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Fakten zur Aufführung 

THE BLACK RIDER
(Tom Waits, William S. Burroughs, Robert Wilson)
1. März 2014
(Premiere)

Theater Münster


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

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Zwischen Drogenwahn und Cabaret

Musicals gelten für viele ja als unterhaltsame Version einer Oper. Die Musik rockt, die Hände und Köpfe zucken mit, die Umsetzung ist für viele meist zeitgemäßer als der Stoff aus dem vorletzten Jahrhundert. Eine Vorlage hat sich als Oper wie als Musical etabliert. Die Volkssage Der Freischütz wurde bei Carl Maria von Weber zur gleichnamigen Oper. Musiker Tom Waits, Schriftsteller William S. Burroughs und Regisseur Robert Wilson machten daraus eine musicalähnliche Ballade namens The Black Rider. Der schwarze Jäger aus der Hölle heißt hier nicht Samiel sondern Stelzfuß. Die durch Weber berühmten Namen Max, Agathe und Kasper sucht man vergebens auf dem Besetzungszettel und findet stattdessen Wilhelm, Käthchen und Robert. Die Handlungen sind sich ziemlich ähnlich. Der junge, schüchterne Wilhelm muss, um die Hand seines geliebten Käthchens zu erhalten, einen Probeschuss erfolgreich bestehen, vertraut sich dunklen Mächten an und erhält magische Kugeln, die angeblich nie ihr Ziel verfehlen.

Wo sich in der Oper noch eine Art Wettstreit zwischen Gut und Böse ergibt und das Gute am Ende noch ganz knapp gewinnt, geht das Musical wesentlich pessimistischer aus: Der Teufel trifft mit der letzten Kugel, die ihm alleine gehört, Käthchen tödlich. In Münster macht Schauspielchef Frank Behnke von Anfang an keinen Hehl daraus, dass The Black Rider ein absolut nachtschwarzes Stück ist, das sich ziemlich nah am Rande des Wahnsinns bewegt. Während das Publikum den gespenstig-kalt beleuchteten Zuschauerraum betritt, sitzt der schüchterne Wilhelm nachdenklich auf der Bühne. Ein roter Vorhang verbirgt den Hintergrund der schwarzen Schräge und deutet die Nähe zum Theater an. Das babylonische Gewirr von Ansagen, wo man unter anderem gebeten wird verschiedene, namhafte Mobilfunkgeräte in den Versionen eins bis sechs auszustellen, überspitzt diesen Gedanken gleich wieder.

Günter Hellwegs Bühne mag auf den ersten Blick langweilig und nüchtern ausfallen, doch hält sie manchen Effekt parat. Da bekommt die glatte Rückwand gefährliche Ecken, und im Boden tut sich ein feuriger Abgrund auf. Ein entwurzelt schwebender Baum ist der einzige Hinweis auf den Wald. Ein gigantisches Uhr-Pendel mit dem darauf angebundenen Kuno schwingt im Hintergrund hin und her. Falsch verstandene Tradition ist in diesem Fall eine tickende Zeitbombe. Behnke schickt sein Schauspielensemble, aus dem sich respektable Sänger herausschälen, auf einen Trip zwischen Drogenwahn und Cabaret. Kristopher Kempfs Kostüme könnten auch einem schlechten Heimatfilm entsprungen sein. Nicht selten schüttelt man den Kopf angesichts der degenerierten Volkstümlichkeit, die auch einem Albtraum von Stephen King entsprungen sein könnte. Doch Behnke bricht die düsteren Momente rechtzeitig mit Parodie auf, ehe sie sich wirklich in den Köpfen festsetzen können.

Nicht wirklich greifbar ist auch die Musik – sowohl optisch als auch in den Melodien. Mal taucht das sechsköpfige Ensemble hydraulisch in dem Lichtkreis auf der Bühne auf, um dann wieder in den Tiefen des überbauten Orchestergrabens zu verschwinden. Tom Waits‘ Musik ist mehr eine grandiose Lautmalerei als eine melodische Genugtuung. Viele kleine Gags hat sie parat: Zum Beispiel hat man oft das Gefühl, dass die Musik nach dem Namen Wilhelm abbricht, als würde der sich aufdrängende Nachname Tell schnell verschluckt werden. Trotzdem hat das kleine Ensemble großen Spielraum, sich in jeder Hinsicht erfolgreich an diesem Werk abzuspielen. Unter der Leitung von Michael Barfuß ist es musikalische Trickkiste und rhythmischer Klangkörper gleichermaßen. Dass einige Effekte nicht ganz mit dem Timing auf der Bühne übereinstimmen, liegt ganz einfach an der Premierennervosität.

Das Ensemble singt mit elektronischer Verstärkung, die in Münster auch recht gut abgemischt klingt. Doch dürfte die englische Sprache der Musik noch etwas pointierter dargeboten werden. Sehr treffend ausgewählt sind die Solisten. Maximilian Scheid ist als Robert, Wildeere und Georg Schmidt für die Vielseitigkeit zuständig. Florian Steffens überzeugt als Kuno. Isa Weiß und Gerhard Mohr portieren das spießige Ehepaar Bertram und Anne. Ihre Tochter Käthchen ist bei Maike Jüttendonk in den Händen einer Stimmakrobatin, die zugleich aber auch einfach schön singen kann. Christoph Rinke gibt dem Wilhelm schlaksige Tanzeinlagen, unsichere Körperhaltung und sehr souveränen Gesang mit einer kräftigen Mittellage. Aurel Bereuter schließlich ist als Stelzfuß nicht einfach grimassierender Teufel, sondern ein böser Conférencier, der mit allen Wassern gewaschen ist.

Das Publikum in Münster geht mit. Es lacht, es spendet Zwischenapplaus und kann betroffen schweigen. Und am Ende wird nicht Bravo gerufen, sondern laut gejohlt. So lange bis alle aufstehen und noch lauter weiter klatschen. Einigen wenigen ist der Abend aber dann doch zu modern. „Da hätten sie ja besser den Freischütz spielen können.“ Gut, dass man mal diese Version zu sehen bekommt. Kurzweilig und unterhaltsam ist The Black Rider in Münster allemal.

Christoph Broermann

Fotos: Oliver Berg