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Fakten zur Aufführung 

L'ENFANT ET LES SORTILÈGES
(Maurice Ravel)
DER ZWERG
(Alexander Zemlinsky)
20. Oktober 2013
(Premiere am 27. Februar 2011)

Bayerische Staatsoper München


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Zauberhaft und zaudernd

Ein zweigeteilter Abend mit zwei Komponisten, zwei Besetzungen, zwei Geschichten und zwei sehr unterschiedlichen Eindrücken entsteht, wenn ein Zwerg ein ungezogenes Kind trifft. An den Münchner Staatsoper wird Ravels L’Enfant et les Sortilèges sowie Alexander Zemlinksys Der Zwerg gegeben. Die getrennten Teile verbindet nichts, sie stehen für sich.

Vor der Pause Ravels einzige vollendete Oper L’Enfant et les Sortilèges. Ein tatkräftig unausstehlicher Bengel, dargestellt von Laura Tatulescu mit sanftem, schönen Sopranpiano, geht hier in seinen Tierquälereien und seiner Zerstörungswut zu weit. Von lebendig gewordenen Möbeln und schließlich den Gartentieren wird er ordentlich erschreckt und schlussendlich geläutert. Das passiert mit vielseitigem, ständig wechselnden Personal in allerhand Kostüm. Die genaue Interieursaufzählung wiederholt dabei wunderbar französische Sitzmöbelvokabeln. Dazu allerlei Tiergestalten, die leidgeprüft von ihren Erfahrungen mit dem bösen Bengel erzählen.

Regisseur Grzegorz Jarzyna wählt einen klugen Mittelweg. Er führt eine erzählerische Metaebene ein, indem er den Zuschauer an Dreharbeiten teilhaben lässt, die wiederum L’Enfant produzieren. Mit offenem Bühnenvorhang sieht das Publikum bereits vor Beginn einen detailgetreu eingerichteten Set-Lkw-Anhänger, den Magdalena Maria Maciejewska geschaffen hat, und allerhand Techniker, die sichtbar umbauen. Dazu immer zwei Kamerateams, die – unechterweise – das Bühnengeschehen im Sucher einfangen. Parallel werden Videoeinspielungen von Details der Handlung über das Geschehen projiziert. Das Spiel um das Spiel erzeugt Distanz zum der Vorlage von Colette geschuldeten, doch sehr holzhammerpädagogischen Subtext der Läuterung des Ungezogenen. Was sich vor der Kamera allerdings abspielt, ist zauberhaft. Ein Potpourri aus Tierimitation, aufwandsstarkem Illusionstheater und sehr ästhetisch erwachsener Fabel. Ein bisschen Schöne und das Biest mit viel Peter und der Wolf und allerlei Anspielungen bis zu Rossinis Katzenduett. Der Regiestil ist eindeutiger als etwa bei Richard Jones symbolischer Hänselvariante, dafür kindgerechter und mit der Begabung, modernes, zeitloses Märchen zu produzieren. Wenn selbst die Tapetenfiguren zu einem wahrhaftigen Schäferchor aus der Wand heraushüpfen, wird aus der zweidimensionalen Vorlage etwas Rundes. Großen Anteil haben dabei die aufwändigen Kostüme von Anna Nykowska Duszynska.

Ravels Musik verträgt und benötigt eine Märcheninszenierung, denn aus einem ganzen Farbtopf der Klangmalerei mischt er diesen abwechslungsreichen Einakter. Aus Orientalismen, jazzigen Anklängen und immer wieder Natur und Tier imitierenden Melodien entsteht ein zauberhafter, wenngleich sehr eindeutiger Klang. Eine Entdeckung!

Nach der Pause wird es düsterer. Oscar Wildes Vorlage vertont der Wiener Alexander Zemlinsky. Es ist die Geschichte des getäuschten Zwerges, der sein verunstaltetes Antlitz nicht kennt, sich für einen stattlichen Ritter hält und von einer grausamen Infantin dank Spiegel mit seiner Hässlichkeit konfrontiert wird. Darauf stirbt der verliebte Zwerg am gebrochenen Herzen. So stark die Geschichte, so uninspiriert der zweite Teil. Im Disneydesign hüpfen viele Hofdamen in Reifröcken umher, sehr statisch der Aufbau, noch statischer die redundanten Duette bis zur grausamen Lösung. Auf zwei Cabrios wird sich viel gereckt und noch mehr gesungen. Das Tempo des ersten Teils verlangsamt Zemlinksys Adagiomärchen noch dazu.

Es wird eine seltsame Verbindung eingegangen. Die im Grunde plumpe Erziehungsfabel des Enfants prescht als Rausch der Sinne, der Tiere und Eindrücke temporeich auf das begeisterte Publikum. Der Zwerg rührt im langsamen Tempo, ohne die Qualität des Ravel zu erreichen und im direkten Vergleich mithalten zu können.

Gesanglich wie musikalisch zeigt sich ein ähnliches Bild. Dirigent Martyn Brabbins stutzt zwar nach Möglichkeit die zuckersüßen Überwältigungsversuche der Wiener Schule von Zemlinsky zurück, doch ebenso wie das Publikum fühlt er sich im schnellen, wie wechselseitigen Ravelschen Enfant mehr zuhause. Aus dem Hausensemble mit hohen Niveau – trotz diverser Verwandlungen und Rollenwechsel – gestemmt, ragt Tatulescu szenisch als Kind heraus, die ihren rührenden Sopran gekonnt einsetzt. Daneben eine Freude der quirlige Allroundgottesnarr Kevin Conners und die souveräne Okka von der Damerau. Die großen Momente gehören aber sicherlich dem gut aufgelegten Staatsopernchor in der Einstudierung von Sören Eckhoff, der selbst in Froschmaske und Schäfertracht seine animalische wie verspielte Seite hervorkehrt.

Ein anderes Bild im Zwerg. Etwas unsicher, dabei wenig aufregend der Don Estoban von Paul Gay. Hanna-Elisabeth Müller dagegen überzeugt als grausame Infantin in herrlich überzogener Rotschopfmaske. Viel zu zeigen erlaubt ihr Zemlinksys Werk nicht. Die besseren Momente gehören dem warmen, wohl dosierten Sopran von Irmgard Vilsmaier als Ghita. Doch Zemlinksy überdeckt auch deren starkes Libretto mit viel Streichern und Tamtam. Seine Komposition ist breiter Wiener Zuckerguss mit Spitzentönen, die der fragilen Höhe des ansonsten beachtlichen Zwergentenors John Daszak nicht entgegenkommen. Dafür rührt er in seiner Aufrichtigkeit, seiner an Cervantes angelehnten Verblendung und seiner Narrenrolle. Ihm gehören die stärksten Momente der nachlassenden zweiten Hälfte. Es lädt mehr ein, Wildes Märchen im Stillen erneut zu lesen.

Artiger Applaus und sicherlich einige neu für die Oper entbrannte Kinder.

Andreas M. Bräu

Fotos: Wilfried Hösl