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Fakten zur Aufführung 

VIER TON OPER
(Tom Johnson)
15. Dezember 2013
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Studiobühne Mönchengladbach

Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

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Nach der Premiere


Regisseurin Katja Bening und Pianist Michael Preiser sind nach der Premiere mehr als zufrieden - mit Recht (6'15).

 

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Diven und Divos

Jeder kennt zumindest ein paar Klischees des Opernbusiness: zu spät kommende Tenöre, die Diva, dramatische Gesten, Liebe, Blut und Drama, dazu rote Samtvorhänge und eben die stilistisch-artistische Musik. Was böse klingt, wird am heutigen Abend liebevoll eingebracht, um der Oper, die so viel Fläche für Parodie bietet, eine Hommage der anderen Art angedeihen zu lassen und das mit ungewöhnlichen musikalischen Mitteln.

Der amerikanische Komponist Tom Johnson hat mit seiner Komposition dem Opernrepertoire eine, wenn auch augenzwinkernde, Liebeserklärung gemacht – und das mit nur vier Tönen, d, e a und h. Klingt eintönig? Ist es aber nicht. Denn hier zählt der Selbstzweck, und der ist klar: Er spielt mit dem Genre. Hier ist neben Text und Szene eben die Musik eines der wichtigsten Mittel der Parodie. Johnson schafft es, Arien und Ensemblesätze trotz des geringen Ton-Pools zu persiflieren und anschaulich zu machen. Die musikalische Umsetzung ist ein wirklich komisches Element, beispielsweise wenn sich die Sänger mit übertriebenem Ausdruck an den wenigen Tönen vergehen.

Es gibt keine richtige Handlung, es geht eher um die poetologische Annäherung an die Oper. Dabei werden die Bedingungen einer Oper reflektiert und der Ablauf thematisiert. Kein Wunder, dass sich der Komponist auf Pirandellos berühmtes Schauspiel Sei personaggi in cerca d'autore (Sechs Personen suchen einen Autor) bezieht, in dem sich die Figuren eines nicht fertig gestellten Dramas in einem Theater einfinden und ihr Stück selber zu Ende spielen. Ähnliches passiert in Mönchengladbach: Vier Sängerinnen und Sänger bewegen sich innerhalb ihrer eng gesetzten Rollengrenzen auf der Bühne, sie folgen lediglich sich selbst und der Idee der Oper. Und das herrlich komisch. Unterstützt werden sie durch die Regie Katja Benings, die die natürliche Spielfreude der jungen Sänger in ihrer Personenregie unterstützt. Sie schafft es, den dünnen Grad zwischen Klamauk und Sinn auszubalancieren und tut das mit viel Liebe zum Detail. So darf sich der Zuschauer über viele kleine Einfälle freuen, die den alltäglichen Irrsinn auf und hinter der Bühne karikieren, aber auch darstellen. Die Produktionsbedingungen einer Oper sind das Thema nicht nur des Librettos. Bereits vor der Vorstellung trifft man die Diva auf der Damentoilette, wo sie sich selbstverliebt anschauend einsingt und herablassend die Augen niederschlägt, wenn man „Toi, toi, toi“ wünscht. Bereits ganz in der Rolle. Im Saal wärmt sich der Bariton mit Gymnastik für Körper und Gesicht auf, den Tenor hört man aus dem Backstagebereich seine Stimme erproben, sogar die Durchsage der Inspizienz lässt einen kleines bisschen Theaterrealität aufkommen, allerdings immer im ironischen Mantel. Durch diese Idee bekommt die Oper ohne Handlung einen gut verträglichen Anknüpfungspunkt mit dem Publikum.

Für Bühne und Kostüme ist Udo Hesse verantwortlich. Die Bühne hat zwei Ebenen, zentral eine kleine Bühne mit versatzstückhafter Ausstattung: Eine kleine Souffleursmuschel und die obligatorische Falltür, ein großer goldener Rahmen und vier Säulensockel bieten ausreichend Platz für überzogen witzige Selbstdarstellung. An den Seiten links und rechts von der Bühne ist der offene Backstage-Bereich, in dem sich die Sängerdarsteller je nach Fasson für ihren Auftritt präparieren. Die Sopranistin braucht recht lange, um ihren Pelzmantel zu drapieren und sich mental auf ihren immer großen Auftritt vorzubereiten, der Mezzosopran studiert ein letztes Mal die Partitur, der Bariton raucht und trinkt vor seiner großen Arie die Stimme dunkel und der Tenor kommt charmant lächelnd – was auch sonst – zu spät, nachdem er seine Flasche geleert hat. Die Kostüme unterstützen die einzelnen Charaktere: Die Diva mit Pelzmantel, schick im Etuikleid darunter und auf der Bühne im dramatischen Ballkleid mit Schleppe, die Mezzosopranistin anfangs noch in bequemen Schlabberklamotten, später in der altjüngferlichen Aufmachung inklusive Oma-Dudd-Perücke, die leider so viele Mezzorollen auch in der Realität ertragen müssen. Der Bariton darf auf der Bühne in die Rolle des Bösewichts mit Matrix-Mantel und Sonnenbrille schlüpfen, und der Tenor trägt neben einem auf die Spitze getriebenen russischen Akzent ein kleines Bärtchen, weiße Schuhe und Rüschenhemd.

Tatsächlich ist das Klavier seiner übrigen Tasten beraubt, lediglich vier Töne sind durch die Oktaven vertreten. Michael Preiser, musikalischer Leiter, sitzt am präparierten Klavier. Er muss in Ermangelung eines Basses auch kurz selbst auf die Bühne, sehr zum Gaudium des Publikums. Preiser begleitet nicht nur souverän, sondern ist auch sonst immer wieder Teil des Geschehens. Zusammen mit Regisseurin Bening hat er den deutschen Text in Rücksicht auf die natürlichen Betonungen in der Musik gelungen bearbeitet.

Die vier Sänger entstammen dem Opernstudio Niederrhein. Sie dürfen heute gleich zu Beginn ihrer Karriere die ganz Großen persiflieren – und das tun sie, als ob sie bereits jahrelang im Geschäft wären: Auch innerhalb des begrenzten tonalen Umfangs zeigen sie, was sie gelernt haben, von Aufregung kaum eine Spur. Die Konzentration der jungen Sänger macht Spaß. Vor allem darstellerisch wird einiges geboten: Andrey Nevyantsev gibt den eitlen, jammernden Tenor sehr überzeugend, sein russischer Akzent wäre vielleicht lustiger, wenn er nicht selber Russe wäre, dafür kann er mit strahlendem Ton aufwarten. Sebastian Seitz als Bariton erntet bereits mit seinem ersten Auftritt auf der Bühne viel Gelächter, zählt er doch so charmant-platt mit und setzt gekonnt falsch ein, besonders gut dabei seine immer wieder verdutzte Miene. Sein Bariton ist warm und jugendlich, noch nicht ganz ausgereift, aber zeigt bereits Charakter. Charlotte Reese bringt in der Partie der Mezzosopranistin Sarkasmus mit ins Spiel und hantiert geschickt mit Tönen und Requisiten, sie lässt ihre Stimme gut artikuliert und passend zur jeweiligen Stimmung erklingen, besonders sticht sie in ihrer unbegleiteten Arie hervor. Sopranistin Lisa Katarina Zimmermann geht in der Rolle der arroganten, oberflächlichen Diva auf und zitiert mit ihrer facettenreichen Stimme aus dem Repertoire ihres Faches, und das erledigt sie mit vielversprechendem Piano bis hin zum aufgehenden Spitzenton. Dass sie in Wahrheit wohl keine Diva ist, zeigt ihr Einsatz auf der Bühne, auf der sie sich traut, ein rohes Ei zu trinken. Wenn’s denn gut für die Stimme ist…

Vom ersten bis zum letzten Augenblick reißt es das Publikum zu erstaunlich lautem Lachen hin, es bleibt einem auch nichts anderes übrig. Wer eine leichte Affinität zur Oper hat, wird sich köstlich amüsieren und auch Opernanfänger dürfen sich auf einen unterhaltsamen Abend freuen, an dem man noch so einiges über den Theaterbetrieb lernen kann. Und eines sei verraten: Das Ganze endet buchstäblich mit einem Knall.

Miriam Rosenbohm

 





Fotos: Matthias Stutte