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Fakten zur Aufführung 

CLOWNS 2 1/2
(Roberto Ciulli)
25. Januar 2014
(Premiere am 10. Oktober 2013)

Theater an der Ruhr, Mülheim


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Revolution im Altenheim

Da stimmt doch vorn und hinten einiges nicht: Ein baumlanger älterer Kerl in Jogginganzug und Schlappsandalen tappt mit einem Kinderstuhl in der Hand auf die Bühne und klappt sich mühsam genug auf diesem Möbel zusammen. Es kommen noch mehr, alle irgendwie etwas schräg, älter bis alt, und eben mit Kinderstuhl, die Besatzung eines Altenwohnheims, des Altenwohnheims. Morgens ist Zeitungsstunde – der Intellektuelle liest die Süddeutsche – und die gerät zur fröhlich-sinnlosen Bastel- und Perkussionsrunde, wenn die Putzsüchtige, der Maestro mit Schmalzlocke, der Bürokrat, der Hundeliebhaber oder die feine Dame beginnen, im Rhythmus zu rascheln und ihre Zeitungen langsam, sorgfältig und genussvoll in kleine Streifen zu reißen – ist doch egal, was man hier macht. Der Gigante Buono, ein furchterregender Riese und Oberpfleger in einer Mischung aus Clown, Tod und Rabe kommt beim Gongschlag und bläst den ganzen Papierkram wie mit dem Laubbläser in die Kulissen – Ordnung muss sein. Inzwischen gesellt sich ein Weißclown als Klavierspieler zu der Gesellschaft und spielt feine traurige Weisen von Bach und Debussy .

Die Atmosphäre im Altenwohnheim ist durchaus geladen: Schon der erste Zug der nicht geduldeten Zigarette von Marlene löst bei allen anderen Bewohnern reflexartig und unisono ein chronisches Husten aus – Störung, der Alltag ist hier genormt. Marlene, feinsinnig gespielt von Dagmar Geppert, stört auf elegante Art mit Stil. In einer ergreifend-komischen Szene werden die feine Dame und der pensionierte General an fröhliche Tanzzeiten erinnern, trauen vorsichtig, sich anzufassen und richten sich immer mehr aus den körperlichen Einschränkungen ihres Alters auf, um schließlich gar einen Walzer zu drehen, bis zum Umfallen eben. Jeder Ausbruchsversuch wird hier bestraft.

Den Alltag in diesem Wohnheim bestimmt die Glocke des Oberpflegers, hart und unerbittlich: Wenn sie klingelt, wird geschlafen, gegessen, gespielt, Besuch empfangen – wie man es kennt und fürchtet – bis es den Insassen zu bunt wird. Sie setzen dem „ordnenden Diktat der Verwahranstalt“ ihren Eigensinn entgegen, nicht ohne Komik. Dabei bleiben sie sprachlos, ihr pantomimisches Spiel reicht völlig aus, der komplexen „Handlung“ zu folgen. Der Aufruhr der Alten eskaliert, sie werfen die Kinderstühle zu einer Barrikade zusammen, pflanzen den sprichwörtlich gestreiften Bademantel als Aufruhrflagge an einen Besenstiel und skandieren, unartikuliert und unverständlich, ihren Protestsong, der zufällig an den bekannten Ruf „Ho – Ho - Ho –Tschi minh“ erinnert – oder täuscht das?

Bei der Ausstattung spielt Gralf-Edzard Habben mit den Kinderstühlen und stellt nur noch einen Selbstbau-Schrank auf die Bühne, in dem zum Schluss die Bewohner verschwinden, dann doch wieder auftauchen – und endgültig verloren gehen. Rudzi Aliji gibt ein wenig Schummerlicht dazu. Ein besonderer Bühnenknüller: Mit einem Knall löst sich plötzlich ein Kronleuchter aus den Kulissen und pendelt, allmählich langsamer werdend knapp über dem Boden bis zum Schluss quer über die Bühnen – ein Zeitpendel der besonderen Art.

Die von Matthias Flake zunächst auf dem Klavier eingespielte Musik zeichnet feine Gefühlslinien der Bewohner, unterstützt dann aber mit heftig lauter Einspielung und modernem Rhythmus die Revolution der Alten gegen die „gebündelte Sinnlosigkeit“ ihrer verordneten Umwelt.

Die Aufführung ist eine Ensembleleistung, bei der es kaum möglich ist, einzelne Darsteller hervorzuheben. In seiner bevorzugten Rolle als Violinvirtuose darf Fabio Menéndez besonderen Beifall entgegen nehmen. Rupert J.Seidl gibt den Giganten Buono, den Pfleger mit hinreichend autoritärer Distanz, und der als Pianist tätige Weißclown Matthias Flake bleibt bis zum Schluss seiner Maske kühl und entrückt treu.

Ciullu ist mit der Inszenierung dieser „Clownerie des Alters“ eine bitterböse, gleichwohl unterhaltsame Persiflage auf das Leben in einem Altenwohnheim gelungen, die er mit vielen originellen Spitzen würzt. Auch ihm gilt der herzliche, ausgiebige Beifall, als er zum Schluss, sein eigener Protagonist, einmal kurz die Bühne quert.

Horst Dichanz

Fotos: Andreas Köhring