Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

DER IDIOT
(Mieczysław Weinberg)
9. Mai 2013
(Uraufführung)

Nationaltheater Mannheim


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Ein Komponist wird entdeckt

Außenseiter, Gutmensch oder ein Verrückter, dessen Koordinatensystem so „ver-rückt“ ist, dass er voller Naivität niemandem Schlechtigkeit unterstellen will? Die 1986 entstandene Oper Der Idiot von Mieczysław Weinberg im Libretto von Alexander Medwedjew nach Dostojewskijs riesigem Roman stellt so einen Menschen in den Mittelpunkt, dessen Verhaltensauffälligkeiten eine Gesellschaft stören, die auf Beharren im Kanon festgelegter Verhaltensnormen fixiert ist.

Der Idiot ist Fürst Myschkin. In der Schweiz hat er sich wegen Epilepsie behandeln lassen; während der Heimfahrt lernt er den reichen Rogoschin kennen, der von einer heillosen Leidenschaft für die stadtbekannte Mätresse Nastassja getrieben ist. Auch Fürst Myschkin verfällt ihr und verfängt sich in seinem Helfersyndrom. Der Naive will aber auch die junge Aglaja erretten, deren Eltern auf dringlicher Suche nach einem Ehemann für sie sind. Im undurchschaubaren Geflecht von materiellen und sexuellen Abhängigkeiten kommt es zur Katastrophe. Rogoschin tötet Nastassja; Myschkin und der Mörder halten einander voller Verzweiflung in den Armen. Der Gesellschaftsvertrag, auf Heirat in guten Kreisen und Ausgrenzung der Außenseiter angelegt, ist zerbrochen.

Die einhellig positiv aufgenommene Uraufführung unter dem Dirigat von Thomas Sanderling, der an der Entdeckung des Werks von Weinberg in den letzten zweieinhalb Jahrzehnten wesentlichen Anteil hat, offenbart einen großen russischen Komponisten, vielleicht den legitimen Nachfolger von Schostakowitsch. Eine außerordentlich expressive Musik illustriert und charakterisiert die Vielschichtigkeit der Figuren. Leitmotivische Technik und mitunter grelle Akzente, eine auflodernde Instrumentation und anrührende Gesangsphrasen, die in vielen Passagen „dankbare“ Herausforderungen für die Solisten darstellen, sind Merkmale dieser Komposition.

Dennoch mögen kleine Einschränkungen erlaubt sein: Mit vier Stunden Aufführungsdauer werden gelegentlich Längen generiert, die auch das groß aufspielende Nationaltheater-Orchester nicht überdecken kann. An denen sich auch Regisseurin Regula Gerber abarbeiten muss; doch ihr Konzept, die Figuren zwischen Wahn und Wirklichkeit in ein wechselhaftes Muster einzubetten, trägt über weite Strecken, so dass Atmosphärisches und Seelenzeichnung zueinander finden: Großes Musiktheater, an dem das Bühnengeviert von Stefan Mayer wesentlichen Anteil hat. Mit eher kargen Accessoires werden die Szenen auf der Drehbühne imaginiert; Videoeinspielungen und eine zoomende Bildwand gehören dazu, wie auch die einfallsreichen, Individualität generierenden Kostüme von Falk Bauer passgenau zugeordnet scheinen.

Die Sängerdarsteller leisten Bemerkenswertes: Dmitry Golovnin lebt die introvertierten Facetten des Fürsten Myschkin ebenso differenziert aus wie sein Tenor alle Feinheiten nachzeichnet; Steven Scheschareg hat für den Rogoschin viele baritonale Farben, um die Zerrissenheit dieser Figur hervorzukehren; der leuchtende Sopran und die Eleganz ihrer Erscheinung machen Ludmila Slepneva zur ausgezeichneten Besetzung für die Gesellschaftsdame Nastassja; ihre Gegenspielerin Aglaja findet in Anne-Theresa Møller eine agile junge Schönheit, die tolle Eifersuchtsszenen hinlegen kann und mit lyrischer Intensität überzeugt. In der Vielzahl der Partien des insgesamt ausgezeichneten Ensembles, das Personal der russischen Gesellschaft ist recht umfangreich, sei vor allem Lars Møller als schillernder Lebedjew erwähnt. Der Männerchor ist gewohnt stark, Tilman Michael pflegt ihn sorgfältig.

Die Uraufführung dieser wertvollen Oper stößt beim Publikum auf breite Zustimmung; auch Ex-Generalintendantin Regula Gerber darf sich über den persönlichen Erfolg ihrer intensiven Regiearbeit freuen.

Eckhard Britsch







Fotos: Hans Jörg Michel