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Fakten zur Aufführung 

RIGOLETTO
(Giuseppe Verdi)
18. Oktober 2013
(Premiere)

Das Meininger Theater


Points of Honor                      

Musik

Gesang

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Die Mafia versagt

Rigoletto, Verdis Oper über den sexwütigen Herzog von Mantua und seinen missgebildeten Narren Rigoletto „funktioniert“ eigentlich immer, dank der Musik. Im Meininger Theater wird das Werk nun neu erzählt als Story aus der sizilianischen Mafia in den 60-er/70-er Jahren des vorigen Jahrhunderts, und es „funktioniert“ wieder, aber eben nur dank der Musik.

Denn szenisch kracht es oft im logischen Gebälk. Schwachpunkt ist das Einheitsbühnenbild von Kerstin Jacobssen, ein schäbiger Raum mit einer Art Vogelhäuschen an der Seite, mittels einer Hühnerleiter zu erklettern; es dient einmal als Haus des Rigoletto, worin Gilda versteckt gehalten wird, später dann als Zimmer bei Sparafucile, wo sich der Duca mit Maddalena vergnügt. Trotz vieler realistischer Details wie Wandtelefon, Tütenlampen, Waschbecken und so weiter sind Auf- und Abgänge der Personen durch Türen im Erdgeschoss irgendwie nicht zu verorten. So ahnt das Publikum kaum, dass man es im ersten Akt hier mit einem Bordell zu tun hat. Damit der Zuschauer aber die „neue“ Geschichte im Mafia-Milieu versteht, wird zur Erklärung noch vor die Ouvertüre ein stummer Prolog gesetzt. Ansgar Haag möchte damit die tragische Geschichte eines Verarmten in der patriarchalischen Gesellschaft Siziliens erzählen: Rigoletto, noch jung, Besitzer einer Autowerkstatt, eben noch mit Frau und kleiner Tochter familiär beim Spaghetti-Essen vereint, wird durch den tödlichen Unfall seiner Frau unter einem alten Auto aus dieser Idylle gerissen. Selbst beim Rettungsversuch verletzt, verliert er einen Arm. Und so muss sich der Witwer anderweitig sein Geld verdienen, als Geschäftsführer eines anrüchigen Etablissements, in dem sich die Gesellschaft des Örtchens – Trappani wird genannt – ab und zu einfindet. Die ehemalige Monteursgrube eignet sich dabei vorzüglich, um unerwünschte Leute verschwinden zu lassen, etwa Bürgermeister Monterone. Der hat sich nämlich bei Rigoletto unbeliebt gemacht durch den Fluch, den er über den Spötter ausspricht, als dieser sich lustig macht über die vom Duca verführte Tochter des Ortsvorstehers. Dass Rigoletto bald dasselbe Schicksal ereilen wird, ahnt er noch nicht, befürchtet es aber in seinem Innersten. Um diesen Fluch geht es in der Oper, musikalisch schon in der Ouvertüre zu vernehmen, bei der Aufführung etwas gestört durch die klappernden Umbauten. Die düsteren Klänge dieses Fluch-Motivs aber sind wichtig für das ganze weitere Geschehen, kehren immer wieder, bis zum Schluss, bis zum verzweifelten Ausruf Rigolettos „La maledizione!“. Da hat sich dann die Prophezeiung erfüllt.

Leider aber geht die Mafia-Geschichte nicht ganz auf. Denn die hängt ab vom Duca – ehemals Herzog von Mantua: Er soll der Anführer der Mafiosi in Trappani sein; dazu müsste er Bedrohung, Autorität, Brutalität ausstrahlen. In der Meininger Inszenierung erfüllt er das nur bedingt. Da ist er mehr ein rücksichtsloser Genussmensch, und warum die dörfliche Gemeinschaft ihn gewähren lässt, wird nicht ganz klar. Der Chor jedenfalls, der diese verkörpert, wirkt äußerlich wenig mafiös, eher bunt durcheinander gewürfelt, mit den örtlichen Größen wie Pfarrer, Polizist oder Unternehmer durchsetzt, aber er singt unter der Leitung von Sierd Quarré sehr ansprechend und klangschön und spielt recht lebendig. Überhaupt macht die Personenregie anschaulich, was die einzelnen Figuren verbindet, innerlich bewegt oder trennt. Das ist ein eindeutiges Plus der Inszenierung, während die Szene, das Bühnenbild wenig überzeugt. Natürlich ist es schwer bis überhaupt unmöglich, sinnvoll darzustellen, dass Rigoletto die eigene Tochter aus dem eigenen Haus raubt und das nicht merkt. In Meiningen bekommt er eine Maske aufgesetzt, und seine vermeintlichen Freunde schleppen mit ihm zusammen eine Leiter ein bisschen hin und her. Das Gelingen eines solchen Täuschungsmanövers ist für einen misstrauischen Mann wie Rigoletto eigentlich unglaubwürdig – aber das ist ja das Problem jeder Inszenierung dieser Oper.

Abgesehen von der etwas verunglückten Mafia-Geschichte aber zeigt sich das Premierenpublikum begeistert von der musikalischen Aussage. Zwar scheint die Meininger Hofkapelle unter Philippe Bach noch ein wenig unter Premierenfieber zu stehen, was sich auf leicht getrübte Streicher-Soli und gelegentliche Koordinationsschwierigkeiten zwischen Sängern und Orchester auswirkt, insgesamt aber gelingt im Verlauf des Abends immer mehr sprühende Italianità nach etwas trockenem Anfang.

Aber alles überstrahlen die stimmlichen Leistungen. Xu Chang bringt als unsympathischer Duca zwar nur eine kleine, gedrungene Gestalt sowie eine gewisse Unbeweglichkeit mit, aber er kann seine Kanzonen und Arien, natürlich auch das bekannte La donna è mobile, mit ungebremster Lautstärke und lang ausgehaltenen, imposanten Höhen schmettern, dass es eine Wucht ist. Dass Gilda auf ihn hereinfällt, ist nur ihrer Unerfahrenheit zuzuschreiben. Mit Elif Aytekin besitzt das Meininger Theater einen Schatz: Die türkische Sopranistin ist nicht nur hübsch, sondern sie spielt auch glaubhaft anrührend und in höchstem Maß überzeugend, hier das reine Mädchen, das in dieser patriarchalisch dominierten Welt zwar seine Ehre, nicht aber seine Unschuld verliert. Dazu kommt eine glockenhelle, in Tiefe wie Mitte warm grundierte Stimme, die sich zu herrlich lichten, glänzenden, unangestrengten Höhen aufschwingen kann und sie auch seelenvoll gestaltet, vor allem technisch bravourös in ihrer Arie Caro nome und mit schimmernden Fassetten in der Sterbeszene. Ihr Vater Rigoletto ist das weitere große musikalische Plus des Abends: Dae-Hee Shin überzeugt darstellerisch in seinen gesteigert hasserfüllten Rachegelüsten, in Schmerz, Verzweiflung und Selbstmitleid und kann das auch mit seinem wohl timbrierten, kraftvollen Bariton bestens zum Ausdruck bringen. Der von Rigoletto geschmähte Monterone, Stephanos Tsirakoglou, und der Auftragsmörder Sparafucile, Mikko Järviluoto, verfügen über die dafür nötigen dunklen Bass-Stimmen; als dessen Schwester Maddalena macht Carolina Krogius eine gute Figur als leichtes Mädchen und gefällt außerdem mit ihrem weichen Mezzosopran. Auch alle übrigen Stimmen, wie etwa Bariton Lars Kretzer als Intrigant Marullo, fügen sich bestens ins musikalisch stimmige Ganze. So gilt der lange, jubelnde Beifall den Sängern, während Regie und Ausstattung Buh-Rufe kassieren.

Renate Freyeisen

Fotos: foto-ed