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Fakten zur Aufführung 

BENVENUTO CELLINI
(Hector Berlioz)
15. Februar 2014
(Premiere)

Theater Münster


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Vor der Premiere


Die Vorfreude auf das selten gezeigte Stück war in Münster groß. Christoph Broermann hat Aron Stiehl und Stefan Veselka vor der Premiere getroffen (7'24).


 

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Hier gilt's der Unterhaltung

Als Opéra comique hat Berlioz seine Oper über den Renaissance-Künstler Benvenuto Cellini deklariert, die man in Deutschland kaum im Theater erleben kann – auch weil die stimmlichen und szenischen Anforderungen an ein Haus wie das Theater Münster nicht gerade gering sind. Aber wurde in der Ära Humburg erfolgreich Wagners Ring gestemmt, dann muss für die Intendanz Peters auch ein ähnliches Erfolgserlebnis her. Da kommt die Münstersche Erstaufführung von Benvenuto Cellini gerade recht, und den Ring bringen Dirigent Stefan Veselka und Regisseur Aron Stiehl noch als Zitat mit rein.

Bei der Vorstellungsmatinee zwei Wochen vor der Premiere zeigte sich Aron Stiehl noch überrascht, wie wenig es um die Kunst an sich in der Künstleroper geht. Wo bei Wagner versreich über Regeln und Bedeutung der Kunst gesungen wird, nimmt die Kunst bei Berlioz nur einen geringen Stellenwert ein. Dementsprechend wird auch das Kunstwerk, um das es hier geht, die Perseus-Statue, nie auf der Bühne gezeigt. Doch der Künstler Cellini riskiert und opfert alles, setzt sogar sein Leben aufs Spiel, um sein Kunstwerk zu vollenden. Was sich recht ernst anhört, beginnt in Münster aber sehr, sehr heiter – um nicht zu sagen albern. Schließlich spielt der erste Akt am Rosenmontag. In der Zwei-Zimmer-Wohnung des Balducci genießt dessen Tochter Teresa – derweil sie französische Phrasen tiriliert – die Aussicht auf den Petersdom, bekommt Plüschtiere durchs Fenster geworfen, schneidet Kohlrabi für den Eintopf und wachst sich die Beine, was ja bekanntlich sehr gut zu hohen Tönen passt. Wenn dann nacheinander zwei Liebhaber, Cellini und Fieramosca, durch das Fenster klettern, dann entwickelt sich auf der Bühne ein Comic Strip, der sehr deutlich an die alte Zeichentrickserie Tom und Jerry erinnert. Da wandert der eifersüchtige Fieramosca in den Küchenschränken umher. Eine Dynamitstange wird dem flirtenden Cellini in die Hand gedrückt, der wirft sie natürlich in den Kühlschrank, wo sich Fieramosca versteckt hält – bumm, kleiner Pyroeffekt – Fieramosca erscheint wieder mit leicht angeschwärztem Gesicht. Später wird Fieramosca vom Vater im Schrankbett entdeckt – natürlich im Schrank. Die herbeigerufenen Nachbarinnen – die nettesten der Feministinnen – zerren seinen Kopf auf den Esstisch und stecken ihm einen Apfel in den Mund.

Im zweiten Akt findet sich Fieramosca in der Mülltonne einer versifften Kneipe wieder, auf deren Rückwand dick gesprüht steht: „Regietheater, nein danke!“ Während Cellini und seine Kumpanen an der Theke trinken und trinken, wird dezent angedeutet, was alles auf der kleinen, noch versiffteren Toilette neben der Theke passieren kann. Es ist inzwischen Veilchendienstag, Cellini plant mit seinem Lehrling Ascanio die Entführung von Teresa, Fieramosca verbündet sich mit dem Schläger Pompeo, um das gleiche zu tun. Beim Theaterspiel erreicht das Karnevalstreiben seinen Höhepunkt. Während Wagners Ring durch den Kakao gezogen wird, und die beiden Parteien anfangen, sich in die Haare zu bekommen, stirbt erst der Drache auf der Bühne, gespielt vom Lokal-Pantomimen Peter Paul, dann Pompeo im Zuschauerraum, ermordet von Cellini. Die Stimmung kippt, Aschermittwoch ist nahe.

Wäre die Inszenierung von Aron Stiehl in diesem Stil weiter gegangen, hätte man sich vielleicht doch gelangweilt. Doch für einen Augenblick weiß keiner so genau, wie es weiter geht. Ascanio ist im Schockzustand. Diese Fallhöhe vom völlig Durchgedrehten runter zum schlagartig Nüchternen trifft Stiehl dann so gut, das man das Vorangegangene als Mittel zum Zweck akzeptieren kann. Immerhin dreht er das Tempo auf der Bühne auch nicht mehr so hoch. Jetzt kommt das System hinter den Künstlern richtig zum Vorschein – die Kirche. Für den bösen Seitenhieb auf die Institution holt Stiehl zwei Päpste auf die Bühne. Zum einen den Pragmatiker, der sich nur für die Kunst und ein paar Machtspiele interessiert – bei Berlioz ist damit Papst Klemens VII. gemeint. Zum anderen noch einen alten weißhaarigen Papst, der eine kleine Bayern-Flagge in der zitternden Hand hält und sich mit seinem Adjutanten über den liberalen Kollegen empört – solange bis es zum VIP-Sektempfang geht. Cellini hat es geschafft, seine Statue zu vollenden, die dargebotene Hand des anderen Papstes schlägt er aus und zieht zusammen mit Teresa auf dem Motorrad seiner Wege.

Von der fast dreistündigen Spieldauer merkt man bei der Premiere so gut wie nichts. Es ist extrem kurzweilig, was Aron Stiehl und Simon Holdsworth auf die Bühne stellen. Vor allem fährt Holdsworth in Sachen Bühne und Kostüme einige optische Geschütze auf. So groß ausgestattet hat man in Münster schon lange keine Oper mehr erlebt. Die Aufführung lebt von einer gewissen Leichtigkeit, wobei die dunklen Untertöne der Oper nicht ganz so gut zur Geltung kommen. Der neue Erste Kapellmeister Stefan Veselka hat es da eine Spur leichter, denn Berlioz hat in seiner Partitur ja auch dunkle Ecken hineinkomponiert. Veselka schöpft aus dem Farbenreichtum der Musik und geht auch rasante Risiken ein. Das Sinfonieorchester zieht mit üppigem Klang mit, darf einerseits in voller Fahrt die Glissandi hochziehen und im nächsten Augenblick auch abgedunkelt grummeln. Da hört man den Schwung, mit dem Luftschlangen durch den Raum geworden werden, aber auch den Typus Mensch/Schlange, der diese Luftschlangen wirft. Das Papstmotiv erklingt in abgrundtiefer Feierlichkeit und entpuppt sich als möglicher Vorläufer zum Motiv des Großinquisitors in Verdis Don Carlo.

Die Koordination zwischen Graben und Bühne gelingt – angesichts dieses Schwierigkeitsgerades – schon sehr achtbar. Natürlich läuft da der ein oder andere Takt mal neben der Spur. Da ist es dann doch mal ein Tick zu laut, oder hier und da geht die Struktur der Musik in die Binsen. Doch wie schnell sich Solisten, Orchester und Chor wieder zusammenfinden, ist beeindruckend. Inna Batyuk muss man für die Vorbereitung der Chöre ein großes Kompliment machen. Vom Klangerlebnis lassen Frauen wie Männer keine Wünsche offen, das hört sich wirklich nach einer Grand opéra an. Gleichzeitig gehen die Choristen mit einer Spielfreudigkeit an das Werk heran, dass man ihnen nur allzu gerne zusieht und hört.

Erfreulich auch, wie locker und frisch das umfangreiche Solistenensemble die keinesfalls leichte Musik interpretiert, als sei das neben dem schauspielerischen Einsatz das Einfachste auf der Welt. Christian-Kai Sander und Frank Göbel führen mit Elan die kleinen Comprimari an. Lukas Schmid vollbringt einen tollen Rollenwechsel vom Schläger Pompeo zur kalkulierenden Heiligkeit. Seine Stimme hat aber großen Wiedererkennungswert. Plamen Hidjov kann als Schatzmeister Balducci einen achtbaren Erfolg verbuchen. Körperlich und stimmlich sehr agil, zudem auch mit einer köstlichen Mimik ausgestattet, gibt Bariton Juan Fernando Gutiérrez einen hervorragenden Fieramosca. Sara Daldoss Rossi vollbringt als Teresa wohl ihre beste Leistung am Theater Münster. Ihr Sopran kann manche Schärfe zwar nicht vermeiden, doch liegt ihr die Partie in jeder Hinsicht sehr gut. Ebenfalls voll angekommen im Theater Münster ist Lisa Wedekind. Ihre lebendige Interpretation der Hosenrolle des Ascanio ist ausgestattet mit burschikosen Zügen und einer attraktiven Stimme. Der Star der Aufführung ist natürlich Adrian Xhema. Der Tenor hat dem Theater schon einige Sternstunden beschert: Als Cavaradossi, als Herodes, als Manrico. Und auch für den Benvenuto Cellini hat er ein schönes Legato parat, das nötige Stilgefühl und auch die zupackende Höhe. Zudem ist sein selbstbewusster Cellini wohl auch darstellerisch seine bisher beste Partie am Theater.

Die Premiere wird zum Erfolg. Hier wird nicht nur erfolgreich die Lanze für ein recht unbekanntes Werk gebrochen, sondern das Publikum auch sehr gut unterhalten. Natürlich wird in der Pause schon diskutiert, ob es nicht ein bisschen zu albern auf der Bühne zugeht. Doch am Ende werden Aron Stiehl und Simon Holdsworth mit in den freudigen Applaus einbezogen. Die Musiker werden freilich fast mit Ovationen überschüttet, jeder Künstler hat seine Fürsprecher im Publikum. Bei Adrian Xhema trifft sich die größte Schnittmenge. Täuscht der Eindruck oder wirkt das Publikum im Theater jünger als sonst? Auf jeden Fall hat sich diese Saison in Münsters Musiktheater einiges getan. Die Zauberflöte und Benvenuto Cellini zeigen, dass sich das Theater auf einem frischen Weg befindet.

Christoph Broermann

Fotos: Oliver Berg