merki geben gestresste eingeheiratete Verwandte, die schier verzweifeln an diesem Familienstamm – 15 Kinder, 15 Ehepartner, eine unzählbare Schar von nachwachsenden Kindern, Enkeln und Urenkeln. Da kann keiner mehr durchblicken, ausgeschlossen. Will man ein Familienfest feiern, braucht man einen Saal.

Wer bei so einem Abend überhaupt nicht fehlen darf, und das wissen nicht nur die Insider und warten gespannt auf den Auftritt, ist Gerhard Polt. Er kommt im letzten Drittel, als Nikolaus verkleidet, und hält der Mutti Well eine Standpauke. 15 Sünden hat er in seinem Schuldbuch eingetragen – und er liest sie vor: Hansi, Michi, Bärbi, Burg, Karli, Stofferl, Michael Well, Moni, und wie sie alle heißen, ihre Kinder. Polt hält sich angemessen zurück, um den Wells nicht die Schau zu stehlen. Und wie er mit der Mutti umgeht, ist schon herzallerliebst.

Ein Abend also, der wahrscheinlich am besten im Stammhaus der Kammerspiele funktioniert – und wie auch anderswo? Man müsste ja ein paar Dolmetscher beschäftigen, um sich auswärts überhaupt zu verständigen. Am Schluss wollen die erklatschten Zugaben gar kein Ende nehmen, selbst Wittenbrink wird samt Klavier auf die Bühne geschoben und singt mit allen ein Ständchen.

Politisch ist der Abend nicht so scharfzüngig, wie man das von den Soloauftritten der Biermösl Blosn gewohnt ist, hier liegt der Akzent doch mehr auf der Familienaufstellung der volksmusikalischen Art. In der heutigen Zeit ist eine durch und durch musikalische Familie dieser Größe ja auch eher exotisch. Vom Schuhplattler über Jazziges bis zur Klassik, die Wells haben einfach alles drauf. Harfe, Geige, Hackbrett, sämtliche Blasinstrumente, Gitarre, Akkordeon, Klavier kommen zum Einsatz – und dabei ist die Aufzählung sicher noch unvollständig. Auf Alphörnern blasen die Wells Freude schöner Götter Funken oder We will rock you oder Yellow Submarine. Da ist schon was geboten, und die Lachmuskeln haben auch gut zu tun. Wahrscheinlich funktioniert der Abend nur in dieser Kleinstadt namens „Munich, just around the corner of Oberammergau“ – so versucht einer der Wells einem Amerikaner zu erklären, wo denn nun dieses „Munichen“ sei.

Sehr bayrisch, sehr menschlich, sehr komisch und wirklich unvergesslich.

Christina Haberlik

 

Fotos: Andrea Huber