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Fakten zur Aufführung 

AIDA
(Franz Wittenbrink)
29. Mai 2013
(Premiere)

Theater Marl, Ruhrfestspiele


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Alptraumschiff

Der Kapitän kündigt mit munter-werbender Stimme einen Ankerstopp in einer wunderschönen Bucht und das nächste Ausflugsprogramm an – und meldet sich zehn Minuten später erneut über Lautsprecher, um diese Ausflüge abzusagen. Statt dessen kündigt er eine Kursänderung an. Als sich dann einige Zeit später zunächst der erste und dann der zweite Steuermann mit weiteren Änderungsdurchsagen melden und schließlich ein Maschinist aus dem Maschinenraum bei immer wieder abbrechender Elektronik zu den Not-Treffpunkten ruft, weiß auch der ahnungsloseste Kreuzfahrer auf dieser Aida, auf jeder Aida: Diese Kreuzfahrt ist gerade zu Ende gegangen. Damit erlischt auch die einzige Kraft, die das bisschen Handlung voranbringt, das dieser musikalische Abend erkennen lässt. Das weitere Leben auf dem Traumschiff stolpert von einem Zufall in den nächsten, die wenigen Passagiere hangeln sich an bunten Cocktails, Schach, einer Aschenurne oder der Beobachtung des leeren Horizonts entlang. Dieses Ambiente sowie einige schräge Figuren müssen reichen, um Stichworte für den musikalischen Abend zu liefern, an dem Franz Wittenbrink Kunstlieder, Songs und Schlager aneinander reiht und zumindest für flott-romantische Musik auf der Aida sorgt. An Deck bewegen sich stereotypenähnlich etwas brüchige Gestalten, denen – so oder so - ihre Qualifikation zum 1. Klasse-Passagier längst abhanden gekommen ist. Von der lyrischen Dame im Pelz über den schrägen, natürlich verkannten Künstler oder den – Putin lässt grüßen – geheimnisvollen, stets den Horizont absuchenden russischen Geheimdienstler bis zum rührenden Geschwisterpaar, das nach vielen vergeblichen Versuchen doch endlich die Asche des Verblichenen über Bord schafft. Hier lebt jeder sein eigenes, schräges, langweiliges Kreuzfahrerleben an Deck. Dazwischen torkelt emsig und bemüht ein Schiffssteward, dem es nie gelingt, auch nur einen Drink an die richtige Stelle zu servieren, ein Clown in weißer Uniform. Zu ihm gesellt sich die voluminöse und stimmgewaltige Schiffs-Sterneköchin, die vor allem mit ihrer Kochlyrik beeindruckt.

Alfred Peter hat das schmale Bordleben auf ein Sonnendeck verlegt, von dem rechts und links zwei Treppen zur Brücke hinaufführen - und natürlich ist noch Platz für die Bar. Darüber spielen nette Schönwetterwolken, eine drohende Wetterfront oder ein wildromantischer Sternenhimmel mit Mond - und das alles zu den sanft wiegenden Klängen vergangener Songs und Schlager, bei denen selbst die Hawaigitarre nicht fehlt. Heide Kastler hat den Figuren ein Erste-Klasse-Outfit verpasst und so die Atmosphäre auf diesem Aida-Oberdeck klassenbewusst gezeichnet.

Franz Wittenbrink, erfahrener Arrangeur und Regisseur seiner Liederabende, sitzt selbst am Klavier, mit seinen Kollegen, darunter Matthias Stötzel, bringt er die amüsant-leichte Musik des Abends in einer sechsköpfigen Band eher verhalten, aber in flottem Sound auf die Bühne. Für die zahlreichen Schlager und Songs hat Wittenbrink erfahrene, sichere Sängerinnen und Sänger zur Verfügung. In knapp zwei Stunden schaffen sie etwa 35 Lieder, darunter Brechtsche Songs ebenso wie Schumans Mondnacht oder Schmatzfetzen wie La Mer und Auch Du wirst mich einmal betrügen. Tim Grobe überzeugt als „Forensischer Entomologe“ und Bohemien mit schöner Baritonstimme. Henning Nöhren in der Rolle des tolpatschig-schrulligen Stewards legt ein perfektes Light my fire aufs Oberdeck, und Franziska Herrmann als BWL-Blondy zeigt mit dunklem Sopran viel Ausdruckskraft. Zur gehobenen Stimmung trägt Marion Breckwoldt in der Rolle der Sterneköchin der Aida mit viel Spielwitz bei. Obwohl der Kapitän inzwischen seinen Platz auf der Brücke vergessen hat und eine Windbö das Logbuch über Bord weht, bleibt die allmählich Metamorphose des Luxusliners zum Geisterschiff für die Passagiere erträglich, selbst wenn sie immer weniger „Strahlen von der Sonnenseite des Lebens“ erhaschen.

Wer als Passagier eine All-inclusive-Kreuzfahrt auf dieser Aida bucht, wird den Abend unterhaltsam finden. Die hier und da aufblitzenden Parodien bleiben vorsichtig und zurückhaltend, sie tun nicht weh. Die Zuschauer finden, nachdem sie sich ein wenig mühsam warm geklatscht haben, dass in dieser „musikalischen Dramolette die Menschen besonders unterhaltsam scheitern“ und bedanken sich mit Beifall ausführlich bei Darstellern und Musikern.

Horst Dichanz







Fotos: Kerstin Schomburg