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Fakten zur Aufführung 

DER KÖNIG VON HARLEM
(Federico Garcia Lorca)
12. April 2013
(Premiere)

Theater Magdeburg


Points of Honor                      

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Ach, Harlem, Harlem, Harlem

Die dunklen Figuren, die sich in den Ecken der abgedunkelten Studiobühne verstecken, entpuppen sich im Licht als uniforme Einwanderer, die die projizierte Freiheitsstatue, den rasenden Rhythmus und die durch die Straßen hetzenden Menschen mit offenem Mund bestaunen: New York, die Neue Welt.

Federico Garcia Lorca hat seine Ode an den König von Harlem nicht geschrieben, „um Sie zu unterhalten“. Ihm geht es um den „Kampf Körper an Körper“, er bietet seinen Lesern und Zuhörern nur „Sand oder Schierling oder Salzwasser“. Lorca, tief beeindruckt vom Schicksal der Schwarzen in den USA, besonders in Harlem, wollte „das Gedicht der schwarzen Rasse“ schreiben und zeigen, „wie sehr es die Schwarzen schmerzt, Schwarze zu sein“! – Für einen Europäer seiner Zeit eine bemerkenswerte Beobachtung.

Der spanische Nationaldichter Lorca, 1936 von Falangisten ermordet, fertigt keine soziologische Studie, er sammelt Beobachtungen, fügt Stein um Stein zu einem Mosaik zusammen: Ein Alter, „auf dem Pilze wuchsen“, „ein Ort, wo die Schwarzen weinten“, die Tanks „mit faulem Wasser“…, Beobachtungen, Erfahrungen von Orten, „wo man den blonden Schnapsverkäufer töten“ muss. – Für Lorca ist Harlem „die wichtigste Stadt der Schwarzen weltweit“ - ach, Harlem, Harlem, Harlem! Nein, das ergibt keine Geschichte. Vielleicht Geschichten. Wie zum Beispiel der Einwanderer, der sich in immer neuen Situationen mit immer neuen Problemchen zurechtfinden muss, um in New York zu überleben. Solche Situationen skizziert Lorca in 24 Strophen seines Gedichtes Der König von Harlem in wenigen Strichen mit einer bildgewaltigen, eigenwilligen und sehr direkten Sprache. Lorca ist kein Librettist, eher ein widerständiger Literat. Er weigert sich, etwas zu erklären, was sich nicht über die „lyrische Logik“ erschließt. Er verlangt von seinen Zuhörern und Lesern, dass sie zurechtkommen „auch ohne die Hilfe des Verstandes und ohne kritischen Apparat“, bestenfalls mit Hilfe des „Koboldes“, ihres Koboldes, einer Art siebten Sinn. Hierfür hat die Inszenierung reichlich Raum gelassen, aber auch viele, teils gegensätzliche Anregungen gegeben. Lorcas Harlem-Gedicht ist voller Beobachtungen, Ideen und Phantasien, die man unmöglich in das Libretto eines Stückes, gar in eine Kurzoper pressen kann. Das hat Bergmann in seiner Textfassung berücksichtigt und holzschnittartig kurze, prägnante Szenen herausgeschnitten, die meist gesprochen werden, mal in deutscher Übersetzung, mal in Spanisch, das im Hintergrund, in Übertiteln übersetzt, mitläuft. Ein Bahnkörper ohne Schienen, aber mit steinigem Schotter, eine undurchsichtige Gittertür ins Nirgendwo, mit Pistolen herum fuchtelnde Figuren, die keinen klaren Feind finden, eine Figur, die mit einem winzigen Schädel spielt, eine mehrdeutige „Königin der Nacht“, die zum wiederholten Male Lorcas Harlem-Gedicht nun in Spanisch singend vorträgt. Vier Schauspielerinnen wechseln mehrfach Rolle und Kleidung, erscheinen als Dockarbeiter, Einwanderer oder fröhlich in bunter Ringelbekleidung. Mal freundlich-verliebt, mal feindselig mit- und gegeneinander. Musikstücke von Silvestre Revueltas, Pablo Luna, Andrew Lippa und George Crumb legen ein sehr wechselhaftes musikalisches Fundament, das alle widersprüchlichen Momente und Gefühle der auftretenden Figuren grundiert.

Lediglich für den Schlussteil, in dem noch einmal Lorcas Harlem-Gedicht auftaucht, hat Henze eine intensiv-berührende Musik für Orchester und Mezzosopran geschrieben. Lucia Cervoni bewältigt diese Soloaufgabe mit viel Gespür für die Spannungen und Widersprüche wie für besinnlich-emotionale Passagen dieser Musik. Die übrigen Rollen bleiben namenlos und werden von Ute Bachmaier, Gerda Haase und Heide Kalisch mit großer Wandlungsfähigkeit gesprochen und gespielt.

Paul Anthony Olives Ausstattung nutzt den Studioraum für Andeutungen des New Yorker Hintergrundes, der mal Kaimauer, mal Bahnhofsplattform oder ein Stück Straße sein kann. Die Figuren changieren in Kleidung und Farbe durch verschiedene Rollen, vom Grau der Einwanderer über die „Blaumänner“ der Arbeiter bis zum quirlig-quietschigen Ringelbunt der Passanten.

Das im Bühnenhintergrund platzierte kleine Orchester, in einem angedeuteten Gewölbe quasi versteckt, ist unter Leitung von Hermann Dukek immer präsent. Es gibt der modernen Musik verschiedener Komponisten und dem Schlussteil von Hans Werner Henze eine eindringliche, manchmal schmerzende Aktualität. Hohe, oft schrille Tonpassagen wechseln ab mit Rhythmen spanischer Volkslieder oder sentimentalen Teilen und unterstreichen die jeweilige Färbung der Texte nachhaltig. Ob Trompetensignale, dumpfe Horneinwürfe oder leichtfüßige Gitarrenmusik, die keineswegs immer harmonische moderne Musik passt ausgezeichnet zu den kurzen Szenen und Eindrücken, in denen Lorca „sein“ New York skizziert.

Dieser musikalisch-lyrische Abend lässt die Zuschauer in der Erwartung zurück, dass sie ein wenig von dem wahrgenommen haben, was ihn, was Lorca „verbrennt“. Mit Bergmann in der Regie, Dudek als Dirigenten und einem spielfreudigen, flexiblen Ensemble, aber auch mit einem für neue Wege offenen Studio-Publikum hat Magdeburg gute Voraussetzungen für solche Experimente. Das sehen auch die Besucher so, die sich mit herzlichem, lang anhaltendem Beifall bedanken.

Horst Dichanz







Fotos: Nilz Böhme