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Fakten zur Aufführung 

LA FANCIULLA DEL WEST
(Giacomo Puccini)
23. Oktober 2012
(Premiere am 20. Oktober 2012)

Nationaltheater Mannheim


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Endlich wieder ein Kracher

Nein, der Krieg darf nicht der Vater aller Dinge sein. Denn Ungerechtigkeiten, die mit imperialistischer Expansionspolitik zwangsläufig verbunden sind, münden stets in einer Spirale der Gewalt. Hier setzt Regisseur Tilman Knabe ein, wenn ihm das Happy End in Puccinis Oper La Fanciulla del West  - Das Mädchen aus dem goldenen Westen – zu vordergründig erscheint. Minnie, die Hauptfigur, und Ramerrez, ihr innigst Geliebter, dürfen nicht ins Niemandsland des Glücks entschwinden, sondern die Bedrohung schleicht sich wieder in ihr Leben. Die Männer in Uniform kehren zurück, schleichend und böse.

Tilman Knabe leitet seine Sicht aus Libretto und Musik ab. Für ihn ist das keine Western-Oper um Goldgräber und Saloon-Atmosphäre, sondern das Stück gründet ganz real im amerikanisch-mexikanischen Krieg um 1848, bei dem Mexiko die Hälfte seines Landes verlor. Eine desolate, auch demoralisierte Gruppe von Mexikanern hat sich hinter Stacheldraht verschanzt, sie sind unorganisiert und werden von den disziplinierten Truppen der Amerikaner auf dem Feld der Unehre niedergemacht. Die Flagge wird aufgepflanzt, und der Sheriff hat das Sagen.  

Oder doch nicht? In der Kneipe trifft sich eine verlorene, vom Krieg gezeichnete Generation, sie spielen und saufen und himmeln Minnie an. Die sieht natürlich im Westernkostüm verführerisch aus, wie überhaupt die real-marode, von Krieg und Existenznot gezeichnete, wüste Bühne von Johann Jörg und die das jeweilige Milieu bestens schildernden Kostüme von Kathi Maurer ein weiterer Pluspunkt dieser Produktion sind. Bei Minnie laufen die Fäden zusammen, aber sie ist Mexikanerin, von den Kriegswirren wohl eher versehentlich in die Kneipe im Siegerland geworfen. Genau deshalb und nur darum wird sie den Desperado Ramerrez, der sich als „Wanted“-Flüchtling hinter dem Decknamen Johnson versteckt, lieben und beschützen, ja unmittelbar vor dem Galgen retten. Plötzlich erhält die Oper durch dieses genaue Hinsehen von Tilman Knabe einen tiefgründigen Sinn, den Puccini in seiner explosiven, einem sehr persönlichen Verismo verpflichteten Musik mit differenzierten Klängen beschrieben hat.

Klar, es kommt zu dramatischen Verwicklungen, denn Minnie wird vom Sheriff heftig begehrt, der ja den Desperado jagen und aufknüpfen will. Karsten Mewes  profiliert ihn mit baritonalem Verve. Doch die Entdeckung des Abends ist Roy Cornelius Smith, neu am Haus verpflichtet, dessen Tenor mit überwältigender Wucht und Dinglichkeit der Figur des Ramerrez Gestalt gibt. Minnie ist bei Galina Shesterneva die Handlung bestimmende Zentrale dieser Oper. Der dramatische Sopran leuchtet und verfällt in Schmerz, blüht sehnsuchtsvoll und zürnt in Eifersucht. Und macht mit silbernem Revolver oder in Kalaschnikow-Rächerpose gute Figur. Den Bösewicht gibt es auch, er heißt Ashby und vertritt Wells Fargo; in schwarzer Montur zeigt Alexander Vassiliev, wie es in Herrschaftswelten zugeht: fürs Grobe sind die anderen zuständig. Uwe Eikötter als Kneipenkellner überzeugt mit leicht geführtem Tenor ebenso wie Nikola Diskić mit elegantem Bariton als Sonora, der dem Mob Einhalt gebietet. Dazu vermeldet die Besetzungsliste noch etwa zehn weitere, kleinere Partien, alle vom  Ensemblegeist beflügelt.

Das Nationaltheater-Orchester spielt unter seinem Dirigenten Alois Seidlmeier glänzend, denn all die Emotionen und illustrierenden Elemente der Partitur, aber auch ihr Pathos und ihre explosiven Evokationen klingen großartig. Bühne und Graben sind kongruent, der von Tilman Michael vorbereitete Chor leistet Großes. Kurzum, das Nationaltheater Mannheim hat einen glänzenden Saisonauftakt zu verzeichnen, der nach den Irritationen der vergangenen Saison auch bitter nötig ist. Das Publikum dieser B-Premiere ist begeistert.

Eckhard Britsch

Fotos: Hans Jörg Michel