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Fakten zur Aufführung 

DER ZAREWITSCH
(Franz Lehár)
24. Januar 2014
(Premiere)

Südthüringisches Staatstheater Meiningen


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Operettenblödsinn

Im Programmheft des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen zur Premiere der Operette Der Zarewitsch sind unter anderem folgende Sätze des Komponisten Franz Lehár über das Genre Operette vermerkt: „Ich aber meine, dass in der Operette niemals der Zusammenhang mit dem Menschlichen verloren gehen darf. Gewiss, in einer Operette soll gelacht werden. Aber in der Operette sollen auch einige tief ergreifende Momente, einige wahrhaft empfundene Herzenstöne, echte Anteilnahme an einem Menschenschicksal bei jedem Zuhörer zu irgendeinem kleinen Erlebnis führen, das er mit nach Hause trägt, das er als bleibende Erinnerung wahrt. Ich war von jeher ein Feind dessen, was man Operettenblödsinn nennt. Die Gestalten, die da oben auf der Bühne singen und spielen, müssen lebendige Menschen sein, Menschen von Fleisch und Blut, die in unserer Mitte gelebt haben können. Das ist das Geheimnis der Wirkung, die sich an das Gefühl wendet und die tiefer, reiner und echter ist als die einer bloßen Schau…,die vielleicht gewisser Augenblicksreize fähig ist, bei der Wiederholung aber nur Langeweile und Überdruss erzeugt…“ Soweit Lehárs Verständnis von Operette, das natürlich und insbesondere für sein schon fast opernhaftes Werk Der Zarewitsch gilt. Leider hat Regisseur Lars Wernecke den Ausführungen von Lehár nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Denn diese Operette gilt als ein für den großen Tenor Richard Tauber geschriebenes Spätwerk. Der Zarewitsch besitzt wenig von der sonst so gern zitierten beschwingt-kitschigen Operettenseligkeit. Seine Musik klingt opernhaft und zeigt eine musikalische Seelenverwandtschaft zu Lehárs großem Bruder im Geiste, Giacomo Puccini. Wie in den meisten seiner Operndramen gibt es in dieser Operette, und auch das ist typisch für Lehár, zum Schluss kein „Happy-End“. Dieses Werk ist dramaturgisch, aber auch von der Kompositionsanlage, eigentlich ein Operndrama und zeigt die Tragödie eines Mannes, der sein privates Glück für die Staatsräson opfert.

Der junge, ängstliche und kontaktscheue Zarewitsch Alexej ist der Thronfolger Russlands. Er duldet keine Frauen in seiner Nähe. Um ihn aber auf seine Pflichten und auf die Ehe vorzubereiten, beschließt der Großfürst, ihm eine Geliebte einzuschmuggeln, nämlich die Balletttänzerin Sonja in der Verkleidung eines Tscherkessen. Als Sonja in Uniform vor dem Zarewitsch erscheint, fordert dieser den vermeintlichen Soldaten auf, seinen Rock abzulegen, um ihm vorzuturnen. Sonja gehorcht und zornig erkennt der Prinz, dass der Tscherkesse ein Mädchen ist. Doch Sonja weiß ihn zu besänftigen, und sie wollen künftig gute Kameraden bleiben. Vor dem Hofstaat aber soll sie als seine Geliebte erscheinen. Alle am Zarenhof glauben, dass Sonja die Geliebte des Zarewitschs ist, und  auch der Großfürst, sein Onkel, freut sich über die scheinbare Wandlung seines Neffen. Im Laufe der Zeit verändert sich das Verhältnis von Alexej zu Sonja, aus seiner kameradschaftlichen Zuneigung ist mittlerweile richtige Liebe geworden. Doch diese Beziehung hat keine Zukunft, da sie nicht standesgemäß ist. Als der Ministerpräsident dem Großfürsten die Nachricht bringt, dass die Ankunft der künftigen Braut des Zarewitschs zu erwarten sei, beschließt  dieser die Trennung des Paares und schürt eine Intrige. Doch das Paar lässt sich nicht beeindrucken, sie sind nach Italien geflohen und genießen eine kurze unbeschwerte Zeit des Glücks. In St. Petersburg hat man aber ihren heimlichen Aufenthaltsort ausfindig gemacht, und dem Zarewitsch steht plötzlich sein Onkel gegenüber, der ihn an seine politischen Pflichten erinnert. Da ereilt alle die Nachricht vom Tode des Zaren. Alexej muss der Staatsräson gehorchen und seine geliebte Sonja um des Thrones willen verlassen.

Regisseur Lars Wernecke, neuer Oberspielleiter in Meiningen, scheint die Ausführungen von Franz Lehár nicht gelesen zu haben. „Ich finde, die Operette hat auch heute noch etwas vom Glanz und Esprit ihrer goldenen Zeiten“, sagt er. „Der Zarewitsch, der ein relativ spätes Werk von Lehár ist, spiegelt den Zeitgeist der 1920-er in besonderem Maße wider, was ich auch in meiner Inszenierung aufnehme. Manche Episoden, besonders in Verbindung mit dem Chor, erinnern an die Berliner Revuen dieser Zeit. Und mich begeistert auch die Mischung bei Lehár: Auf der einen Seite eine ernsthafte, zu Herzen gehende Liebesgeschichte mit geradezu Puccini-artiger Musik, auf der anderen die lustige Buffo-Romanze um das Paar Mascha und Iwan, mit viel spielerischem Witz und richtigen Schlagern.“ Leider lässt Wernecke seinen versprechenden Worten keine Taten folgen, eine seriöse Umsetzung sieht anders aus. Die Einsamkeit, die Zerrissenheit der Persönlichkeitsstruktur des Zarewitsch wird nicht herausgearbeitet, da ist auch kein Knistern in der Beziehung zu Sonja. Warum eigentlich hat sich Alexej, der sich anfangs nur für die schönen Turner interessiert, überhaupt in Sonja verliebt? Und so plätschert eine langweilige, zielgruppenorientierte Inszenierung am Rande von Kitsch und Klamauk dahin, die knapp drei Stunden Aufführung werden fast zur Qual. Dafür bedient Wernecke die untersten Operettenschubladen voller Klischees. Negativer Höhepunkt dabei ein Pseudo-Charleston des älteren Buffo-Paares Mascha und Iwan im dritten Aufzug, mehr Krampf als Esprit. Das soll also der Zeitgeist der 1920-er sein, zum Lachen ist das wahrlich nicht. Auch die Bühne, eingerichtet von Christian Rinke, kann nicht überzeugen. Klar, 50 goldfarbene Büsten des Zarewitsch oberhalb der Wände mögen den goldenen Käfig, in dem Alexej lebt, symbolisieren, aber hier hätte man deutlich mehr machen können. Das Bild im ersten Akt mit den vielen Turngeräten erinnert an Turnvater Jahn, aber vermittelt nicht die Gefühlslage, in der sich der junge Zarewitsch befindet. Die Kostüme, ebenfalls von Rinke, sind teilweise schön geschneidert, zeigen eine Mischung aus russischem Folklore und Mode der 1920-er Jahre in Berlin, der Zeit der Uraufführung des Zarewitsch.

Wenn schon die Handlung wie lauwarmer Kaffee dahinplätschert, dann ist es an den Sängerdarstellern und dem Mann im Orchestergraben, die Aufführung zu retten und Schwung und Emotion zu vermitteln. Doch diese Hoffnung wird an diesem Abend ganz schnell zu Grabe getragen. Arturo Alvarado, der die musikalische Leitung innehat, stellt sich gleichzeitig auch als neuer Zweiter Kapellmeister am Südthüringischen Staatstheater vor. Doch genau wie Wernicke bei der Regie kann Alvarado keine gute Visitenkarte abgeben. Es reicht nicht aus, einfach nach der Partitur zu dirigieren. Die große Kunst ist, Farben, Bögen, Phrasierungen in musikalische Stimmung und Gefühl zu transponieren. Doch diese Differenziertheit, die ein solches Werk verlangt, wird nicht erzeugt oder bleibt Stückwerk. Herauskommt ein musikalischer Einheitsbrei, meistens zu laut, und die Rubato-Technik, die bei Lehár genau wie bei Puccini zu den emotionalen Momenten führt, findet nicht statt. Wenn selbst ein so renommierter Dirigent wie Christian Thielemann großen Respekt vor der handwerklichen Umsetzung eines Operettendirigates hat, insbesondere wenn es um Franz Lehár geht, dann steht es einem jungen Dirigenten gut an, hier seine Hausaufgaben zu erledigen. Allerdings geht die Kritik auch an die Verantwortlichen im Meininger Staatstheater, Intendant Ansgar Haag und GMD Philippe Bach, die für die Besetzung verantwortlich sind und hier einen jungen und sicher sehr ambitionierten und engagierten Dirigenten in zu kaltes Wasser schmeißen.

Und das gilt auch für die Besetzung der Protagonisten. Allen voran Rodrigo Porras Garulu in der Titelpartie. War sein Edwin in der Csárdásfürstin noch ganz passabel, kommt er mit der Partie des Zarewitschs sängerisch und schauspielerisch an seine Grenzen. Seine Stimmführung ist zu eng, beim Wechsel von der Brust- in die Kopfstimme hat man Sorge, dass die Stimme wegkiekst, und die großen Höhen und Bögen kann er nicht ausfüllen. Lehár hat diese Partie einem der größten Operntenöre seiner Zeit, Richard Tauber, auf den Leib geschrieben. Doch davon ist Garulu weit entfernt, und seine schauspielerischen Möglichkeiten sind limitiert, so sehr er sich auch bemüht. Die Einsamkeit, die Zerrissenheit seiner Seele, die Melancholie, all diese Gefühle kommen nicht zum Vorschein; insbesondere seinem Es steht ein Soldat am Wolgastrand direkt zu Beginn des Stückes fehlt es an lyrischem Ausdruck, an Innigkeit und Sentimentalität, es geht nicht zu Herzen. Sonja Freitag in der Partie der Sonja ist eine krasse Fehlbesetzung, man muss es leider so deutlich sagen. Sie ist von der Stimmlage mehr Soubrette als lyrischer Sopran, hat Partien wie Christel von der Post im Vogelhändler oder Komtesse Stasi in der Csárdásfürstin gesungen, und das ist auch ihr Metier. In der Partie der Sonja zeigt sie keinerlei Farbklang und Ausdruck in der Stimme, dadurch klingt sie langweilig und erzeugt keine Emotionen. Für diese große Partie ist ihre Stimme einfach zu klein, ihr fehlen die leuchtenden Höhen, die großen, lyrischen Bögen und Phrasierungen. Neben dem sängerischen Defizit wirkt ihre schauspielerische Leistung so hölzern, dass man sich fragt, was der Zarewitsch eigentlich an ihr findet. Auch hier richtet sich die Kritik an die Leitung des Theaters, die die Defizite nicht erkennt oder keine Hilfestellung gibt.

Ute Dähne als Mascha hat stimmlich ihren Zenit überschritten und kann mit ihrer vibrato-geladenen Stimme nicht überzeugen. Und Stan Meus als Kammerdiener Iwan kann zwar alle Operettenschubladen bedienen, doch ist seine gesangliche Darstellung kein Genuss. Und beide zusammen als Operetten-Buffo-Paar wirken mehr wie eine Parodie als eine seriöse Rollendarstellung. Von einem Schauspieler wie Reinhard Bock in der Rolle des Großfürsten darf man etwas mehr Präzision und Deutlichkeit in der Aussprache erwarten. Auch der Chor, eingestimmt von Sierd Quarré, passt sich dem schlechten Niveau der musikalischen Darbietung an, es fehlt der Pfiff, und teilweise klingt es ziemlich schräg, was die Damen und Herren des Chores da von sich geben. Einzig die Choreographie des Balletts des Landestheaters Eisenach von Andris Plucis darf als gelungen bezeichnet werden, auch wenn hier mehr russische Folklore im Vordergrund steht.

Das Publikum spendet freundlichen Applaus, großer Jubel sieht anders aus. Aber es regt sich auch keiner so richtig auf. Fazit: Diese Aufführung ist dem Anspruch eines Staatstheaters nicht würdig. Und wer glaubt, Operette kann man mal so eben nebenbei machen, der irrt. Diese Aufführung ist leider nur Operettenblödsinn und ein weiterer Sargnagel für dieses Genre.

Andreas H. Hölscher

Fotos: foto-ed