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Fakten zur Aufführung 

JOSEFINE
(Sagardía)
13. Oktober 2012
(Uraufführung)

Theater Krefeld Mönchengladbach,
Theater Mönchengladbach


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Vor der Premiere


Regisseur Christian Grammel, Komponist Sargadía und Dramaturgin Fanti Baum schildern erste Eindrücke von der Uraufführung (4'36).


 

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Massenphänomen Internet

Vom Prinzip her ist es eine gute Idee. Um von der öffentlichen Hand geförderte Theater von ihren Sachzwängen zu befreien, fördern das NRW-Kultursekretariat und die Kunststiftung NRW freie Theaterprojekte, die sich dann in den etablierten Institutionen ausprobieren dürfen. Das Verfahren ist aufwändig. Theaterprojekte bewerben sich. Weil die Förderer nicht die künstlerische Freiheit einschränken wollen, wird nur ein Konzept eingereicht. So haben Kultursekretariat, Stiftung und ein interessiertes Theater über 40 bis 50 Bewerbungen pro Projekt zu diskutieren und zu entscheiden. Das Ganze nennt sich dann Fonds Experimentelles Musiktheater und soll eine Win-win-Situation für freie Künstler und öffentliche Institutionen schaffen. Dieses Mal hat es das Theater Krefeld Mönchengladbach getroffen.

Unstrittig ist die Notwendigkeit, neue Impulse zu setzen, Traditionen zu hinterfragen, möglicherweise Seh- und Hörgewohnheiten aufzubrechen, vielleicht sogar neue Sprach- und Ausdrucksformen zu finden, um zu Weiterentwicklungen zu kommen. Im Grunde macht das jeder halbwegs intelligente Regisseur in herkömmlichen Inszenierungen auch. Aber, mag uns da die Jugend entgegenhalten, wie wir es unseren Altvorderen vorgeworfen haben, sicher nicht gründlich, nicht radikal genug. Einverstanden, also probiert euch aus. Wir, in diesem Fall vertreten durch den Fonds Experimentelles Musiktheater, geben euch sogar die Mittel an die Hand. Nicht, weil wir uns großzügig zeigen wollen, sondern weil auch wir der Meinung sind, dass wir neue Wege suchen und finden müssen, wenn wir alle uns und unsere Kultur weiter entwickeln wollen.

So weit, so gut. Die Mäzene stellen das Geld zur Verfügung, das Theater unterstützt das Projekt mit großem Aufwand. Wenn wir euch aber in solchen Vorhaben unterstützen: Dürfen wir dann nicht auch eine intelligente Auseinandersetzung verlangen? Eine gedankliche Weiterentwicklung, gerne auch radikal, oder müssen wir uns mit dem ewig Neuen, sprich: dem längst da gewesenen begnügen? Das riecht doch sehr nach Projektierung um der Fördergelder wegen, oder, um deutlicher zu werden: Nach des Kaisers neuen, muffigen Kleidern.

Regisseur Christian Grammel will sich mit den Begriffen Masse, Individuum und Internet beschäftigen. Ausgehend von Franz Kafkas beiden Kurzgeschichten Josefine, die Sängerin oder Das Volk der Mäuse und Forschungen eines Hundes sollen Fragestellungen zu dem Thema auf der Bühne geklärt werden. Ein echter Laienchor mit rund fünfzig Teilnehmerinnen und Teilnehmern, meist im fortgeschrittenen Alter, 16 MusikerInnen der Niederrheinischen Sinfoniker und vier Solisten aus dem Opernensemble des Theaters Krefeld Mönchengladbach werden angeheuert. Um das Bühnenbild und die Videos will sich Agnes Fabich kümmern. Heraus kommt eine ganz in weiß gehaltene Bühne, die sich durch Heben und Senken verschiedener Podien marginal verändert. Zusätzlich hat Fabich einen Steg in den Saal bauen lassen, der Querverbindungen zu den Seiteneingängen besitzt. Sehr zukunftweisend ist das nicht. Die mögliche Zahl der Sitzplätze für das Publikum wird so um mindestens die Hälfte reduziert. Das Video zeigt die Ankunft des Chores während der Ankunft des Chores, später auch Verpixelungen, um den Bezug zum Internet herzustellen. Das ist alles ebensowenig neu wie die Kostüme von Charlotte Pistorius. Die sind an die Mode der 1920-er Jahre angelehnt. Immerhin kommt sie damit wieder in der traditionellen Darstellungsweise an. Der Chor aus der Zeit Kafkas wird dem Internet gegenüber gestellt. Dazu zweckentfremdet Dramaturgin Fanti Baum die Übertitel, um dort den Bezug zum Internet herzustellen. Eine schöne Idee. Abgerundet wird das Experiment mit der Musik Sagardías, die an Cage erinnert und insofern auch nicht wirklich Neues zu bieten hat.

Der Laienchor als Hauptperson nimmt seine Aufgabe sichtlich ernst. Lediglich an einem Grundgerüst orientiert und auf einige Stereotypen festgelegt, dürfen sich die Sängerinnen und Sänger frei bewegen. Personenführung als Zufallsprinzip ist kein neuer Regie-Einfall, sondern fantasielos, weil damit Möglichkeiten verschenkt werden. Gabriela Kuhn, Susanne Seefing, Andrew Nolen und Michael Siemon haben einige, mehr oder minder kluge, meist kryptische Sätze zu sprechen und erfüllen ihre Aufgabe erwartungsgemäß anstandslos. Die hoffnungslose Unterforderung lassen sie sich nicht anmerken.

Lennart Dohms leitet Chor und Sinfoniker präzise und gewissenhaft. Jede Bewegung sitzt, das Engagement für das Projekt ist dem Musikalischen Leiter anzumerken. Das Orchester spielt konzentriert und unaufgeregt, was nicht verwundert, gibt es doch, abgesehen von einer vielleicht ungewöhnlichen Notation, die dem Publikum via Übertitel bekannt gegeben wird, keine ungewöhnlich hohen Anforderungen.

Nach etwa 70 Minuten gibt es weder in künstlerischer noch in thematischer Hinsicht neue Erkenntnisse. Interessante Aspekte zum Thema gibt es in den zahlreichen Texten im Programmheft. Das aber ist zu wenig. So bleibt der Applaus ein wenig flau, wenn auch brav, bis der Vorhang fällt.

Michael S. Zerban

Fotos: Matthias Stutte