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Fakten zur Aufführung 

STIFFELIO
(Giuseppe Verdi)
5. April 2014
(Premiere am 29. März 2014)

Nationaltheater Mannheim


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Vergebung ist nur eine Floskel

Der pietistische Protestantismus steht nicht zu Unrecht im Ruch, seinen Mitgliedern lustfeindliche Konzepte unter dem Deckmantel glaubensstarker Überzeugungen aufzuzwingen. Tugend, Tugend über alles. Dabei wird Gemeinde auch zum Ort heimlicher Beobachtung, denn Sozialkontrolle ist ein starker Antrieb, um die eigenen, geheimen Triebe zu unterdrücken. Und ein wortgewaltiger Prediger wird schnell zur Führerfigur. Sein Wort scheint Gesetz.

Regisseurin Regula Gerber mag solche Mechanismen im Kopf haben, wenn sie am Mannheimer Nationaltheater Verdis selten gespielte Oper Stiffelio inszeniert, in der schon ein starkes Stück Verismo vorweggenommen wird. Denn die Geschichte vom Pastor, der nach der Rückkehr von einer langen Reise unterschwellig spürt, dass Gattin Lina ihn betrogen hat, entlarvt die Hohlheit von Worthülsen. Lina verehrt ihn abgöttisch – selbstverständlich in der Pfaffenherrlichkeit – und verwechselt das mit Liebe. Der Betrogene rast vor Eifersucht und seine vorige Beschwörung, dass doch alle Brüder seien, gilt nur für die anderen. Am Ende legt er auf der Kanzel das Bibelwort „... der werfe den ersten Stein“ aus und rennt doch vor seiner reuigen Lina davon. Sie soll sühnen, vergeben wird der Gekränkte nie, denn sie hat ihn ungewollt vom Sockel seiner amtlichen Selbstgerechtigkeit gestürzt.

Das Leben in solchem Glauben ist grau bis dunkel und eingeengt. Das zeigt die Bühne von Roland Aeschlimann in klarer Geometrie, strukturiert von Boden- und Wandkreuz. Das verdeutlicht die adäquate Personenführung von Regula Gerber. Der Chor, sprich die Gemeinde, wird bis zur Ent-Individualisierung in Grau getaucht, die Protagonisten werden schwarz bis grau kostümiert. Allein Lina erscheint anfangs im „unschuldigen“ Weiß, das dann auch zum fahlen Grau mutiert; indes die Kostüme von Andrea Schmidt-Futterer wirken leicht antiquiert.

Zuviel der seelischen Einöde? Die Frage mag sich stellen, doch die von Alois Seidlmeier am Pult des Nationaltheater-Orchesters explosiv aufgestellte, in einigen Feinheiten eher an der Oberfläche bleibende Musik fesselt ungemein; ebenso die wuchtigen, sozusagen „gnadenlosen“ Chöre, hat doch Verdi ein deutlich antiklerikales Stück geschrieben und mit feinsinniger Ironie den Pastor mit dem Namen „Müller“ gekennzeichnet. Gesungen wird glanzvoll. Martin Muehle verleiht der Titelpartie Stiffelio Glanz und Intensität durch prachtvolles Tenor-Material und darstellerischen Ausdruck; der dramatische Sopran von Ludmila Slepneva in der Büßerin-Rolle der Lina hält diesem Tenor-Gatten stand, ihre Seelennot erhält viele sängerische Facetten und Zuspitzungen. Ein idealer Verdi-Bariton stellt sich mit Jorge Lagunes in der Partie des Lina-Vaters Stankar vor, der aus scheinbar verlorener Ehre zum Mörder wird: Nebenbuhler Raffaele ist sein Opfer. David Lee singt ihn charaktervoll, darstellerisch allerdings etwas blass. In weiteren Partien sehr gut besetzt Peter Maruhn und Uwe Eikötter sowie Ludovica Bello als diskrete Intrigantin Dorotea, denn die hofft insgeheim auf den Pastor.

O Gott, kann man da nur sagen.

Das Publikum in der B-Premiere ist von der überzeugenden Zeichnung dieser Oper begeistert.

Eckhard Britsch

Fotos: Hans Jörg Michel