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Fakten zur Aufführung 

FALSTAFF
(Giuseppe Verdi)
14. Dezember 2013

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


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Mit allen Sinnen genießen

Man sollte sich nie mit Giuseppe Verdi anlegen. Diese Erfahrung muss jetzt schon im zweiten Jahr Der Hobbit machen. Letztes Jahr flog der erste Teil zur gleichen Zeit aus seinem Saal im Cineplex Münster, weil dort die äthiopische Sklavin Aida leiden wollte. Und nun kommt gleich am ersten Wochenende des zweiten Hobbit-Teils dieses Schwergewicht Sir John Falstaff und nistet sich am Samstagabend auf der Leinwand ein. So ein korpulenter Ritter braucht ja auch seinen Platz. Und wenn eine Opern-Live-Übertragung in der letzten Zeit es verdient hat, den größten Saal im Kino zu bekommen, dann wohl diese.

Robert Carsen, der für manch überintellektuellen Einschlag in seinen Inszenierungen bekannt ist, überrascht mit einer lustigen, spritzigen Inszenierung des Falstaff. Zusammen mit seinem Bühnenbildner Paul Steinberg und den fantastischen Kostümen von Brigitte Reiffenstuel verlegt er die Handlung in das England der 1950-er Jahre. Die holzvertäfelten Wände des Hotels, in dem Falstaff logiert, bieten genauso einen schönen Rahmen wie die Petticoats der Damen. Falstaff beweist in heruntergekommener, dreckiger Unterwäsche Mut zur Hässlichkeit, um dann später im kleidsamen Tweed-Anzug oder in roter Reiteruniform seinen gesellschaftsfähigen Stil zu demonstrieren. Die amerikanische Verkleidung des Mr Ford ist einfach nur zum Lachen. Zum Finale des zweiten Aktes dann gibt es den optischen Overkill – im positiven Sinne allerdings. In der Küche der Fords, wo sogar neben unzähligen anderen Details an das Omo auf der Waschmaschine gedacht wurde, wird der Truthahn aus dem Ofen gezogen und von Falstaff bei seinem Rendezvous mit Alice Ford sehr ungleichmäßig tranchiert. Das junge Liebespaar Nanetta und Fenton versteckt sich nicht hinter einem Wandschirm, sondern unter dem Tisch, während Fords Mannen die Wohnung Stück für Stück auseinander nehmen, ehe Falstaff mit einer kleinen Wasserfontäne in der Themse landet. Trockengelegt wird der nasse Ritter dann im Pferdestall direkt neben einem eifrig Heu knabbernden Gaul.

Es sind diese vielen, kleinen Details, diese liebevolle Personenführung, mit der die Geschichte um die lustigen Weiber, um eifersüchtige Männer und den dicken Ritter sowie seine notorisch klauenden Kumpanen erzählt wird, ohne sie zu ersticken. Dass dann die Abreibung im zweiten Bild des dritten Aktes, immerhin schön ausgeleuchtet von Carsen und Peter van Praet, etwas schwächer ausfällt: Schwamm drüber. Das spielfreudige Ensemble weiß eh in jedem Moment zu überzeugen. Selten kommt es vor, dass ein Falstaff in sich so homogen besetzt ist. Da sind Carlo Bosi als Dr. Cajus und besonders Keith Jameson und Christian van Horn als Bardolfo und Pistola Komiker und Sänger gleichermaßen. Lisette Oropesa und Paolo Fanale überzeugen mit lyrischer Romantik als Nanetta und Fenton. Dem jungen Tenor Fanale fehlt lediglich noch etwas das tenorale Selbstbewusstsein. Jennifer Johnson Cano macht aus der Meg Page mehr als nur eine zuverlässige Stichwortgeberin. Stephanie Blythe nimmt als Mistress Quickly schon allein durch ihre mächtige Röhre ein – ganz zu schweigen vom Einsatz ihres Körpers. Franco Vassallo führt mit starker Stimme den Wohlstandsanspruch des Mr Ford prächtig als Dummheit vor. Angela Meade steht ganz unforciert und locker der Damenriege vor. Sie wäre eine ganz überzeugende Ensembleführerin gewesen, wenn – ja wenn – Verdi nicht die erste Stimme dem Bariton, der Titelfigur, gegeben hätte. Und da ist schwer vorstellbar, einen besseren, natürlicheren Falstaff zu finden als Ambrogio Maestri. Er spielt den Falstaff nicht nur, er ist es einfach – schon allein, weil er sich den Bauch nicht umbinden muss, sondern ihn hat. In seinen Gesten und Reaktionen blitzt die Erfahrung auf, doch sein Einsatz macht einen glauben, er hätte die Rolle noch ganz frisch im Repertoire. Auch vokal ist Maestri ein Falstaff vom feinsten, der alles fertig bringt: Falsett, rasantes Parlando und stimmgewaltige Fermaten. Dieser Sänger genießt die Rolle in allen Zügen und stellt sich in der Pause noch vor die Kameras, um ein Risotto zu kochen.

Rückkehrer James Levine, der eine zweijährige Verletzungspause überstanden hat, wird schon vor dem ersten Ton begeistert am Pult begrüßt und macht in Folge deutlich, dass er und das Orchester der Met eine Einheit sind, die kaum zu schlagen ist. Dieser Falstaff sprudelt ganz natürlich, ohne künstliche Zusätze vor sich hin. Ein Ohrenschmaus also.

Oder zumindest fast, denn der Ton leistet sich auch die ein oder andere verschmerzbare Unzulänglichkeit. In der Kameraregie sieht man endlich mal brauchbare Ansätze, wie man mit einem intelligenten Schwenk ohne Hektik auf dem nächsten wichtigen Punkt landen kann. Doch dazwischen versucht der Schnitt, schneller zu sein als Verdis rasante Musik und schon kommt das Bild wieder ins Schwimmen. Das begeisterte New Yorker Publikum beim Applaus zu zeigen, ist eine gute Idee. Nicht aber, wenn man dafür einzelne Sänger beim Verbeugen fast ausblendet. Von den üblichen Verdächtigen in Münster wird auch ausgeblendet, dass man – egal ob man sich in der Oper oder im Kino befindet – lieber die Sänger als die tuschelnden Nachbarn hören möchte. Das ist dann für die Sinne etwas zu viel an Information.

Christoph Broermann



Fotos: Ken Howard