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Fakten zur Aufführung 

LOHENGRIN
(Richard Wagner)
27. Dezember 2012
(Premiere am 7. Dezember 2012)

Teatro alla Scala Milano


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Ein sterbender Schwanenritter an La Scala

Die Erscheinung Lohengrins hat in Inszenierungen der letzten Zeit Neuinterpretationen erlebt, von einem Todesengel in Berlin bis zu einem menschlichen Wesen unter mutierenden Ratten in Bayreuth. Der Held wird mehr als Manipulator denn als himmlischer Erlöser dargestellt, ungeachtet der maßlosen Hommage an Richard Wagner in Vorbereitung auf sein Zweitjahrhundert in 2013. Mit der Saisoneröffnung von La Scala tritt der Schwanenritter in der Vision vom Regisseur Claus Guth als machtloser Vogelmensch und Wahnvorstellung auf, die weder sich selbst noch Elsa von der Brutalität der Erde retten kann. Als Vorzeichen seiner Ankunft fallen erst weiße Federn vom Himmel; dann liegt er verwundet vor dem Chor in Brabant. Seine Energie ist fast ausgeschöpft in seiner vorletzten Arie Im fernen Land, gesungen inmitten eines surrealen Getreidefeldes. Ein Klavier, an welchem Elsa und ihr mädchenhafter Doppelgänger Zuflucht genommen haben, liegt symbolisch auf dem Rücken. Mit der Rückkehr des Gottfried von Brabant als junger Soldat erlischt Lohengrins Leben nach einem epilepsie-artigen Anfall, bei dem er die letzten Federn verliert.

Guths Montage von Traum, Wahn und Realität gelingt meistens. Das Rätsel von Lohengrins mystischer Ankunft als Schwan--Selbst bringt eine neue Erleuchtung. Andere Einfälle haben hingegen eine beunruhigende, wenn auch fast lächerliche Wirkung. Elsa, mal am Klavier zusammengekauert, mal bleich ins Weite blickend, wird quasi schizophren in einem eingeengten bürgerlichen Milieu dargestellt, vertreten von ihrem Vater, König Heinrich der Vogler. Gottfried erscheint ihr periodisch als einflügeliges Gespenst, und auch Lohengrin leidet unter paranoiden Störungen. Wagners Protagonisten sind — nicht anders als die Götter im Ring — von Anfang an dem Untergang geweiht. Ein spannendes Konzept, das aber Lohengrins Ankündigung im letzten Akt, dass er nicht aus Nacht und Leiden sondern aus Glanz und Wonne herkam, durchaus widerspricht. Damit wird seine Rolle als Erlöser endgültig ad absurdum geführt. Das Bühnenbild von Christian Schmidt, von emporragenden Balkonen umgeben, mit Blicken in die Freiheit der Natur, ruft düstere Bilder und Orientierungslosigkeit sowohl für die Protagonisten als auch für die Zuschauer hervor. Geschickte Spotlight-Technik von Olaf Winter hilft hingegen, Fantasieepisoden klar zu beleuchten.

Eine Traumbesetzung unter der Leitung des kürzlich ernannten Musikdirektors Daniel Barenboim ist ganz zu Gunsten Guths‘ ausgefallen. Diese Konstellation hat zudem die Mailänder beruhigt: Die Entscheidung, die Saison mit einer Wagner- statt einer Verdi-Oper zu eröffnen, löste bei der Premiere einen kleinen Skandal aus. In der Titelrolle beeindruckt Jonas Kaufmann mit edler Klangfarbe und federleichten Pianissimi, die die Verletzbarkeit Lohengrins schmerzlich heraufbeschwöten. Anja Harteros bringt samtigen, hochwertigen Klang und innige Schattierungen in ihrer Darstellung von Elsa. Selten ist eine Wagnersängerin zu hören, die Stimmgewalt und feinfühlige Ausdruckskraft so reizend verbindet. Als Heinrich der Vogler bewährte sich René Pape als führender Bass des deutschen Repertoires mit tiefsinniger, frommer Autorität. Zeljko Lucic sorgte für eine geschmeidige Darstellung des Heerrufers. Evelyn Herlitzius verkörperte die rivalisierende Hexe Ortrud mit elektrisierender Kraft. Wenn ihre Stimme schrill wird, wirkt ihre schwarze Magie noch mehr bedrohend. Als ihr Verschwörungspartner und Mann Friedrich von Telramund erreicht der Heldenbariton Tómas Tómasson nicht dasselbe Niveau. Die Stimme neigt zu einem deklamatorischen Stil und leidet zudem unter einem Bruch während eines Solos in der Hochzeitsszene.

Barenboim, zwischen Berlin und Mailand pendelnd, bleibt eine Naturgewalt in seiner Leitung von Wagners Werken. In den seidigen Streichern des Orchesters des Teatro alla Scala finden die schillernden Klangfarben der Ouvertüre einen unübertroffen sinnlichen Ausdruck, auch wenn die Phrasen ausgedehnter sein könnten. Die aufgeladene Energie stimmt mit Guths gequälter Inszenierung überein, wird aber auch mit wuchtigen Passagen des öfteren ausgelöscht. Bei Im fernen Land kommt der Dirigent Kaufmann mit sorgsam bedeckten, aber glühenden Pianissimi entgegen. Der Chor des Theaters beeindruckt mit warmem Klang und polierter Aussprache, auch wenn innere Tenorlinien im Gesegnet soll sie schreiten mehr Präsenz verdienten.

Das Publikum lobt Barenboim und sein Ensemble mit langem und zum Teil stehenden Applaus. Auch als sterbender Schwan hat dieser Lohengrin die menschliche Lage, wenn auch peinlich, erfasst. Diese Inszenierung malt in tragischer Weise aus, wie jene, die erlöst werden könnten, den möglichen Erlöser entmachten.

Rebecca Schmid

 

Fotos: Monika Rittershaus