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Fakten zur Aufführung 

DER ROSENKAVALIER
(Richard Strauss)
4. April 2014
(Premiere)

Das Meininger Theater


Points of Honor                      

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Gestörte Illusion

Im Richard-Strauss-Jubiläumsjahr feiern viele Theater den Komponisten mit Aufführungen seiner Bühnenwerke. So auch Meiningen. Der Rosenkavalier ist wohl sein beliebtestes Werk. Aber die Komödie für Musik hat so ihre Tücken. Denn das Thema der Oper ist die Zeit. Und das bereitet inhaltlich einige Schwierigkeiten, will man das Ganze vom zeittypischen Bezug lösen. Es ist nämlich ein Abgesang auf eine vergangene Zeit, mit etwas Melancholie, etwas Resignation, etwas Ironie und gesellschaftlicher Kritik, auf das Rokoko und auf das alte Wien, auf die Hoch-Zeit des Adels, die selbst schon den Stachel des Überholten in sich trägt, auf Beschönigung des Nicht-mehr-Schönen. In der Musik wird das deutlich in den anachronistischen Walzern, den groben oder auch mal grellen Akzenten, in der Sprache an den Dialekt-Zitaten, in der Handlung in den Verkleidungen, in den fiktiven Zeremonien wie der Überreichung der silbernen Rose, die eine Mesalliance einleiten soll, aber dann doch zu einer besseren Verbindung führt. Alles ist hier Illusion. Alles nicht historisch. Alles unpassend für die dargestellte Zeit und die Zeit der Entstehung des Werks 1910, also vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Die Verkörperung des Unzeitgemäßen ist eigentlich die Figur der Marschallin. Sie klagt, obwohl erst knapp über 30, über die Zeit, die ihre Spuren an ihr hinterlässt, über ihr Alter, was sie zum Abschied von ihrem jungen Geliebten Octavian veranlasst. Sie meint, sie komme in die Jahre, und sie ist Realistin, was die Zukunft betrifft. Doch Hugo von Hofmannsthal hat dem Libretto bei aller Komik einen solch traumhaften Zauber, Richard Strauss seiner Tonsetzung eine solche Leichtigkeit und auch ironische Distanz gegeben, dass eigentlich nie eine Schwere aufkommt.

Diese Balance zu halten, ist eigentlich das Kunststück jeder Inszenierung. Der junge Regisseur Rudolf Frey aus Wien versucht nun in Meiningen ein Zweites: Er möchte die Verbindung mit der Vergangenheit, gespiegelt am Rokoko mit seiner überlebten Adelsgesellschaft am Vorabend der französischen Revolution, mit der Entstehungszeit der Oper, also Anfang des 20. Jahrhunderts, und der Gegenwart herstellen. Also lässt er seinen Bühnenbildner Christian Rinke auf der Drehbühne eine Welt im Umbruch, in der Renovierung bauen; hohe, noch nicht getünchte Wände, davor eine Riesenleiter, Plastikplanen, Leere. So beginnt der erste Aufzug. Nichts von Rokoko-Zier, das Bett ein Provisorium, kaum Möbel. Allein die Kostüme von Elke Gattinger sollen hier an das 18. Jahrhundert erinnern; aber auch da gibt es Brüche: Die Marschallin, lange nur im knappen, kurzen Unterkleid, dann mit dem Krinolinengestell angetan, empfängt so ihren Vetter, den Baron Ochs von Lerchenau. Auch als sich ihr Liebhaber Octavian als Kammerzofe Mariandl verkleidet, stöckelt dieser in diesem Untergestell herum, so dass die Hosen sichtbar bleiben – auch das ein Bruch. Die Aufwartung zum Frühstück, also der Aufzug der Bittstellerinnen, der adligen Waisen plus Witwe, der Lakaien und sonstigen Beschäftigten, tritt an in schönster Kleiderpracht, wobei der italienische Sänger geradezu eine Karikatur des prunkliebenden Äußeren ist. Als die Marschallin aber quasi mit einem Urknall an ihr Alter erinnert wird und alle fortschickt, entwickelt sich im leeren Salon eine überzeugend ernsthafte Szene: Die Fürstin räsoniert über die Zeit, ein sonderbar Ding, und die Vergänglichkeit, nun im schwarzen Gewand und im schmerzhaften Dialog mit Octavian in formeller Kleidung. Der zweite Akt beginnt im Kontor, im Büro des reichen Faninal; Tippsen sitzen an Schreibtischen und Schreibmaschinen; alles wirkt recht spießig. Die Kleidung lässt eher an die 30-er Jahre des 20. Jahrhunderts denken. Vor allem die Jungfer Leitmetzerin, also die Anstandsdame und Betreuerin der Tochter des Faninal, Sophie, erscheint ungeheuer altbacken in ihrem dezent karierten Kleid mit Gürtel. Auch Sophie, ehemalige Klosterschülerin, trägt nur eine hellere Abwandlung einer solch braven Aufmachung. In diese geschäftsmäßig rationalisierte Umgebung des Büros aber passt die feierliche Überreichung der silbernen Rose eigentlich gar nicht hinein. Auch das ein bewusster Bruch. Vom Geschehen her stellt sich so wenig Verzauberung ein; das passiert lediglich in der Musik. Als dann der grobe, bauernschlaue Ochs erscheint, der vorgesehene und sofort von Sophie abgelehnte Bräutigam, muss schnell ein Corpsstudent mit Degen auftauchen; mit dessen Waffe verletzt Octavian den wehleidigen Ex-Ehe-Kandidaten minimal. Die Szene mit Arzt und Krankenbahre sorgt dann für etwas platte Komik. Doch Ochs, ein wahrhaft lustbetonter Sanguiniker, ist schnell zu trösten mit der Aussicht auf ein erotisches Abenteuer. Das soll nun im Beisel stattfinden. Doch auch hier herrscht keine echte Wiener Atmosphäre: Banale, kahle Biertische und -bänke, ein Kühlschrank, hinter dem Wirt und Ober agieren, in dem man aber auch die Perücke von Ochs verstecken kann, ein bunt zusammen gewürfeltes Publikum, eher proletenhaft, allerdings ein herziges Mariandl in Hotpants und mit Tirolerhut, natürlich der verkleidete Octavian, bezeichnen eher betrunkenes Durcheinander als weinselige Gemütlichkeit. Ab und zu fährt in der Mitte ein Bühnenteil herauf, das einmal das Lotterbett enthält, den Wunschtraum des Ochs‘, der natürlich nicht in Erfüllung geht, und dann Erschreckendes. Im Zusammenwirken mit dem etwas seltsamen Intrigantenpaar und der angeblichen Familie des Ochs sowie seinen angedichteten oder echten Liebschaften, die pantomimisch Orchesterbewegungen simulieren, kann der ungeschickte Grobian Lerchenau schließlich verjagt werden. So wird der Weg frei für das Liebespaar der Zukunft, für Octavian und Sophie. Es betritt durch eine noch nicht ganz renovierte Tür das Musikzimmer und nimmt die Noten der Oper mit; der dunkelhäutige Diener trägt ihm den Schal nach. Ende.

Solche optischen Deutungen aber gelingen nicht immer. Vielfach lenken sie auch von der Musik ab. Auch was aus dem Orchestergraben von der Meininger Hofkapelle unter Leitung von Philippe Bach herauftönt, wirkt manchmal etwas überhitzt, etwas überdreht. Vor allem die Akt-Einleitungen klingen rhythmisch etwas verwischt, oft auch recht laut; Abgesehen von einigen Intonationstrübungen der Streicher erfreuen jedoch die lyrischen Momente mit feiner Poesie, mit wunderbarer Ausgewogenheit. Davon werden vor allem die Sänger getragen. Und da kann das Meininger Haus mit drei Trümpfen aufwarten: Für die drei großen Frauenrollen besitzt es drei hervorragende Interpretinnen, allen voran Camila Ribero-Souza als lebenskluge, souveräne Marschallin. Zwar wird sie von der Regie äußerlich zu alt gemacht, aber die große, kraftvolle Stimme der sympathischen Sopranistin fügt sich im Verlauf der Oper immer besser in ihre anspruchsvolle Aufgabe. Bravourös ihr Auftritt, als sie wehmütig auf Octavian verzichtet. Carolina Krogius als ihr nettes Betthaserl Octavian, als grotesk komisches Mariandl und als urplötzlich selig in Sophie Verliebter begeistert nicht nur darstellerisch, sondern auch stimmlich mit ihrem eher hellen, starken, flexibel gestaltungsfähigen Mezzosopran; zwar hätte man ihr ab und zu ein etwas dunkleres Timbre gewünscht, aber das machte sie wett durch überzeugenden Ausdruck. Auch Elif Aytekin kann als mädchenhafte Sophie mit den himmlischen Höhen ihres schönen, nie harten Soprans restlos überzeugen. Dagegen müht sich Ernst Garstenauer mit Erfolg, ein gutmütig ungehobelter, urkomischer Ochs von Lerchenau zu sein, doch ohne die nötige kompakte Statur und ohne die Durchschlagskraft eines abgrundtief schwarzen Basses gelingt ihm das nicht immer. Dae-Hee Shin ist durch seine äußerlich brave Aufmachung trotz seines angenehmen Baritons ein etwas blasser Herr von Faninal, während zur Leitmetzerin der etwas scharfe Sopran von Sonja Freitag gut passt. Das Intrigantenpaar Valzacchi und Annina fällt vor allem durch seine seltsame Kleidung auf, weniger stimmlich, während der Sänger, Xu Chang, seine Bravourarie mit vollem Einsatz herausschmettern darf. Die übrigen Sänger-Darsteller fügen sich gut ins Ensemble ein, ebenso der Chor, der unter Leitung von Sierd Quarré viel beschäftigt und bewegt ist.

Das Publikum im ausverkauften Haus feiert die Premiere mit langem Beifall, wobei die drei Sängerinnen mit großem Jubel und Blumensträußen überschüttet werden. Die Musik siegt hier über die Inszenierung, die doch einige Fragen offen lässt.

Renate Freyeisen

Fotos: foto-ed