Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

Fakten zur Aufführung 

OTTO
(Georg Friedrich Händel,
Georg Philipp Telemann)
15. März 2014
(Premiere)

Theater Magdeburg,
Telemann-Festspiele


Points of Honor                      

Musik

Gesang

Regie

Bühne

Publikum

Chat-Faktor


Rezensionen-Archiv

Aufführungen nach Name
Aufführungen nach Ort


 
 

zurück       Leserbrief

Ungewöhnliche Oper in Vollendung

Georg Philipp Telemann wäre in diesen Tagen 333 Jahre alt geworden. Kein Wunder, dass die wenigsten den Komponisten noch kennen. Magdeburg möchte das ändern und lädt in diesem Jahr bereits zum 22. Mal zu den Telemann-Festtagen ein. Eigentlich ist das mehr ein Fest für „Eingeweihte“. Heuer wartet Magdeburg mit der Oper Otto auf und weckt damit das Interesse einer breiteren Öffentlichkeit. Georg Philipp Telemann nämlich hat Ottone von Georg Friedrich Händel bearbeitet und somit Otto geschaffen, eine kontrastreiche Oper aus italienischsprachigen Arien und deutschsprachigen Rezitativen.

Nun ist das ja mit diesen alten Werken so eine Sache. Weil handlungs- und bewegungsarm, glauben die einen Häuser daran, so eine „Quick-and-dirty“-Produktion auf die Bühne bringen zu können, andere machen daraus musikwissenschaftliche Abhandlungen im Kostüm. Arila Siegert inszeniert kurzerhand ein Meisterwerk. Schon im Vorfeld neben vielen Erstaufführungen im konzertanten Bereich als Höhepunkt der Telemann-Festspiele angekündigt, entwickelt sie aus sattsam bekannten Stoffen, altbekannten Abläufen und vor allem ewiger Dauer einen poetischen Opernthriller. Zwar bleiben auch nach Kürzungen drei Stunden zuzüglich Pause übrig, aber die sind spannend und in Relationen kurzweilig. Mit neuen Stilmitteln und einem grandiosen Team schenkt die Regisseurin Magdeburg eine Oper, die man nicht so oft sieht und die den Feierlichkeiten dieser Tage gerecht wird.

Otto verhandelt eine ausgesprochen komplexe Geschichte. Der König wird Theophane heiraten. Sein Widersacher versucht, dazwischen zu funken, Entführung der Braut inklusive. Alles andere ist Beiwerk. Und alles führt zum glücklichen Ende. Siegert kommt ursprünglich vom Tanz, und so inszeniert sie auch. Die Personenführung ist Akkuratesse pur. Das ist auch nötig, denn in Siegerts Händen wird die Handlung zur Choreografie. Sängerinnen und Sänger haben jeden Schritt mit scheinbarer Leichtigkeit festgelegt. Dabei verlangt die Regisseurin ihrem Ensemble das Äußerste ab. Otto muss Isaurus im Wortsinn auf Händen tragen, während er singt. Theophane sinkt rutscht bäuchlings auf den Stufen einer Treppe kopfüber hinab und singt dabei. Um nur zwei Beispiele zu nennen. Das muss man mal hinkriegen.

Marie-Luise Strandt hat dazu entsprechend fantasievolle Kostüme geschaffen, die die Charaktere unterstreichen und so die Handlung mit erklären. Ihre Bühne ist ein Paravent auf der Bühne, der um wenige Requisiten wie Tische zum Fest oder wechselnde Vorhänge erweitert werden. Das klingt plump und wäre es vermutlich auch, wenn Siegert sich nicht etwas ganz Besonderes hätte einfallen lassen. Aquarell und Tusche auf Folie live – so könnte man das Kunstwerk beschreiben, das Maler Helge Leiberg auf die Bühne projiziert. Zunächst gewöhnungsbedürftig, gewinnt die Idee schnell an Format. Weil der Künstler keine Folien vorproduziert hat, entstehen „spontane Bühnenbilder“, die er übrigens kopfüber malen muss. Leiberg gelingt es auf den Punkt, die Emotionen auf der Bühne zu Stimmungsbildern werden zu lassen.

Hoch emotional, bewegungsfreudig bis hin zu kleinen Tänzen und gesanglich vom Allerfeinsten gibt sich das Ensemble. Kirsten Blaise als bezaubernde Theophane bringt nicht nur ihren silberhellen Sopran ein, sondern überspielt auch logische Lücken des Werkes ebenso wie die übrigen Mitwirkenden meisterhaft. Ruby Hughes verleiht Gismonda passend zur Rolle einen harten, kantigen Sopran, der in dramatischen Situationen auch schon mal schrill werden darf. Dass Schwangerschaft ein beglückender Zustand und keine Krankheit ist, beweist Sophie Harmsen als Matilda mit geschmeidigem Gesang und eindrucksvoller Beweglichkeit. In der Titelrolle ergänzt ganz ausgezeichnet Simon Robinson das Traumpaar Theophane und Otto. Tenor Colin Balzer präsentiert Adelbert als Widersacher Ottos mal schön böse, mal noch schöner erbärmlich. Eric Stoklossa als „Clown“ Isaurus und David John Pike als gern posierender „Pirat“ Emirenus runden das Ensemble ab, das so harmonisch klingt, als sei es ausschließlich nach stimmlicher Perfektion zusammengestellt worden. Eine gute Regisseurin gibt ihrem Publikum Hilfen, damit es der Handlung auch dann folgen kann, wenn nicht jedes gesungene Wort verständlich ist. Dramaturgin Larissa Wieczorek hat also Übertitel entwickelt. Dabei hat sie sich auf Kernsätze beschränkt und diese in aktuelles Deutsch übersetzt. So ist der Inhalt schnell erfasst, und das Publikum kann sich wieder auf das Bühnengeschehen konzentrieren.

Und natürlich auf die Alte Musik, die aus dem Graben erklingt. Dort dirigiert ein den Magdeburgern alter Bekannter: Stephan Schultz hat früher in der Magdeburgischen Philharmonie, dem Hausorchester, gearbeitet. Es ist sein erstes Operndirigat, und er leistet das vom Cello aus. Damit das funktionieren kann, muss er sich auf Le Concert Lorrain verlassen können, ein Orchester, das sich auf Alte Musik spezialisiert hat und an diesem Abend ein wunderbares Klangbild schafft, perfekt mit den Sängern ausbalanciert.

Wer dieses Juwel Alter Musik noch erleben will, muss sich beeilen. Zwei Aufführungen finden am kommenden Wochenende statt. Dann gibt es noch zwei konzertante Veranstaltungen in Luxemburg und Frankreich. Weitere Aufführungen sind nicht vorgesehen. Das ist bedauerlich. Und das findet das Publikum im ausverkauften Theater auch. Hier wird jede Arie mit Ovationen bedacht, ehe Bravo-Rufe und Füße-Trampeln das Gesamtkunstwerk feiern. Wer nach dreieinhalb Stunden noch so lautstark Danke sagt, weiß, was echte Begeisterung ist.

Michael S. Zerban







Fotos: Nilz Böhme