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Fakten zur Aufführung 

TEMISTOCLE
(Johann Christian Bach)
15. Juli 2012
(Premiere am 6. Juli 2012)

Nationaltheater Mannheim

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Allgemeine Verunsicherung

Wer weiß Bescheid, wer gibt den Ton an? Das Nationaltheater Mannheim blickt auf eine schwere Saison zurück, in der vor allem das Glanzstück Oper gebeutelt erscheint. Generalintendantin Gerber ist seit über einem halben Jahr erkrankt,  muss eine Inszenierung ausfallen lassen und willigt in eine Vertragsauflösung zum Ende der Saison 2012/13 ein. Der neue Ring verliert plötzlich und unerwartet seinen Regisseur Christof Nel, der durch Achim Freyer ersetzt wird. Keine schlechte Wahl, und an seinen Bilderbogen im Rheingold und in der Walküre kann man sich gewöhnen, auch wenn er keine stringente Geschichte erzählt. Jetzt aber hat Freyer mit Wagner zu tun und kann dafür das Herzstück des Mannheimer Mozartsommers, den Temistocle von Johann Christian Bach, nicht inszenieren. Günter Krämer kommt und geht einige Wochen vor der Premiere. Dafür springt wiederum Joachim Schloemer ein, der es richten soll, es einigermaßen zurichtet und dabei sein choreografisches Talent verspielt. Dass er vor der Premiere „aus Termingründen“ das Weite sucht, wird am Haus schon beinahe als normal empfunden: Olga Neuwirth hatte vor kurzem nach heftigen Querelen keine Lust mehr, sich die Uraufführung ihres Stückes The Outcast anzuschauen.

Nun, das Publikum ist duldsam nach dem Motto: Intendanten kommen und gehen, und Theaterdonner gehört dazu, aber „unser Bürgertheater“ bleibt bestehen. Recht so. Es gibt Zeiten, da steckt der Wurm drin, und wir dürfen sie schicksalhaft nennen, wie auch im Temistocle der Athener Heerführer zwischen die Fronten gerät. Trotz seines Sieges bei Salamis in der Heimat verfemt, sucht er beim Perser-Gegner Serse Zuflucht, kriegt dort den Kommandoposten, will sich aber nicht gegen die Heimat stellen. Ach, welch ein Gewissenskonflikt, in den auch seine Kinder einbezogen werden. Die schöne Tochter Aspasia, die von Cornelia Ptassek überragend intensiv und schön gesungen wird, erweckt das Begehren des Persers, ist aber in den Athener Gesandten Lisimaco verknallt, der indes ihren Papa an Athen ausgeliefert sehen möchte. Dann haben wir noch die eifersüchtige Serse-Gattin Rossane und das Temistocle-Söhnchen Neocle sowie einen Schauspielchor, der die fehlenden Rezitative durch Stichworte ersetzen soll und von Schloemer in allerlei gehetzte Rennereien gejagt wird; doch Sebastian Borucki, Lorenz Kandzior, Roman Kimmich, Daniel Mann und Benjamin Wendel meistern ihren Part in agiler Spielfreude.

Johann Christian Bach hat die Oper 1772 fürs kurpfälzische Hoftheater des Carl Theodor geschrieben, so dass vom Nationaltheater besondere Zuwendung und Dignität erwartet wird. Was bleibt? Schloemer hat eine klare Bühne geschaffen, senkrechte Wände zwischen Gold und Disco-Rot, mittig ein Treppenhaus, in dem sich die Figuren verausgaben. Vorne die güldene Querwand, an die sich die Sänger und Sängerinnen immer wieder anleinen müssen, auf dass sie wie schräge Pappkameraden über die Instrumentalisten im offenen Graben ragen. Das wirkt anfangs interessant, erschöpft sich aber schnell, wenn sie andauernd am Karabinerhaken herum nesteln. Dass sie golden-elegante Kostüme tragen, mag den Glanz und Machtanspruch des persischen Großreiches reflektieren; Aspasia wird von Rosanne, der Iris Kupke herrisches Profil gibt, gedemütigt und muss an die Querwand „Athen soll im eigenen Blut ersaufen“ pinseln. Genial oder albern? Aber immerhin ein kraftvoller Einfall. Weniger kräftig wirkt Lars Møller als Serse, der seinen Bariton rund, ja freundlich einbringt. Am Ende ist er ja auch Gutmensch. Etwas scharf intoniert Netta Or den Buben Neocle, während Yuriy Mynenko als Gesandter Lisimaco seinen Counter charakterfest einbringt. Keine Blockflötenstimme, sondern ein Mann mit Ausdruck, dem die Partitur leider zu wenige Möglichkeiten einräumt. Der Tenor Szabolcs Brickner überzeugt in der Titelrolle, denn er bringt Kern und Kraft, Wohllaut und gut gestaltete Phrasen zusammen.

Das technisch versierte Mannheimer Nationaltheater-Orchester spielt etwas eckig auf, denn Differenzierungen sind eher selten. Das wundert deshalb, weil mit Reinhard Goebel der Miterfinder der historisch informierten Spielweise am Pult steht. Zwar dirigiert er mit Verve, doch die Transformation dieses Stückes, das von fünf auf zwei Stunden zur reinen Nummernfolge eingedampft wird, scheint ihn doch zu irritieren.

Aber, neues Spiel, neues Glück. Allerdings darf sich ein Mehrspartentheater nicht auf die Launen des Zufalls verlassen. Das Publikum ist recht zufrieden.

Eckhard Britsch

Fotos: Hans Jörg Michel