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Fakten zur Aufführung 

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)
25. Februar 2012
(Premiere am 18. Sepember 2010)

Theater Magdeburg


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Leidenschaft und Gefühlskälte im Gewächshaus

Violetta ist vom Tode gezeichnet. Die Tuberkulose, jene geheimnisvolle, ja mystische Erkrankung jener Zeit, hat von ihr Besitz genommen. Und so liegt sie zusammengekauert auf der Bank in einem Gewächshaus, ganz nahe bei ihren geliebten Kamelienblüten. Ihr tragisches Ende wird musikalisch bereits im Vorspiel vorweggenommen. Doch noch einmal rafft sie sich auf, stürzt sich in das Amüsement der französischen Spaßgesellschaft in der Mitte des 19. Jahrhunderts, in der diese Inszenierung spielt. Hier trifft sie ihre große Liebe Alfredo, doch das Liebesglück ist nur von kurzer Dauer. Ihre gesellschaftliche Stellung als Kurtisane lässt den Traum von erfüllter Beziehung nicht zu. Wieder stürzt sie sich in den Taumel von Lust und Leidenschaft, noch einmal flackert das Lebenslicht auf, doch am Ende fordert die Krankheit ihren tödlichen Tribut, und Violetta stirbt, nicht alleine, aber doch einsam.

Das Theater Magdeburg erlebt mit der Wiederaufnahme von Verdis La Traviata einen zwiespältigen Abend mit Licht und Schatten. Im Vordergrund steht Violettas Suche nach Liebe, Anerkennung und kleinbürgerlichem Glück.

Der britische Opernregisseur Stephen Lawless inszeniert das Drama der Kameliendame in einem Gewächshaus. Das schwüle, stickige Klima symbolisiert nicht nur die Ausschweifungen der Pariser Halbwelt jener Zeit, sondern ist gleichzeitig Ausdruck der verzehrenden Krankheit Violettas. Lawless lässt von Anfang an keinen Zweifel, dass Violetta in ihrer Suche nach wahrer Liebe scheitern wird. Er erzeugt eine kühle Distanz zwischen den Hauptfiguren, die im klaren Widerspruch zur Musik steht. Und das ist auch das große Manko dieser Inszenierung. Diese Kühle überträgt sich von den Protagonisten auf das Orchester und letztlich auf das Publikum, das emotional auf Distanz gehalten wird. Aber in seinem Konzept ist Lawless konsequent. Als Violetta Alfredos Vater Giorgio Germont um eine letzte Umarmung als Tochter bittet, wendet dieser sich ab. In der Sterbeszene zum Schluss sind alle Protagonisten auf der Bühne versammelt, und im Moment des Todes geht Violetta noch einmal auf Giorgio zu, doch wieder wendet er sich ab, so dass Violetta einsam stirbt, ohne menschliche Wärme, auch nicht in den Armen ihres geliebten Alfredo. Erst nach ihrem Tod kommen alle Anwesenden mit den letzten Tönen der Musik bei Violetta zusammen und knien an ihrem selbst geschaffenen Grab.

Das Bühnenbild von Benoît Dugardyn, ein Gewächshaus, nimmt den gesamten Bühnenraum ein und bleibt die Aufführung über unverändert stehen. Dafür werden durch die Scheibenfront wechselnde Landschaften, Szenerien im und außerhalb des Raumes gekonnt illusioniert. Sehr klug sind die Szenenwechsel und Umbauten innerhalb dieses Gewächshauses arrangiert. So besteht die Ausstattung im zweiten Akt lediglich aus einer Vielzahl an Koffern, die Violettas und Alfredos Initialen tragen. Ist Violetta in ihrem neuen Leben noch nicht angekommen oder weiß sie schon, dass das Glück nur von kurzer Dauer ist und sie Alfredo bald wieder verlassen muss? Mit einer geschickten Lichtregie wird die kühle Atmosphäre unterstützt, die Szenerien der Spaßgesellschaft in tiefen Rottönen gezeigt. Die Kostüme von Sue Willmington untermalen die frivole Pariser Lustgesellschaft dieser Zeit und fügen sich kontrastreich in die Inszenierung ein.

Bei dieser Wiederaufnahme ragt aus dem Sängerensemble die texanische Sopranistin Rebecca Nelsen als Violetta heraus. Kurzfristig für die erkrankte Hale Soner eingesprungen, ist sie eindeutig der Höhepunkt dieses Abends, sowohl sängerisch, darstellerisch und optisch eine Idealbesetzung. Mit großer Emphase zeigt sie die ganze Zerrissenheit von Violettas Persönlichkeit auf. Immer schwankend zwischen Liebe und Lust, Glück und Leid, hin- und hergerissen zwischen Hoffnung und Enttäuschung, zwischen hochmütigem Stolz und tiefer Demütigung und Erniedrigung. Rebecca Nelsen lebt diese Empfindungen aus, phrasiert zwischen leicht perlenden Koloraturen und ekstatischen Ausbrüchen. Diese noch junge Sängerin bringt stimmlich und darstellerisch die feinsten seelischen Regungen einer Frau zum Ausdruck, deren Gefühlsleben schwankt zwischen der Lust am leichten Amüsement im ersten Akt bis hin zur tiefen Trauer in der letzten schwermütigen Arie. Besonders beeindruckend ist in diesem Moment, wie sie liegend die Bohlen aus dem Boden reißt und sich so ihr eigenes Grab öffnet, in das sie am Schluss beim Sterben sinkt.

Enttäuschend dagegen der Auftritt des brasilianischen Tenors Iago Ramos. Stimmlich unausgewogen, singt er kehlig, mit starkem Vibrato und stemmt die Höhen in einem Maße, dass von Belcanto hier keine Rede mehr sein kann. In der Stretta im zweiten Akt die Schlussphrase einfach mal nicht zu singen, damit der Schlusston noch rausgebrüllt werden kann, ist dann nicht mehr akzeptabel. Darstellerisch wirkt er hölzern und steif, dass überhaupt nicht nachvollziehbar ist, was Violetta eigentlich an diesem Alfredo findet. Da darf die kühle und distanzierte Personenregie auch nicht als Entschuldigung herhalten. Hier muss Ramos noch deutlich an sich und dieser Rolle arbeiten, stimmlich und darstellerisch.

Sehr ambivalent ist dagegen der Auftritt des jungen türkischen Baritons Kartal Karagedik als Giorgio Germont. Ausgestattet mit einem sehr guten Stimmmaterial, hat er alle Voraussetzungen, um in diese Rolle noch hineinzuwachsen. Doch für die Darstellung des Giorgio Germont ist er einfach noch zu jung, hier ist die Besetzungsverantwortung des Hauses  gefragt. Seinem Bariton fehlen die Reife und das sonore Timbre, um diese Vaterfigur überzeugend zu interpretieren. Seine große Arie im zweiten Akt singt Karagedik zwar mit Intensität, aber ohne Pathos.

Die weiteren Solisten fügen sich sängerisch und darstellerisch sehr gut in das Gesamtbild ein. Der Chor, gut einstudiert und von Lynne Hockney überzeugend choreographiert, ist stimmlich und darstellerisch sehr präsent und stellt die dekadente Pariser Gesellschaft eindrucksvoll dar.

Der neue 1. Kapellmeister des Orchesters des Theaters Magdeburg, Michael Balke, dirigiert La Traviata an diesem Abend hier zum ersten Mal. Die Kühle und Distanz der Inszenierung scheint auf Balke und seine Musiker abzufärben. Die oft für diese Oper typische kammermusikalische Zurücknahme des Orchesters und die Charakterisierung in pastellfarbenen Klängen vor allem bei den Streichern fehlen komplett. Emotion und Leidenschaft kommen einfach nicht zum Ausdruck. Die Tempi sind schnell, oft zu schnell, und es fehlt Balke der Mut zu den typischen Verdi-Bögen. Phrasierungen lässt er das Orchester und die Sänger nicht ausmusizieren. Das alles führt dazu, dass sich ein großes Gefühl in den zweieinhalb Stunden nicht einstellen will. Es gibt zwar am Schluss viel Beifall für alle Mitwirkenden und zu Recht großen Jubel für Rebecca Nelson, aber Enthusiasmus sieht anders aus. Das Publikum wirkt während der Aufführung sehr reserviert, Szenenapplaus ist die Ausnahme.

Vielleicht liegt es an der Inszenierung, vielleicht auch an der musikalischen Darbietung. Notorische Unruhe im Publikum, vorzeitiges Verlassen des Zuschauerraumes, Türen werden einfach zugeknallt, und die unvermeidliche Ansammlung von Bronchialrüpeln, sicherlich noch durch die Klimaanlage des Hause unterstützt, die sich besonders bei den leisen und innigen Momenten Gehör verschaffen, trüben den Gesamteindruck nachhaltig.

Schade, diese Aufführung, aber insbesondere die Traviata hat mehr verdient.

Andreas H. Hölscher

 

Fotos: Nilz Böhme