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Fakten zur Aufführung 

STIFFELIO
(Giuseppe Verdi)
28. September 2013
(Premiere)

Theater Krefeld Mönchengladbach, Mönchengladbach


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Emanzipierter Verdi

Verdis Oper Stiffelio ist heute wenig bekannt. Nach der Uraufführung 1850 in Triest gab es Probleme mit der Zensurbehörde, und Verdi und Librettist Piave arbeiteten die Oper Jahre später unter dem Namen Aroldo grundlegend um. Die Geschichte um Stiffelio, das geistliche Oberhaupt einer protestantischen Sekte in Deutschland, dessen Frau in seiner Abwesenheit von Raffaele verführt wird, war zu viel für das katholische Italien. Nicht nur die für Katholiken schwer zu akzeptierende Tatsache, dass ein Priester eine Ehefrau haben kann, sondern auch dass dieser ihr einen Ehebruch verzeiht, waren Gründe für die Ablehnung des Stücks. Trotz seiner musikalischen Nähe zum Rigoletto, der direkt nach Stiffelio entstand, vergaß man das Werk aufgrund seiner Rezeptionsgeschichte fast völlig, trotz berühmter Tenöre in der Titelpartie: Keine Geringeren als Placido Domingo und José Carreras nahmen sich der sängerischen Herausforderung an.

Regisseurin Helen Malkowsky sieht in diesem zu Unrecht vergessen Werk vor allem das Abgründige, das sowohl Plot als auch die Musik offenbaren. Sie inszeniert die Geschichte mit dem Fokus auf Misstrauen, Eifersucht und religiöser Disziplin und hinterlässt beim Publikum ein beklemmendes Gefühl. Die Handlung spielt wohl in einem kleinen deutschen Dorf, das zu Beginn als ein unvollständiges Stickbild auf dem Vorhang erscheint. Was zunächst noch einen lieblichen Touch zu haben scheint, wird im ersten Bild radikal aufgehoben. Das eindrucksvolle Bühnenbild von Hartmut Schörghöfer zeigt den Ort religiöser Handlung als graue Halle, in der die Tristesse eine einschüchternde Wirkung hat. Auf Bierbänken nimmt die Gemeinde Platz. Der Friedhof ist ein überdimensionaler Setzkasten, der von oben heruntergelassen wird. In den einzelnen Fächern stehen Blechkästen als Urnen, versehen mit dem Foto des Verstorbenen. Seltsame Rituale scheinen den Alltag zu beherrschen. Statt einer Beichte werden die Sünden aufgeschrieben und in ebenfalls blechernen Kästen auf Wandregalen aufbewahrt. Halstücher in gelb-orange mit einem großen S, eventuell für Stiffelio stehend, darauf, die wohl das Zusammengehörigkeitsgefühl der Sekte darstellen sollen, werden aus- und angezogen und schließlich an einen dafür vorgesehenen Haken gehängt. Die mysteriöse Symbolik bleibt größtenteils der Interpretationskraft des Einzelnen überlassen. Mitglieder des Chores stellen die Sekten-Gemeinde mit verstörender Ausdruckskraft dar, einzelne Charaktere werden hier deutlich herausgearbeitet. Die Charakterisierung der Protagonisten ist überhaupt eine der Stärken dieser Inszenierung. Nicht nur die großartige Arbeit mit dem Chor, der mehr ist als nur Staffage, sondern auch die Positionierung des Einzelnen innerhalb der Sekte und des Beziehungsgeflechtes wird deutlich. Nicht umsonst wird der von Gewissensbissen gequälten Lina das Tragen des Tuches verwehrt. Ihr Vater, Stankar, nimmt als versehrter Soldat mit einem ordenbehängten Mantel und verletztem Arm eine Sonderstellung ein. Seine Ehre wurde durch den Ehebruch seiner Tochter beschmutzt, und dieser Verrat quält ihn mehr als die alte Wunde. Äußerlich scheint er sich nicht zur Sekte zu bekennen, auch nennt er Stiffelio nach wie vor bei seinem alten Namen „Müller“. Das Mysteriöse der religiösen Handlungen auf der Bühne passt zu den emotionalen Verwicklungen, in denen sich die Protagonisten befinden. Einzig das zwar sängerfreundliche, aber etwas statische Verweilen der Protagonisten in recht konventionellen Positionen gerade zwischen Tenor und Sopran, stört das sonst fließende und spannende Geschehen auf der Bühne. Die für heutige Zeit eher schwer verständlichen moralischen Grundsätze aus Verdis Oper finden in der abgeschotteten Welt der Sekte einen Bezugspunkt und werden für den Zuschauer verständlich. Dabei spielen auch die eindeutigen Kostüme von Susanne Hubrich eine Rolle. Geschickt stattet sie die Darsteller mit grauen Strickjacken, klobigen Schuhen, biederen Röcken und spießigen Frisuren aus, fertig ist der Sekten-Look. Lina tritt im züchtigen Schwarz und mit blassem Gesicht und Flechtfrisur auf, die sie noch jünger wirken lassen. Mit zotteliger Frisur, wildem Bart und offener Uniformjacke spiegelt sich die Zerrissenheit des Vaters auch im Äußeren. Stiffelio muss teilweise mit einem schwarzen Priesterkittel auftreten, der nicht gerade vorteilhaft aussieht. Er erfüllt aber seinen Zweck, um ihn von der Gemeinde abzuheben. Dass nicht wie in vielen anderen Opern Verdis die Protagonisten am Ende sterben, sondern Stiffelio seiner Frau den Ehebruch verzeiht, mag für Verdis Zeiten trotz der christlichen Eigenschaft der Vergebung, die durch das Bibelzitat „Wer von euch ohne Sünde ist, mag den ersten Stein werfen“ gestützt wird, skandalös gewesen sein. Am heutigen Abend ist dieses ungewöhnlich versöhnliche Ende, das wie ein Bekenntnis Verdis zur Emanzipation wirkt, abgeschwächt. Den Fängen der Sekte wird Lina nicht entgehen, kein christlicher Trost, sondern geistige Enge wird ihr Leben weiterhin beherrschen.

Das Sängerensemble bietet am heutigen Premierenabend eine herausragende Leistung. Michael Wade Lee als Stiffelio erweist sich der langen und schwierigen Partie gerade in den vielen hohen Tönen mit Strahlkraft und Durchschlagskraft als würdig, gefällt aber in der mittleren Lage durch sein leicht nervöses Vibrato nicht immer. Sein Spiel ist präsent und gestenreich. Die sehr junge Izabela Matula singt seine Frau Lina mit anrührendem Piano und farbigem Timbre, ihre Darstellung der eingeschüchterten Frau und Tochter gelingt rührend. Vom Hocker reißt Johannes Schwärsky als Vater Stankar mit markigem und trotzdem samtigem Bass und variabler darstellerischer Fähigkeit, der mit seiner Arie voll von Verzweiflung und Wut das Publikum direkt ins Herz trifft. Verführer und Außenseiter Raffaele von Leuthold wird von Tenor Michael Siemon sehr ansprechend gesungen. Schade, dass die Partie nicht mehr Platz zum Profilieren bietet. Er hätte es verdient. Hayk Dèinyan singt den Gemeindevorsteher Jorg typgerecht und würdevoll, mit präsenter Tiefe, wenn auch mit einigen rauhen Momenten. Frederico ist mit Tenor Andrey Nevyantsev aus dem Opernstudio Niederrhein passend besetzt, ebenso wie Dorotea mit Mezzosopran Eva Maria Günschmann.

Der Chor muss besonders lobend erwähnt werden. Unter der Leitung Ursula Stiglohers zeigt der Opernchor, wie es richtig geht. Konzentrierte Einsätze, eine große Breite an dynamischer Farbe und dazu eine tolle darstellerische Leistung bereichern das Bühnengeschehen ungemein. Kopfzerbrechen bereitet nur das Orchester. Was GMD Mihkel Kütson da fabriziert, kann man kaum mit Premierenfieber entschuldigen: Schräge Töne aus den Streichern und vor allem eine grobe Fehlkommunikation mit den Sängerdarstellern stellt die sonstig zufriedenstellende Leistung gerade der Bläser in den Schatten. Immer wieder hinken entweder Orchester oder Sänger hinterher, was den musikalischen Genuss deutlich einschränkt.

Das Publikum feiert alle Beteiligten, auch Regieteam und GMD mit wohlmeinenden Bravorufen und langanhaltendem Applaus. Diese selten gespielte Oper ist definitiv eine Reise nach Mönchengladbach wert. Stiffelio, das hat der heutige Abend gezeigt, sollte mit beliebten Verdi-„Klassikern“ wie La Traviata, Rigoletto und IlTrovatore gleichwertig genannt werden.

Miriam Rosenbohm

Fotos: Matthias Stutte