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Fakten zur Aufführung 

LA BOHÈME
(Giacomo Puccini)
5. April 2014

Live-Übertragung aus der Metropolitan Opera New York

Cineplex Münster


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Man stirbt doch zwei Mal

Am Freitagabend stirbt die lettische Sopranistin Kristine Opolais auf der Bühne der Metropolitan Opera den tragischen Selbstmord der Cio-Cio-San in Puccinis Madama Butterfly. Sie kann erst spät einschlafen und wird am Samstagmorgen von einem Anruf von Met-Direktor Peter Gelb geweckt. Anita Hartig, die Mimi der Nachmittagsvorstellung hat sich mit Grippe krank gemeldet. Ob Frau Opolais wohl einspringen könnte…? Zuerst sagt die Opolais nein. Doch dann entschließt sie sich, die Vorstellung doch zu machen. Es beginnt die rasche Einarbeitung: Bühnenprobe, Kostümprobe, musikalische Absprachen, Einsingen. Gelb macht die Ansage der Besetzungsänderung für das Publikum und die Kameras der Kinoübertragungen selber und betont den Einsatz der Sängerin. Noch nie, so sagt er, habe es eine Sängerin an der Met gegeben, die Mimi und Cio-Cio-San in einer Saison gesungen hat, geschweige denn direkt hintereinander. Für die Met ein historischer Moment.

Historisch ist auch die Inszenierung von Franco Zeffirelli. Nicht nur, weil sie fast auf den Tag genau vor sechs Jahren schon in der ersten Saison der Kino-Übertragungen zu sehen war. Sie hat etliche Jahre auf dem Buckel, und wurde schon oft wieder einstudiert, in diesem Fall von J. Knighten Smit. Es ist eben eine ganz klassische, unterhaltsame La Bohème – nicht mehr und nicht weniger. Aber das besondere Flair dieser szenischen Umsetzung machen eh die Bühnenbilder von Zeffirelli und die Kostüme von Peter J. Hall aus. Mit welcher Detailverliebtheit hier großes, farbenfrohes Theater gemacht wird, ist einfach atemberaubend. Die Wirkung ist dementsprechend die gleiche wie vor sechs Jahren. In New York gibt es zum zweiten und dritten Akt Szenenapplaus. Kein Wunder angesichts dieser Ausstattung: In der bombastischen Pariser Kulisse können sich selbst die über hundert Komparsen und Chorsänger verlaufen. Und auch wenn es dem Kalender nach auf Ostern zugeht und draußen der Frühling ausgebrochen ist, lässt einen das verschneite dritte Bild frösteln. Natürlich – und das ist dann der kleine Nachteil dieser Opulenz – erfordern diese Bilder lange Umbaupausen. Daher gibt es, anders als sonst üblich, zwei Pausen im Theater. Der Kinobesucher kann dank der Kameras immerhin beobachten, wie Technik und Arbeiter miteinander das Gesamtbild zusammenfügen. Die recht solide Kameraführung hinterlässt dieses Mal sogar einen besseren Eindruck als der uneinheitliche Ton.

Am Pult des Metropolitan Opera Orchesters steht diesmal Stefano Ranzani, der eine recht plausible Interpretation der Oper vorlegt. Heitere Momente bekommen Schwung, romantische Szenen werden ausgekostet, so dass man sich jede Achtelnote genüsslich auf der Zunge zergehen lassen kann. Das Orchester der Met ist in seinem Element und spielt diese Partitur mit traumwandlerischer Sicherheit. Lediglich der Tambourmajor und seine beiden Schlagzeuger drohen für einen Augenblick das Finale des zweiten Aktes aus seinem Schlag zu bringen. Das Ensemble lässt seinen Gefühlen freien Lauf und spielt einfach authentisch seine Rollen aus. Bei den vier Bohemiens haben sich Freunde fürs Leben gefunden: Oren Gradus ist ein solider Colline, der ein bisschen durch die Präsenz von Bühnentier Patrick Carfizzi in den Hintergrund gedrängt wird. Auch stimmlich ist Carfizzi ein ganz starker Schaunard, mit dem auch Massimo Cavalletti als Marcello nicht ganz mithalten kann. Seinen herzhafter Bariton drückt er eine Spur zu oft nach oben. Auch Vittorio Grigolo treibt seinen Tenor gerne mal in die Höhe, was er gar nicht nötig hätte. Denn an sich ist er dank Optik und Timbre ein Bilderbuch-Rodolfo, der mit emphatischer Leidenschaft den Poeten singt und auch mit dem Text umzugehen weiß. Die beste gesangliche Leistung kommt aber von Susanna Phillips, deren Musetta man mit einem Wort beschreiben kann: Perfekt!

Nicht nur angesichts der Umstände ist Kristine Opolais eine beeindruckende Mimi. Die Anstrengung der letzten 24 Stunden hört man ihrer vielleicht etwas schwerer klingenden Mittellage an, doch ansonsten ist ihre Mimi technisch tadellos. Natürlich wirkt sie in den ersten beiden Akten noch sehr konzentriert. Ab dem dritten Akt, wenn die Szene etwas ruhiger und übersichtlicher wird, lässt sie sich immer mehr fallen und hinterlässt Wirkung bei den Zuschauern. Bei ihrem zweiten Bühnentod innerhalb von fast achtzehn Stunden sind nicht wenige Schniefer und Taschentücher zu vernehmen. Sichtlich gerührt nimmt sie am Ende den begeisterten Applaus des Publikums entgegen.

Christoph Broermann



Fotos: Cory Weaver/Marty Sohl