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Fakten zur Aufführung 

DIE ENTFÜHRUNG AUS DEM SERAIL
(Wolfgang Amadeus Mozart)
2. Februar 2014
(Premiere am 31. Januar 2014)

Staatstheater am Gärtnerplatz, München


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Vivat Rokoko

Böhm, Gruberova, Everding: Diese Namen verbindet der Münchner in der Vergangenheit mit der Entführung aus dem Serail. Zuletzt aber erregte die umstrittene Inszenierung der Staatsoper, die die Haupthandlung auf schwebende Sofas verpflanzt, die Gemüter. Das Gärtnerplatztheater legt nun als zweite Opernpremiere dieser Spielzeit einen klassischeren Serail im Cuvillíestheater auf, das mit der mittlerweile dritten Produktion dieser Art nach dem Don Pasquale und der gefeierten Semele ein neues Opernkleinod klassischen Anspruchs zu werden scheint.

Regie führt die Operndebütantin und mit Wiener Schauspielregie-Lorbeeren angereiste Stephanie Mohr, die hier vor allem Theatralität sucht und erzeugt: Zuschauerlogen doppeln sich in den Bühnenraum hinein, ohne in ihrer Schlichtheit mit der Pracht des Cuvillíes konkurrieren zu wollen. Die beiden Paare stehen nach der Ouvertüre bereit zu einer Scharade, einem Gesellschaftsspiel in luxuriösem Ambiente. Ein Glücksautomat gibt den Anstoß, worauf die Figuren zum Teil aus der Zeit fallen und im kühleren Jetzt des zeitgenössischen Serails aufschlagen. Belmonte bleibt, in sein Rokokokostüm verkleidet wie eine Mozartkugel, dagegen der Fremdkörper neben seiner entführten Konstanze, die Reifrock und Korsett abwirft. Erst mit der Rettung redomestiziert er seine Geliebte in das alte Rollenbild und wirft ihr erneut das kitschige Wallekostüm über. Im Serail nämlich, angespannt und auf sich gestellt, leben diese Frauen erst richtig auf. Konstanze als schmollende Märtyrerin und Blonde durch ein patent emanzipiertes Selbstschutzverhalten. Bassa Selim verfolgt das als großer Melancholiker rezitierend und pistolenfuchtelnd.

Mohr sucht in ihrer Inszenierung nach einem Kern von Mozarts Singspiel, sie nimmt den Handlungsklecks und versucht, daraus ein Drama zu malen. Zur Orientierung bedient sie sich bei Texteinflechtungen und verwandten Stoffen, leider verliert sie dadurch die Deutungshoheit über ihre eigene, nicht stringente Interpretation. Automat und Melancholie entlehnt sie aus Leonce & Lena – Büchner steht sie ohnehin nahe – die Figur des Bassa wird krampfhaft durch ausführliche Houellebecq-Rezitationen ausinszeniert, auch so ein kanonisierter Quertreiber wie das Wolferl, wobei so eine prominente, stückfremde Textübernahme immer auch eine Aufgabe gegenüber der Vorlage bedeutet. Am meisten gearbeitet wurde offensichtlich erfolgreich mit der einen Sprechrolle. Der verbindende Bogen, die Klammer für einen nicht zerfasernden Serail aus – an sich – guten Interpreten geht dabei jedoch verloren. Viele Fragen bleiben offen: Warum dieses aufwändige Zelt im leeren Bühnenraum vor einer Goldwand? Wieso das ständige Pistolenspiel? Warum der Zeitsprung und die groteske Mischung zwischen intensiv gespieltem Drama und leichtem Schwank? Warum auch noch eine Doppelung der Solisten mit Statisterie? Warum zur Hälfte Rampenarien und dann wieder ausgearbeitete Personenregie? Fast scheint es, als probiere Mohr mit dem großen Werkzeugkasten der Opernregie ein wenig herum, bis sie ihren Zugang finden wird.

Die Bühne von Miriam Busch geht eigene Wege. Neben den verunglückten Logen schafft sie mit kleinen Andeutungen große Wirkung. Der prächtige Gobelin reicht für die Orientatmosphäre, die senkende Spiegelfläche wirkt ebenso opulent wie die farbenprächtigen Chorkostüme von Alfred Mayerhofer, der zu Hälfte etwas überdrehten Rokokochic und zur Hälfte zurückgenommen Zeitgenössisches schafft. Gut das durch viele Lampions erzeugte Spiellicht von Damian Chmielarz.

Die Kräfte des Abends brillieren. Allen voran das hohe Paar Belmonte und Konstanze. Nach ihrer beachtlichen Semele beweist Jennifer O’Loughlin ihre Mozartqualitäten. Seltene Kratzer in den Koloraturen sind verzeihlich, wenn man hört, wie sattelfest sie bereits in der Marter-Arie ihre Frau steht. Nur szenisch wirkt O’Loughlin zu ihrem Nachteil immer etwas gequält, überfordert und besteht den großen Spalt zum Schauspielmann als Bassa nicht. Durch Kostüm und statischer Regie ebenfalls im Spiel beschnitten die Entdeckung Dean Power. Der Opernstudio-Eleve liefert die beste Leistung dieses Serails ab. Ein junger Sänger stellt sich vor, dessen Tenor die Spitzentöne fließen lässt und dabei eine hervorragende Diktion bemerkbar macht. Nur in den Rezitativen lugt der Dubliner hervor. Intendant Köpplinger bindet dieses Paar, wenn er Glück hat, weiter an sein Haus. Csilla Csövári gewinnt durch ihren Liebreiz und die jugendliche Energie mit ihrer ordentlichen und brünetten Blonden. Der leicht verschnupfte Hauspublikumsliebling Prohaska spielt gerade in den Dialogen seinen Operettenschmäh gewandt aus. Bis auf das seltsame Korsett ein Prachtosmin: Patrick Simper. Mit Sinn für Körperbeherrschung und Komik sowie einem runden, erwachsenen Bass scheint dieser Bösewicht für Simper ein leichtes Spiel. Schwieriger macht es sich Raphael van Bargen, weiterer Wienimport in München. Seine durchdachte Psychologisierung des Bassa überzeugt und verschreckt. Eruptiv und melancholisch, suchend und weltvergessen zielt sein Lauf auf sich und andere. Eine große Leistung im falschen Kontext.

Großes leistet auch erneut der mehr und mehr mit dem Haus verwachsende GMD Marco Comin, der diesen Serail dirigiert, als wäre es Donizetti. Mozarts Wiener Arbeitsprobe verträgt das und klingt leicht, schnell und romantisch. Comin spricht von Mozart als „Maßschneider für seine Sänger“. Der Dirigent fungiert ebenso als Ankleider am Pult, der gerade O’Loughlin und Powers mit eng anliegenden Höchstleistungen ausstaffiert. Der S-Dur-Anklang, dem Saal geschuldet noch etwas blechern, hebt sich zu schmissigem Janitscharensound, wozu das Schlagwerk in die Proszeniumslogen ausgelagert wurde, um Platz für den runden Klang zu schaffen. Der Gärtnerchor mit Gastleiter Felix Schuler-Meybier verfährt ebenso und liefert einen satten, verständlichen Mozartklang trotz der Dezimierung der Kräfte aufgrund von Parallelvorstellungen mit dem Flaschengeist.

Ein ordentlicher, wenn auch nicht außerordentlicher Serail wird vom Publikum gefeiert, der von den drei Münchner Giganten der Vergangenheit am meisten August Everding vermissen lässt.

Andreas M. Bräu

 







Fotos: Thomas Dashuber