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Fakten zur Aufführung 

MEFISTOFELE
(Arrigo Boito)
6. September 2013
(Premiere)

Staatstheater Mainz


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Zauberei im Bühnenzauber

Die Welt kennt Arrigo Boito eher als Textdichter. Für Verdis Falstaff und Othello schrieb er die Libretti. Doch noch größere Ambitionen hegte er als Komponist, wenn er Wagners Vorbild des Gesamtkunstwerks nacheifern wollte. Vereinzelt taucht Boito jetzt doch auf dem Spielplan auf; das Theater Bielefeld hatte ihn schon 1987 mit der Oper Nero zur Bewunderung des Publikums in den Blickpunkt gerückt – Boito ist jetzt durchaus ein Begriff im Repertoire.

Mit seiner Oper Mefistofele, in der er beide Teile von Goethes Faust zum Musiktheater kristallisieren lässt, versuchte er den Griff nach den Sternen, der üblicherweise problematisch ausfällt, weil die Sterne so fern, die Probleme indes so nah sind. So haftet dem Werk etwa Unvollständig-Fragmentarisches an, wenn der Ideengehalt des Welttheaters in den Niederungen von Collage und Bebilderung strandet, übrigens auch musikalisch, obwohl das Philharmonische Staatsorchester Mainz, Chor und Extrachor sowie Kinderchöre in der Einstudierung von Sebastian Hernandez-Laverny und Karsten Storck bewundernswert auftrumpfen. GMD Hermann Bäumer steht am Pult und beschwört imaginative, gelegentlich auch ungeniert plakative Klangbilder, voll Wucht und sensibler Eindringlichkeit. Dennoch: den Eindruck musikalischer Illustration ohne durchgängige thematische Substanz kann er nicht verwischen.

Warum auch? Das Inszenierungsteam um Regisseur Lorenzo Fioroni, Bühnenbildner Paul Zoller und Kostümdesignerin Annette Braun, die auch schon Ligetis Le Grand Macabre in Mainz realisiert haben, entfachen zur Begeisterung des überschwänglich reagierenden Premierenpublikums ein gewaltiges Spektakel voller Zaubertricks und ironischer Zeitanspielungen, bei dem spielerisch Gott vom Sockel und Mephisto aus dem Diabolischen geholt werden. Dazwischen Faust, ein Spielball, der glaubt, ein Macher werden zu können und als armseliger Clown endet. Ja, tatsächlich, so können wir uns das Panoptikum unserer Zeit vorstellen, in der wir uns bewegen. Unter den Zeltbahnen im ersten Teil, weniger Himmelszelt als Lagerraum, erliegen die Menschen dem Spuk der Zauberei einschließlich zersägter Jungfrau. Mephisto begegnet einem hier eher als freundlich-spöttischer Zyniker, Faust als verwunderter Naiver, der nicht versteht, wem und was er sich ausliefert. Dass Gott alles sieht oder zumindest per überdimensionaler, hölzerner Überwachungskamera sehen kann, berührt die Figuren nicht, denn ihr Sinnen und Trachten ist selbstzentriert. Im zweiten Teil mutiert die Szene vollends zum Hochregal-Lager mit wirrem Durcheinander, in dem eine moribunde Touristen-Gesellschaft Fotos macht und verständnislos wieder entschwindet.

Dort aber hat auch Vida Mikneviciute als Margherita ihren großen Auftritt, wenn sie die Klage- und Erinnerungsszene der eingekerkerten Mörderin – hier ist sie eher wie ein Filmstar ausstaffiert – mit einem riesigen Bogen von wunderbaren Lyrismen und verzweifelter Ekstase gestaltet. Doch auch die Herren sind gut disponiert: Hans-Otto Weiß mit nuanciertem, variabel timbriertem Bass als Mefistofele und Gaston Rivero als Faust, der seinen Tenor blühen, schmelzen und aufbegehren lässt. Das Personal dieser Oper wird vervollständigt von Tatjana Charalgina als Gretchen ohne Spinnrad, Agustín Sánchez Arellano als Wagner, Aiste Miknyte als Helena, Dietrich Greve als Neréo sowie Katja Ladentin in der Doppelpartie Marta/Pantalis.

Am Ende ist das Premierenpublikum überwältigt und feiert alle Beteiligten. Durch die Hinwendung zum Spektakel überdeckt die Inszenierung strukturelle Schwächen der Oper. Die Phantasien dürfen sich – auch – im Kopf des Betrachters entzünden.

Eckhard Britsch

Fotos: Martina Pipprich